7049013-1990_45_09.jpg
Digital In Arbeit

Was ist eine Sekte?

Werbung
Werbung
Werbung

Sekte - dieses Wort wird als Be-zeichnung für sich abschließende, in Lehre und/oder Praxis von der Mehrheit abweichend orientierte, somit dissidierende Minderheiten verwendet. Der ursprünglich neutrale Begriff (Schule, Lehre, Partei) erhielfrdurch die Ausein-andersetzung und vielfache Ableh-nung von Kirche und Staat (Gesellschaft) durch Sekten eine negative Prägung. In den letzten zwei Jahr-zehnten ist vor allem durch das Auf-treten der sogenannten Jugendreli-gionen der Begriff neuerdings massiv belastet. DieBegrif f sbestim-mung fällt je nach konfessionellem Kontext differenziert aus, jedoch hat sich heute großteils ein ökumenischer Konsens hinsichtlich des Sektenphänomens gebildet.

"Sekte" wird für jene Gemein-schaften verwendet, die im Unter-schied zu den (Welt-)Religionen sich von diesen größeren Gemeinschaf-ten getrennt haben, und sich nun als eigene Religionsform definieren. Sekte ist somit kein spezifisch christliches Phänomen, sondern fin-det sich in allen Großreligionen. Allerdings ist der Umgang mit Sekten in den einzelnen Religionen un-terschiedlich. Während im Islam wegen der rigorosen Strafen auf Glaubensabfall Sekten kaum Über-lebenschancen hatten, findet sich diese Art der religiösen Vielfalt auch in Hinduismus und Buddhismus (zum Beispiel "Zen-Sekten").

Zu differenzieren ist bei dem Bezugspaar Religion - Sekte, ob die Religion ein exklusives Verständnis, also einen Absolutheitsan-spruch, vertritt (monotheistische Religionen) oder ein inklusivisti-sches, in dem verschiedene Ausprägungen in Leben und Lehre Platz finden können (östliche Religionen). Während die aus erster Gruppe stammenden Sekten normalerweise diesen Absolut hei tsanspruch übernehmen und ausschließlich auf die eigene Gemeinschaft anwenden, ist bei den aus dem östlichen Kontext erwachsenen Ge-meinschaften dieser Absolutheits-anspruch meist in modifizierter Form gegeben, das heißt andere Formen werden nicht direkt abgelehnt oder bekämpft; es gilt vielmehr der eigene religiöse Weg als Erfüllung und Vollendung bisherigen Strebens, und dieser Weg muß nicht unbedingt eine (offizielle) Trennung von der bisherigen Glau-bensgemeinschaft zur Folge haben. Allgemein sind Sekten soziologisch klar umrissene Gebilde mit einer entweder (international) zen-tralistischen oder föderalistischen Struktur, geschlossenem Lehrsystem und normierter (Le-bens)Praxis.

Im Unterschied zu Weltanschau-ungen weisen Sekten eine kultische Komponente auf. Die Unter-scheidung Weltanschauung - Sekte wird deutlich am Beispiel jener Weltanschauungen, deren Gedan-ken die Basis für eine - organisato-risch und in verschiedener Hinsicht auch inhaltlich - eigenständige Kultgemeinschaft bildet. Dies trifft zum Beispiel für die Anthroposophie zu, die mit ihrem dreigliedrigen Pfad eine esoterische Weltanschauung darstellt; die von Rudolf Steiner mitbegründete Chri-stengemeinschaft gilt hingegen nach gängigem Verständnis als Sekte.

Im christlichen Kontext ist zur Umschreibung von Sekte auf die mangelnde Dialogfähigkeit von Sekten hinzuweisen, das heißt auf die Weigerung, am ökumenischen Gespräch offiziell teilzunehmen. Die aus dem christlichen Raum entstandenen Sondergemeinschaf-ten unterscheiden sich in Lehre (und Praxis) von den Kirchen, zum Bei-spiel durch eine zusätzliche Offen-barung, die neben beziehungsweise über der Bibel steht oder durch eigenes Schrifttum mit einer hohen Verbindlichkeit. Sie vertreten einen so engen Absolutheitsanspruch, daß sie den universalen Heilswillen Gottes auf die eigene Gemeinschaft reduzieren (womit nicht die Orien-tierung am Wort Gottes, sondern an der Norm der Sondergemeinschaft zur Richtschnur für das Heil wird).

Diese Gruppierungen sehen sich als Verwirklichung des ursprüngli-chen, biblischen Anliegens Jesu, das jedoch - nach deren Interpretation - nicht mehr in der Kirche präsent ist und zur Erneuerung eine eigene Gründung erfordert; aus diesem Grund sind Sekten durch Tradi-tionslosigkeit gekennzeichnet, da oft große Strecken der Kirchenge-schichte ausgeblendet werden. Oft finden sich aggressive Werbung und Fanatismus.

Sekten weisen von ihrer Struktur her eine Reduktion auf ein bestimmtes Gebiet auf, das besonders her-vorgehoben wird und dazu beiträgt, Spannungen von Sünde, menschli-cher Unvollkommenheit, Krankheit und anderes mehr anscheinend zu überwinden. Sie bieten eine - sy-stemimmanent schlüssige - klare Lehre. Allgemein wird den Mitglie-dern ein Bewußtsein des Auserwähl tseins und - d.urch die (ver* pflichtende) Einbeziehung in die Gruppenaktivitäten - der Wichtigkeit vermittelt.

Durch die relativ engmaschige Organisationsstruktur, die auch bei Gemeinschaften mit mehreren Millionen Mitgliedern eine Über-schaubarkeit garantiert, wird Be-heimatung und emotionale Bindung ermöglicht. Die unterschiedlichen Entwürfe bieten Sinnerfüllung und Zukunftshoffnung. Durch Lehre und Lebenspraxis bieten sie einen ganzheitlichen Entwurf, de? vielfach jeden Bereich des Lebens einbezieht und normiert. Spirituelle Wege, verbunden mit der (intensiven) Begleitung, gelten als Begegnung mit dem Transzendenten.

Damit sind auch bereits die kriti-schen Punkte bei Sekten ange-sprochen. Die relativ hohe Emotio-nalität innerhalb der eigenen Gruppe läßt das Interesse an anderen Sozialkontakten geringer werden oder völlig verschwinden; beim Verlassen der Gruppe kann das zu massiven Problemen führen, sich wieder ein tragfähiges Netz zwi-schenmenschlicher Beziehungen zu schaffen. Das fehlende Geschichts-bewußtsein in der eigenen Sonder-gemeinschaft läßt die Entstehung der eigenen Gruppe nicht in einem kritischen Licht sehen. Die zugesagte Perfektion wertet den einzelnen auf und sorgt - bei systemkonformem Verhalten - für ein gutes Sozialprestige zumindest innerhalb der Gemeinschaft. Ein Ausschluß aus der Sekte ist oft mit großen Ängsten verbunden, vom Heil end-gültig abgeschnitten zu sein.

Die Autorin ist Leiterin des Referates für Weltanschauungsfragen der Erzdiözese Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung