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„Yoga für Christen”

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Fast zu rasch und aufdringlich und daher verdächtig des Snobismus sind wir Europäer derzeit mit den Methoden des indischen Yoga vertraut geworden. Wir sind uns zwar bewußt, daß wir „Yoga” übersetzen müssen in unsere Zonen und unsere Mentalität, und spüren, daß wir dabei notwendigerweise Fälschungen vornehmen. Aber wenn wir die verschiedenen Arten des Yoga als bloße „Methoden” verstehen und handhaben, dann entdecken wir, daß auch unser westliches Leben schon immer und für uns unbewußt von diesen Wegen des Geistes belebt war. Die katholische Liturgie, die Riten des Opfermysteriums und des monastischen Gebetes und in wenigen Einzelformen auch das religiöse Ritual des Laien leben in Formen, die wir in den Yoga-Vorschriften (oft mit wörtlicher Gleichheit) vorfinden. Die Oratestellung des betenden Priesters, das Kreuzzeichen, die Verbeugungen bei kultischen Handlungen u. dgl. haben neben dem symbolischen Sinn auch eine Yoga-Bedeutung. — Zunächst ist hier das „Hattha-Yoga” gemeint: die Hebung äußerer Geste. Für uns Westler klingt diese Yoga-Art an sportliche Freiübungen und an solche mit medizinisch-therapeutischer Tendenz an. Von Sport und medizinischer Therapie unterscheidet sich aber das Yoga-Unternehmen im Ziele: Yoga will zur Konzentration des Geistes beitragen; der menschliche Körper soll bei der geistigen-geistlichen Sammlung nicht nur nicht stören, sondern als Gefäß des Geistes geistige Innerlichkeit fördern. Sport will Beherrschung des Körpers und der Körperkräfte; therapeutisches Turnen dient zur Gesundung des Körpers. Yoga will die Beherrschung und Gesundung unserer geistigen Kräfte unterstützen. Darum ist es kein Wunder, wenn geistig-religiös Interessierte sich diesen Methoden zuwenden. Vor allem deswegen, weil wir der moralischen Anstrengung müde geworden sind, von der wir erfahren haben, daß sie uns nicht von unserem „Typ” löst und unsere moralische Vollkommenheit nicht gewährt und unsere religiöse Innigkeit leerlaufen läßt. Wer „Religiosität” nur moralisch versteht, wird mit Yoga nichts anzufangen wissen. Wer aber unter „Religiosität3 den unmittelbaren Kontakt mit dem Göttlichen meint, wird durch diese Art der Körperbeherrschung angesprochen werden. Es scheint sich — alle möglichen Zweifel eingerechnet — unsere Zeit von der „moralischen Religiosität” weg zur „religiösen Religiosität hinzuwenden. Ein Beweis dafür ist das Interesse am Kultmysterium und der Anteilnahme der Laien am heiligen Opfer; ebenso die spürbare Nähe und Ansprechbarkeit weiterer Kreise auch der Laienwelt für „Mystik” (selbst wenn diese noch sehr unzureichend und mit vielen Mißverständnissen praktiziert wird).

Mehrere katholische Publikationen beschäftigen sich bereits mit „Yoga für Christen”. Unter diesem Titel hat der belgische Benediktiner J. M. D ė- c h a n e t ein Buch herausgegeben, das nun in der Uebersetzung vorliegt. (J. M. Dėchanet OSB.: „Yoga für Christen.” Die Schule des Schweigens. Verlag Räber, Luzern. 184 Seiten. Preis 7 sfrs. Uebersetzt aus dem Französischen von Hermann Affolter.) Dieses Buch stammt aus der Erfahrung eines katholischen Mönches und will diese an Mönche und Laien weitergeben. Der Verfasser macht auf den grundlegenden Unterschied zwischen indischem und christlichem Yoga aufmerksam: während der Inder sich auf sich selbst und damit auch auf das All konzentriert, sammelt sich der Christ auf den stets anwesenden „Gott und Vater Jesu Christi”. Sich zu sammeln ist beiden gleich: das Worauf des Sich- Sammelns unterscheidet beide. Als Versuch ist das vorliegende Buch geglückt. Leider nicht sehr deutlich sind die Anweisungen zu den verschiedenen „Positionen”, den Uebungen. Der Zusammenhang zwischen Atmen und den diversen Körperhaltungen ist zu wenig ausgearbeitet und betont. Das mag an der Vorsicht liegen, mit der der Verfasser schreibt und die er den Uebenden und Anfangenden nicht genügend ans Herz legen kann. In der Uebersetzung wird notgedrungen das, was im Original deutlich ist, weniger deutlich; aber der Antrieb und der Geschmack zum Beginn werden dem Leser doch eindringlich vermittelt. Da es sich bei Hattha-Yoga um persönlich-individuelle Uebung handelt, muß die eigene Erfahrung immer das ergänzen, was der „Meister” nicht lehrte. Wir werden noch viele andere Erfahrene zu Worte kommen lassen müssen, um ein System der geistigen Sammlung für den Westen herauszuarbeiten, wie es für den ostischen Menschen bereits seit Jahrhunderten gilt. Die gemeinsame menschlich-natürliche Grundlage genügt dabei nicht; auch die bereits genannten Ansätze, die aber aus unserer bewußten Kenntnis geraten sind, genügen nicht. Wir müssen das Unsrige-Alte und das Asiatisch-Traditionelle in neuer Erfahrung wieder in Besitz nehmen. — Dem Buche Dėchanets wünscht man weitestgehende Verbreitung: damit der gesammelte Beter für Gott und für die europäische Welt wiedererstehe.

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