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Leichter hinein als heraus

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Fiir jeden gibt es zum falschen Zeitpunkt die richtige Sekte." Friederike Valentin, Leiterin des Referats fur Weltanschauungsfra-gen in der Erzdibzese Wien, weiB, wo-von sie spricht. Wer einer Sekte bei-tritt, muB nicht unbedingt ein labiler Mensch sein. Ausschlaggebend konnen persbnliche Krisen sein.

„Ks gibt Leute, die mit beiden Bei-nen im Leben stehen, einen groBen Freundeskreis und eine gute Position haben - und eines Tages stirbt der Partner oder ein naher Verwandter", skizziert Valentin ein mbgliches Schicksal. „Und wenn dann vielleicht noch gesundheitliche oder berufliche Probleme dazukommen, schlieBt sich dieser Mensch einer Sekte an, obwohl er so etwas vorher nie fiir mbglich ge-halten hatte."

Eine andere Klientel sind Jugend-liche, die in einer Welt aufwachsen, in der das Ozonloch jeden Fag grbBer wird, Computerspiele an die Stelle ge-meinsamer Freizeitaktivitaten treten und die Angst vor Aids die ersten Part-nerkontakte iiberschattet. Werden sie „im falschen Moment erwischt", glauben sie, in der Gemeinschaft einer Sekte die Orientierung zu finden, die sie oft vergeblich suchen.

Die Werbemittel der Sekten sind unterschiedlich. Stehen die Zeugen Jehovas mit dem „Wachtturm" in der FuBgangerpassage und lauten an der Wohnungstiir, so versuchen Scientologen, Passanten zu einem „Persbn-lichkeitstest" zu gewinnen. Mitglie-der der Mun-Sekte laden ihre neuen Bekanntschaften persbnlich zu einem Gemeinschaftsabend ein, und indi-sche Gurus affichieren ihre Auftritte an Lichtmasten.

Was erwartet einen nun in einer Sekte oder einer religios motivierten Sondergruppe? Neben einem sozialen Druck zu freiwilligen Spenden ist das Anwerben neuer Mitglieder vielfach wesentlicher Bestandteil des Grup-penlebens. Die Zeugen Jehovas, mit etwa 20.000 Angehbrigen die groBte derartige Gemeinschaft Osterreichs, sind beispielsweise zu monatlich etwa zehn Stunden Predigtdienst ver-pflichtet. Scientology wiederum offe-riert zunachst Kommunikationstrai-nings um rund 1.000 Schilling Die darauf folgenden Kurspakete kosten allerdings bereits mehrere zehntau-send Schilling. Die Karriere bei den Scientologen, die in Osterreich bei rund 3.000 Mitgliedern halten, kann auch die Mitarbeit in einem Sciento-logy-eigenen Unternehmen, wie etwa in der Wiener Personalberater-firma U-Man, beinhalten.

Ein riesiges Loch von Einsomkeit

„ Mitglieder dieser Organisationen betonen oft ausdriicklich, nicht zur Scientology-Kirche zu gehbren", ver-rat Sektenexpertin Valentin. Ihnen geht es um das Ziel ihres geistigen Va-ters L. Ron Hubbard, „die Fahigen fahiger zu machen" und sein Gedan-kengut in Wirtschaft und anderen ge-sellschaftlichen Bereichen fahig zu machen.

In der Mun-Sekte hat sich der Le-bensstil seit ein paar Jahren deutlich gewandelt. Wohnten die Jiinger des heute 76jahrigen koreanischen Mei-sters noch bis vor kurzem in Kommu-nen zusammen, so nimmt bei den rund 500 bsterreichischen Bekennern nunmehr die ganz normale biirgerli-che Familie zu. Grund dafur ist, daB den Mitgliedern die jeweiligen Partner „von oben" zugewiesen werden. In puncto EheschlieBungen haben die neuen Medien bereits Einzug gehal-ten: Die jiingste Massentrauung von 364.000 Paaren wurde weltweit si-multan mit Konferenzschaltung von Korea aus durchgezogen.

Wem es trotz der vielen Freunde

und hbheren Ziele eines Tages zu bunt oder zu streng wird, der muG bei einem Austritt je nach Vereinigung mit unterschiedlichen Folgen rech-nen. Die meisten Sekten lassen treulose Schafe allerdings ohne viel Terror ziehen, aber die innere Angst der Ehemaligen ist ein groBes Problem.

„Bei den Zeugen reicht ein ent-sprechender Brief", sagt Valentin. „Allerdings miissen die Mitglieder ihren Kontakt mit einem Ex-Zeugen abbrechen." Auch bei den Munis wird zwar noch nachgefragt, warum es zu diesem bedauerlichen Schritt gekom-men sei, aber gemobbt wird nicht.

Anders fiihlen sich schon abge-sprungene Anhanger der indischen Yoga-Lady Sri Mataja Nirmala Devi. Wessen Leben einmal von dieser Uber-Mutter bestimmt war, der fiirchtet sich nach einer Lossagung vor ihrem Zorn. „Und der trifft diese Menschen dann oft als selbsterfiillen-de Prophezeiung", sagt Valentin.

Ein groBes Problem fiir Leute, die eine Sekte verlassen, ist die soziale Isolation. Durch die zahlreichen ge-meinschaftlichen Aktivitaten haben sich einerseits Freundschaften mit anderen Sektenmitgliedern gebildet, andererseits wurden Beziehungen „aus der Zeit vorher" aufgegeben. „Ausgetretene fallen oft in ein riesiges Loch von Einsamkeit", weiB Valentin aus Erfahrung. An die 2.000 Be-troffene oder Angehbrige kommen jahrlich zu ihr, um sie um Rat zu fra-gen. Ahnliche Betreuung bietet auch die evangelische Kirche sowie die -private - Initiative gegen Sekten- und Kultgefahr an.

Verandert sich ein Familienmit-glied auffallig, so sollten die Ver-wandten dies nicht auf die leichte Schulter nehmen, rat Valentin. Denn es konnte sich um eine Sekte handeln. Wer sich fiir eine Sekte interessiert, erfragt am besten sofort Art und Ziele der betreffenden Vereinigung. Valentin: „Sonst entsteht schnell eine emotionale Bindung, aus der man sich nur schwer wieder Ibsen kann."

DerAutorist

freier Journalist

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