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Yoga braucht Moral

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Der Hinduismus Gegensatz zum Buddhismus - ist im Westen so sehr mißverstanden und auch mißrepräsentiert, daß es notwendig ist, den spirituellen Reichtum der indischen Traditionen zu erkennen, bevor man auf die Gefahren hinweist, die eine solche Begegnung mit sich bringen kann. Da der Hinduismus im Westen fast ausschließlich durch bestimmte Sekten und moderne Gurus vertreten ist und nicht in seiner ursprünglichen und authentischen Gestalt, hat die Kirche mehr Angst'vor Kontamination, als daß sie Offenheit und Dialogbereitschaft zeigte. Doch setzt eben gerade diese Situation eine klare „Unterscheidung der Geister" voraus, bevor man einseitige Urteile abgibt.

Das erste, was wir vom Hinduismus lernen könnten, ist ein größeres Vertrauen in den Geist, was in Umdrehung des Titels des Symposiums bedeutet: dem Geist mehr Raum geben, keine Angst vor dem Vakuum haben, nicht schon alles mit unseren Vorstellungen, Informationen und Aktivitäten anzufüllen. Das „spirituelle Vakuum" besteht gerade in einem Mangel an Freiräumen für den Geist.

Ferner gibt es wesentliche Dimensionen des spirituellen Lebens, die zwar im Christentum prinzipiell vorhanden sind, die aber zu wenig gelebt und praktiziert werden, weshalb sich viele junge (und auch weniger junge) Menschen von der indischen Spiritualität angezogen fühlen. Wir können hier nur einige Aspekte erwähnen,

Die Herausforderung

für die Zukunft ist Offenheit gegenüber anderen religiösen Traditionen und Unterscheidung der Geister.

von denen wir lernen könnten.

1. Die Innerlichkeit ist ein zentraler Wert im religiösen Leben des Hinduismus, und zwar nicht nur als eine Spezialität der Kontemplativen. Die Versenkung (samadi) ist das angestrebte Ziel jedes religiösen Menschen.

2. Die Unmittelbarkeit der mystischen Erfahrung ist wichtiger als der Glaube an bestimmte Lehren oder äußerer Kult.

3. Spontaneität und innere Freiheit gehören wesentlich zu einer echten Spiritualität. Es gibt eine Vielfalt des religiösen Ausdrucks, der der Mannigfaltigkeit der seelischen Bedürfnisse der Menschen entspricht.

4. Die kosmischen Zusammenhänge kommen in der indischen Religiosität mehr zum Ausdruck als im gegenwärtigen westlichen Christentum. Die mikro-makrokosmischen Bezüge sind ein wesentlicher Bestandteil der Spiritualität, die sich auch im Ritual, in Festen und Wallfahrten ausdrücken.

5. Die Leiblichkeit und sinnliche Erfahrung werden in der spirituellen Praxis integriert und sublimiert, was einer „inkarnierten" Spiritualität entspricht.

6. Die Bedeutung einer spirituellen Tradition, die von Meister (Guru) zu Schüler weitergegeben wird in Initiation und geistiger Führung, ist zentral. Leider ist bei uns nur der Mißbrauch des Gura-Kultes bekannt.

7. Die Vielfalt der spirituellen Wege im Hinduismus, die der jeweiligen geistigen Stufe des Suchenden angepaßt sind, ermöglicht einen echten Pluralismus, der nur von einer modernen Form des Fundamentalis-' mus geleugnet wird. Das bedeutet, daß der religiöse Pluralismus nur auf der Basis der Spiritualität gerechtfertigt ist.

In der Begegnung mit dieser Spiritualität können nun gewisse Gefahren auftauchen.

1. In beiden Traditionen, der indischen wie der christlichen, spielt die „Unterscheidung der Geister", viveka und diakrisis, eine große Rolle, ohne die jeder spirituelle Weg gefährlich sein kann. Das betrifft auch die Unterscheidung zwischen authentischen Meistern und Pseudo-Gurus.

2. Wir - ob Christen oder vom Christentum entfernte Abendländer -können uns von der indischen Spiritualität inspirieren, korrigieren und ergänzen lassen, doch hat es wenig Sinn, sie nachzuahmen; dies kann nicht tief gehen. Vielmehr geht es darum, die andere Spiritualität in den eigenen Hintergrund zu integrieren.

3. Die Gefahr des religiösen Supermarktes ist groß - „pick and choose ...

and pay!" Spiritualität kann nicht wie ein Produkt der Marktwirtschaft behandelt werden, und das Springen von Yoga zu Schamanismus, von Zen zu Tantra und so fort schadet sowohl der geistigen Gesundheit des Übenden - wenn es sich nicht um bloße Neugier handelt - wie der Echtheit der Tradition.

4. Eine große Gefahr bei der Übernahme östlicher religiöser Praktiken ist die Vernachlässigung der moralischen Voraussetzungen der Spiritualität. Yoga zum Beispiel beginnt mit den äußeren und inneren Disziplinen (Yama und Niyama), ohne die die

Versenkung keine Basis hat. Diese moralischen Bedingungen werden auf dem spirituellen Markt kaum je berücksichtigt.

5. Jede spirituelle Tradition muß als solche ernstgenommen werden, man kann nicht einfach Elemente daraus nehmen, ohne den gesamten, auch philosophisch-theologischen Hintergrund zu berücksichtigen.

6. Die Gefahr der Vermischung des Spirituellen mit dem Materiellen und Psychischen („spiritueller Materialismus") ist groß. Diese drei Bereiche sind miteinander verbunden, dürfen aber nicht verwechselt werden.

7. Eine andere Gefahr besteht da-

rin, Spiritualität mit Technik oder Methode zu verwechseln. Man möchte mit Hilfe einer geistigen Technik die spirituelle Erfahrung „in den Griff bekommen", obwohl sie immer nur reines Geschenk und Gnade ist.

8. Die Gefahr des Exhibitionismus ist oft in sogenannten esoterischen Kreisen gegeben. Jede echte spirituelle Tradition warnt davor, über spirituelle Erfahrungen zu sprechen, außer mit einem erfahrenen Meister.

Es besteht kein Zeifel, daß die „esoterische Welle" einem echten Bedürfnis nach Spiritualität entspricht, doch sind dabei zwei Extreme zu vermeiden: Die Angst vor den Formen östlicher Spiritualität, die vor allem in christlichen Kreisen zu verspüren ist, auf der einen Seite und eine unkritische Annahme spiritueller Praktiken und deren Vermischung auf der anderen.

In der heutigen geistigen Situation stellt die Begegnung der Religionen eine Herausforderung und Chance dar. Sie kann nur genützt werden, wenn größtmögliche Offenheit mit einem Sinn für geistige Unterscheidung gepaart ist. Dann ist es möglich, voneinander zu lernen, sich inspirieren und ergänzen zu lassen und in einen echten, nicht nur äußeren, sondern auch inneren Dialog zu treten, ohne die eigene Identität aufzugeben.

Die Autorin ist

Religionsphilosophin und lebt in Varanasi (Indien).

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