6751648-1967_30_12.jpg
Digital In Arbeit

Spirituelles Leben in West und Ost

Werbung
Werbung
Werbung

„Es mag sein, daß für viele Menschen Asiens (und besonders Japans, wo die Profanierung des gesellschaftlichen Lebens erschreckend fortgeschritten ist) der Weg zu Christus nicht aus dem Advent der Völker, sondern durch die tiefe Ver-demütigung der Selbstentfremdung und Gottesferne des modernen Menschen führen wird. Trotzdem tut die christliche Evangelisatdon gut daran, die Hochreligionen Asiens, die eine so tiefe und andauernde Wirkung auf die Völker und Kulturen dieses Erdteils ausgeübt haben, ernst zu nehmen und sich mit ihnen in achtungsvoller Begegnung auseinanderzusetzen“ (S. 43).

In diesem Satz aus dem einführenden Kapitel („Annäherung an die religiöse Problematik“) ist gleichsam das Grundanliegen des hier anzuzeigenden Buches zusammengefaßt.

Der Autor wirkt seit 1940 an der von Jesuiten geleiteten Sophia-Universität in Tokio als Professor für Religionswissenschaft und Geschichte der Philosophie. Wegen seiner Erfahrung mit den konkreten Gegebenheiten des Landes und seiner Kenntnis der religiösen Literatur (vor allem des Zen-Buddhismus) kann er als ein berufener Vertreter und Anwalt jener Kulturbegegnung, die stets drei Partner einschließt — die vor- und außerchristliche religiöse, die christliche und die säkularisierte Geisteswelt —, angesehen werden. Der Beitrag des vorliegenden Buches zu dieser umfassenden Problematik ist ebenso bedeutsam vom religionsgeschichtlichen wie vom religionsphilosophischen Standpunkt aus, wobei das Hauptgewicht auf dem phänomenologischen Vergleich liegt. Hier unterscheidet Dumoulin drei Ebenen: „eine äußere obere Ebene, auf der viele Erscheinungen einander ähneln und tausend Vergleiche sich anbieten. Begriffliche Scheidung zerstört diese Alljährlichkeit und läßt die Gegenstände sich getrennt in ihrer Unterschiedlichkeit voneinander abheben. Die klärende Arbeit des Intellekts auf der zweiten Ebene ist unerläßlich, und erst wenn sie redlich zu Ende gebracht ist, kann in der Tiefenschicht die letzte Einheit im Menschlichen und in der Natur wahrgenommen werden“ (Vorwort, S. 9).

Diese drei Ebenen durchdringen einander immer wieder aufs neue in den folgenden Darlegungen, in die eine Reihe in verschiedenen Zeitschriften erschienener Artikel aufgenommen bzw. eingearbeitet wurden. In einem ersten Teil, „östliche und westliche Mystik im Vergleich“, werden Ähnlichkeiten Und Unterschiede vor dem Hintergrund dreier allgemeiner Kriterien behandelt: Mystik bedeutet Befreiung des Geistes von der Abhängigkeit leiblicher Gegebenheiten, Überschreiten des diskursiv-begreiflichen Denkens in unmittelbar intuitives Erkennen, Uberwindung des Abgrundes zwischen dem Relativen und dem Absoluten. Allerdings sind diese drei Kriterien für Dumoulin „unvollkommenen mystischen Erscheinungen“ zugeordnet; das Wesen „vollkommener Mystik“ werde dagegen

Destimmt als „ubernatunncne, durcn 3ottes Gnade eingegossene Beschau-ung, in der die Seele unmittelbar die göttliche Gegenwart erfährt“ cognitio Dei experimentalis super-laturalis). Diese Bestimmung gelte äs stets im Blick zu behalten. Denn man kann (hier wird der Benediktiner Alois Mager zitiert) „die rich-ige Vorstellung von Mystik nur dort gewinnen, wo sie in vollendeter ?orm auftritt, was nur im Christentum der Fall ist“. Hieraus folgert Dumoulin: „Da die Mystik der Kulturvölker Asiens außerhalb des Christentums liegt, ist die Annahme lußerchristlicher natürlicher Mystik die notwendige Voraussetzung für die Themenstellung dieser Unterteilung“ (S. 52).

Hier werden somit phänomenologische und theologische Aspekte aufs nnigste verbunden, und über die

Berechtigung dieser Methode wird man streiten können. Wer immer nicht Christ ist, wird und muß sie verneinen. Wie ist aber eine „Phänomenologie“ zu beurteilen, die sich nicht aus dem Phänomen als solchem ergibt, sondern aus dem Glauben; bzw. die nur für den Glaubenden sich aus dem Phänomen ergibt? Oder soll man umgekehrt verstehen, daß rechte Erkenntnis des Phänomens zwangsläufig den Glauben nach sich ziehe; bzw. daß der Glaube letzten Endes identisch sei mit rechter Erkenntnis des Phänomens? Und weiter: Wie kann ein Gespräch sich entfalten, wenn dem einen Partner von vornherein eine mindere Stufe des Erkennens zugewiesen wird; wenn gleichsam, etwas überspitzt formuliert, der Grad seiner Annäherung an die Wahrheit zusammenfallen soll mit dem Grad seiner Annäherung an unsere eigene Einsicht?

Diese Fragen werden nicht als rhetorische, sondern als echte Fragen gestellt. Der Rezensent stellt sie sich selber und hat keine bündigen Antworten auf sie parat.

Während dm ersten Teil unter den oben genannten Rücksichten viele Beispiele aus Yoga und Zen, Patri-stik, rheinischer und spanischer Mystik usw. behandelt werden, bringt der zweite Teil eine Betrachtung zur meditativen Welt- und Selbsterfahrung in den östlichen, vornehmlich buddhistischen Wegen in Gegenüberstellung zu den diesbezüglichen Lehren des Richard von Sankt Viktor nach dessen Schriften „Benjamin minor“ und „Benjamin maior“ (gemäß der allegorischen Schriftauslegung galt dem Mittelalter Benjamin als Symbol der Beschauung).

Der dritte Teil ist sehr gründlichen Einzelstudien zur buddhistischen Meditation gewidmet: den drei Hauptformen des alten, südlichen Buddhismus (Theracäda), des chinesisch-japanischen Zen und der Verehrung des Buddha Amida (Amitäbha), sowie einer neu in Burma aufgekommenen Meditationsmethode; der Frage nach dem eigentlich religiösen Charakter des Zen-Weges — im Unterschied zu den psychologischen, intellektuellen, ästhetischen Aspekten — und nach dessen spezifisch ostasiatischer Prägung — die besonders in Zazen (Meditation im Hocksitz) und Köan (paradoxer, scheinbar sinnloser Meditationsspruch) zum Ausdruck kommt — sowie schließlich nach dessen Beziehung zur christlichen Spiritualität.

Zum Abschluß wird kurz der Zusammenhang zwischen Mystik und Existenzdenken betrachtet. Während die östliche Hemisphäre dieses stets fast ausschließlich pflegte, hat der Westen unter griechischem Einfluß eine Vorliebe für die intellektuelle Wesenserkenntnis entwickelt, ohne daß das Existenzdenken deshalb fehlte. Es gilt demnach, diese Komponente der abendländischen Tradition stärker zu beleben und bewußter zur Geltung zu bringen. Im Anhang werden, gleichsam als Dokumentation, zwei Originaltexte wiedergegeben: das „Merkbuch für die Übung des Zazen des Zen-Meisters Keizan“ (1268 bis 1325) und der „Bericht einer vorchristlichen mystischen Erfahrung“ aus dem Anfang dieses Jahrhunderts einer jungen Japanerin, die nach ihrer Konversion den Schleier nahm. Die Schlußworte ihres Berichtes klingen wie eine letzte Zusammenfassung alles mystischen Strebens der Menschen in Ost und West:

„Deshalb betete ich beständig zum Heiligen Geist, Er möge meine ganze Freiheit (auch meine Freiheit eigener Wahl zum Guten) von mir nehmen, damit meine Seele wirklich nur vom Heiligen Geist bewegt werde und ganz in der Freiheit der Kinder Gottes lebe.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung