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Wenn Spiritualität zur Ware wird

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Zwischen einer Dose Red Rull, dem neuen Eistee, den Dinkelkeksen und dem Rosmarin-Sham-poo, die den Einkaufskorb meines Nachbarn in der U-Bahn füllten, machte ich eine merkwürdige Entdeckung. Lagen doch da die Predigten des Meister Eckhart, von einem Salatblatt ein wenig verdeckt. In beiden Händen hielt mein Gegenüber „Die neueste Anleitung zum Yoga", wie mir der Buchtitel verriet, und auf seiner Brust baumelte ein Medaillon, auf dem mir Yin und Yang entgegenblinkten.

Die gedankliche Synthese, die ich zwischen den Dingen herzustellen versuchte, mußte entweder tragisch für alle Beteiligten enden (Meister Eckhart war demnach ein literarisches Objekt, Yoga eine bloße Gymnastikübung, die Yin-Yang-Kette eine Erinnerung an einen Asien-Urlaub, die Dinkelkekse eine geniale Erfindung einer mittelalterlichen Ernährungswissenschaftlerin namens Hildegard von Bingen) - oder mein Gegenüber mußte einer der „neuen Gläubigen" sein: einer jener Menschen, die sich nach individuellem Belieben am blühenden Markt religiöser und spiritueller Traditionen bedienen.

Spiritualität ist heute zur Ware geworden und unterliegt allen Mechanismen eines Marktes. Es gibt gute Ware, Billigangebote und Etiketten-Schwindel.

Die Existenz dieses Marktes macht noch zwei weitere Dinge deutlich: erstens beweist er, daß gerade beim modernen Menschen ein massives Bedürfnis nach Transzendenz vorhan-

Das spirituelle Vakuum

im Westen bringt eigenartige Blüten hervor: einen Markt fragwürdiger religiöser Angebote. Wie gehen wir damit um?

den ist, daß dieses Bedürfnis mit zunehmender Technisierung und Imitierung ursprünglicher menschlicher Tätigkeiten noch zunimmt. Zweitens zeigt sich, daß die traditionellen Institutionen zur Vermittlung des Transzendenten - wie die Kirchen —, wenn überhaupt, nur eine Rolle unter vielen bei der Befriedigung dieser Bedürfnisse spielen.

Ist diese wilde Blüte an fragwürdigen Spiritualitäten nicht Zeichen für ein „spirituelles Vakuum"? Dieser Frage gingen auf einem vor kurzem in St. Georgen am Längssee abgehaltenen Symposion rund vierzig Leiter von Bildungshäusern, Erwachsenen-bildner, Philosophen, Psychologen, Geistliche und Ordensleute nach. Wie manifestiert sich dieses sprituelle Vakuum, und wie kann man ihm grundsätzlich und aus speziell christlicher Sicht begegnen? (Siehe die folgenden Beiträge S-14-16)

Wie gerade aus der Konfrontation mit dem Hinduismus hervorging, ist das spirituelle Vakuum nicht ein weltweites Problem, sondern eng an unsere westliche Industriegesellschaft gebunden. Spirituelles Leben ist bei uns, im „aufgeklärten", hochtechnisierten Westen, in die Privatsphäre gedrängt, tabuisiert, gilt weder als erstrebenswert noch als notwendiger Pfeiler menschlicher Existenz oder gar als kulturelle Leistung. Produziert aber nicht gerade diese offizielle Mißachtung spirituellen Lebens im Abendland jenen Leerraum, den wir im Augenblick erleben?

Beschäftigt man sich mit der Rolle

der christlichen Kirchen innerhalb dieses Prozesses, so drängt sich der begründete Verdacht auf, daß diese

zwar vieles zu bieten hätten, aber anscheinend auf ihre eigenen spirituellen Traditionen vergessen haben.

Mit Meister Eckhart beschäftigt sich beispielsweise die Germanistik noch immer viel intensiver als die Kirche. Alte christliche Meditationsgebete, Symbole und liturgische Formen werden erst schrittweise wieder entdeckt und neu belebt. Hat die Kirche sich mit den falschen Dingen beschäftigt, sodaß ihr nun, da offensichtlich der spirituelle Hunger groß ist, keiner mehr eine geistliche Vollmacht zutraut und sich deswegen kaum jemand an sie wendet?

Als eine der Schwächen des Christentums bezeichnete es die Religi-onsphilosophin Bettina Bäumer, „viel zu verbal und zu rational zu sein ". Wir begehen oft den Fehler, den Begriff, den wir uns von Gott machen, für Gott

selbst zu halten. Dem intellektuellen Diskurs wird vor allem in kirchlichen Kreisen oft höhere Bedeutung zugemessen als jenem des Herzens. Unsere Begegnungen mit Gott verlaufen weniger nach dem Prinzip „Rede, Herr, dein Diener hört" als vielmehr nach dem Motto „Schweige, Herr, dein Diener redet", wie es ein Teilnehmer pointiert formulierte.

Wir haben das Hören, das einfache Da-Sein vor Gott verlernt. Die Denkerin Simone Weil prägte für diese absichtslose Hinwendung zu Gott den Begriff „Aufmerksamkeit". Dies ist keine Anstrengung, keine bewußte Konzentration, sondern besteht darin, „das Denken auszusetzen, den Geist verfügbar, leer und für den Gegenstand offen zu halten (...)". Aufmerksamkeit ist keine krampfhafte Suche nach transzendenter Erfahrung.

„Die kostbarsten Güter soll man nicht suchen, sondern erwarten",

mahnt Simone Weil zur Demut vor dem Größeren.

Ein wesentlicher Punkt beim Symposion war auch die Erkenntnis, daß Spiritualität nicht losgelöst von der jeweiligen religiösen Tradition „konsumiert" werden kann. Bettina Bäumer berichtete in ihrem Referat (Beitrag S. 15) zum einen vom spirituellen Reichtum, den sie im Hinduismus erfahren hat, zum anderen vom Mißbrauch, der vor allem im Westen mit einzelnen religiösen Praktiken dieser Religion getrieben wird.

Der Jesuit Josef Sudbrack wies hingegen in seinem Referat auf einige Kriterien einer christlichen Spiritualität hin (Beitrag S. 16) und machte deutlich, daß es grundsätzliche Unvereinbarkeiten zwischen den Reli-gionen gibt.

Spiritualität, so eine weitere Erkenntnis im Zuge des St. Georgener Symposions, ist weder eine Sache, die sich an Statistiken ablesen läßt noch hat sie etwas mit Massenbewegungen zu tun. Am eindringlichsten manifestiert sie sich an einzelnen Biographien: Der Heilige Franziskus gründete keine Bewegung, sondern lebte seine Berufung.

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