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Die Religionsphilosophie Othmar Spanns

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Die moderne Religionsforschung sah es als eine ihrer Aufgaben an, zwischen Christentum und anderen Religionen Analogien aufzudecken, um dann zu dem kühnen, wenn auch unlogischen Schluß vorzustoßen, daß die christlichen Glaubensartikel entlehntes Gut darstellen, das auf fremdem Boden gewachsen ist. Solchen Bestrebungen ist die „R e 1 i g i o n s p h i 1 o s o p h i e“ Othmar Spanns (Gallusverlag, Wien) diametral entgegengesetzt. Für ihn beweisen Übereinstimmungen zwischen verschiedenen Religionen nur eins: daß alle Religionen auf letzten gemeinsamen Wahrheiten gegründet sind. Übereinstimmungen müssen also bestehen. Ein vergleichendes Verfahren führt aber zur Erkenntnis, daß jene Grundwahrheiten, auf denen alle Religionen basieren, im Christentum ihre erhabenste und niemals zu überbietende Ausprägung gefunden haben. Unsere Kritik wird nachher zeigen, ob die Wege einwandfrei sind, auf denen Spann zu seiner Position kömmt.

Die Ausführungen Spanns verlaufen auf der folgenden Linie: Entscheidend für die Grundlegung der Religion ist die Mystik. Ihr Wesen ist unmittelbares geistiges Erleben, ihr Gegenstand die Rüdeverbundenheit in Gott. Im Begriff der Rückverbundenheit liegt ausgedrückt, daß die Seele von Gott getragen und durchdrungen ist; daß Gott den Seinsgrund der Seele bildet. Die Mystik vollzieht sich auf zwei Stufen. Zur ersten gehören die alltäglichen Erlebnisse des Geistes: das unmittelbare Lieben, das unmittelbare Begreifen einer Wahrheit usw.; doch bleibt hier die Rückverbundenheit noch dunkel. Erst auf der zweiten Stufe, in den höheren Geisteszuständen der Verzückung und mystischen Einigung, wird die Rüdeverbundenheit bewußt erlebt, wird das absolute Sein am Seclengrund formlos geschaut. Aus diesem Erlebnis entspringen die Grundwahrheiten oder ursprünglichen Kategorien: aus der Einheit des Seelengrundes mit Gott ergibt sich die Gottverwandtschaft der Seele; aus dem mystischen Bewußtsein, daß der Seelengrund zugleich Weltgrund sei, die Einheit von Gott und Welt; mit der Gottyerwandtschaft ist die Unsterblichkeit der Seele gegeben.

Den ursprünglichen Kategorien schließen sich die abgeleiteten an. Zuerst ist der Gottesbegriff zu erwähnen; die unmittelbare Schau des Absoluten war ja formlos. Dann folgt der Erlösungsbegriff, der aus dem Vergleich der mystischen Wonnen mit den Leiden der empirischen Welt geschöpft wird. Die Tatsache unseres Verstricktseins in den Übeln dieser Welt führt zur Kategorie der Ursdiuld. Ihr sdiließt sich die des Heils an, das im jenseitigen Leben erblickt wird, wo die Seele mystische Freuden genießt. Aus dem Bewußtsein unserer eigenen Unzulänglichkeit und aus der Ganzheitsbetrachtung, die besagt, ein Glied könne für das andere wirken, resultieren die Kategorien des Mittlertums und der Stellvertretung.

Aus diesen Voraussetzungen wird von Spann die Folgerung gezogen: „Nur die wenigen Menschen, denen mystische Erfahrungen zuteil werden, sind ursprüngliche Träger des Gottesbewußtseins. Alle anderen werden erst durch sie entweder zur echten .Nachempfindung angeregt oder zu einer mehr oder weniger aufrichtigen äußerlichen Nachfolge veranlaßt“ (S. 71). Damit ist auch gesagt, daß alle Religions- gründunigen auf mystischer Erfahrung beruhen.

Ist schon mit den Ausdeutungsmöglichkeiten der Kategorien eine Mehrzahl monotheistischer Religionen gegeben, so schiebt sich als eigentlich differenzierender Faktor die Magie ein. Magische Erfahrung bedeutet das Bewußtsein der Rückverbundenheit in nichtgöttlichen Zentren, wie es die Naturgewalten, der kosmische Himmel und die Gestirne sind. Wenn der Mensch von der hohen Ebene mystischer Erlebnisse auf die der magischen Erfahrung herabsinkt, schlägt die Geburtsstunde des Polytheismus. Magie erschöpft sich aber nicht im angedeuteten Rüdkverbundenheitsbewußtsein. Wie in der Mystik der Mensch durch Gebet auf Gott einzuwirken sucht, so trachtet der Magier durch verschiedene Praktiken, sich die nichtgöttlichen Zentren dienstbar zu machen, und es kommt zur Ausbildung der niederen Religionsformen. In der Magie spie, len Versenkung und Entsprechung eine bedeutsame Rolle. Ähnlich wie durch Hypnose der Mensch auf einen ändern wirkt und ihn zu erhöhter Tätigkeit anspornt, so kann er durch magische Versenkung auf die immateriellen Kerne, die in allen Dingen sind, Einfluß nehmen und damit die Dinge, innerhalb der Grenzen ihrer angestammten Befähigungen zu erhöhter Tätigkeit anfeuern. Hiemit ist auch das Wesen des Wunders beleuchtet. Und da alle Religionsstifter über magische Kräfte verfügten, sind sic alle Wundertäter gewesen. Mit der „Entsprechung“ ist ein konkretes Symbol gemeint, durch das ein Ding oder ein Gott dargestellt wird und dessen Aufgabe es ist, empfangene Einflüsse auf Dingė und Götter weiterzuleiten. Auf Grund der Einheit und Ganzheit des Kosmos sieht Spann die Idee der Entsprechung als berechtigt an. Selbst bei den monotheistischen Religionen finden wir Entsprechungsbilder in den Riten, Opfern und Sakramenten. Sie sind dazu bestimmt, auf Gott einen magischen Zwang auszuüben, damit er „die Teilnahme an seinem Leben und daß er seine Gaben gewähre“ (S. 244).

Ein letzter Faktor, der sich bestimmend auf die Ausgestaltung der Religionen auswirkt, ist die Offenbarung. Die grundlegende Offenbarungstat vollzieht sich in der Erweckung religiöser Begabungen und geht somit den erhöhten Geisteszuständen der Mystik voraus. Die inneren Eingebungen, die nun folgen, sind letzterdings mit dem Erlebnis der mystischen Grundwahrheiten identisch und werden jeweils nach dem Grad der religiösen Begabung mehr oder weniger vollkommen erfaßt. „Alles in allem genommen, ergibt sich nun die befreiende Einsicht, daß im mystischen Grunde die Religionen überall einen gleichartigen Urgehalt aufweisen; die Religionen aber dort, wo sie verschieden sind, nicht allein durch die individuellen Besonderheiten der Religionsstifter und die Eigenarten der Kulturen ihrer Zeiten und Völker, sondern darüber hinaus insbesondere durch die Magie mit ihren Willkürlichkeiten und Entstellungen voneinander getrennt werden" (S. 271).

Am Ende seiner „Religionsphilosophie“ schiebt Spann einige Kapitel ein, die der philosophischen Betrachtung des Christentums gewidmet sind. Sein Hauptaugenmerk ist darauf gelenkt, die vollkommene Widerspiegelung der religiösen Kategorien im

Christentum aufzuzeigen und damit den endgültigen Vorrang des Christentums festzulegen. Im System Spanns ist Vs nur konsequent, daß der Person Christ? kein zentrales Interesse eingeräumt wird. Tatsächlich leugnet er, daß Christus im Sinn des katholischen Dogmas Gott ist. Das Buch schließt mit einer Ausdeutung des Prologs zum Johannesevangelium.

In der „Religionsphilosophie" Spanns ist das Ethos anerkennenswert, mit dem er sich zur Religion bekennt und zu ihren versdiütteten Quellen zurückführen will. Gewiß liegt etwas Tiefes im Gedanken, daß die Religionen ein Gemeinsames enthalten müssen. Sind sie doch menschliche und göttliche Antwort auf die existentielle Problematik, die überall aufglüht, wo sich ein Mensch in dieser Welt unbeheimatet und ausgesetzt weiß. Trotzdem möchten wir hinter die auffallende Betonung des Mystischen ein Fragezeichen setzen. Nicht die Rück verbünd?!', heit in mystischen Erhebun gen scheint uns das ursprüngliche Erlebnis zu sein, sondern die Kontingenz, das Erlebnis des Verloren- und Haltlosseius, dem der Ruf nach endgültiger Sinngebung und Geborgenheit folgt. Von hier aus gewinnt der Mensch intuitiv, ohne syllogistisehe Ausarbeitung der Prämissen, erstmalig den Begriff eines absoluten Wesens. Unterstützt ird die Gewinnung des Gottesbegriffs vom Gewissen her, das auf Grund des unbedingt verpflichtenden Sittengesetzes auf einen höchsten Gesetzgeber hinweist. Diese Auffassung scheint uns schon deshalb die richtige zu sein, da die höhere Mystik die Krönung eines langdauernden Gebetslebens ist. Gebetsleben setzt aber Gotteserkenntnis voraus. — Zur Erhärtung seiner Theorie möchte Spann unter Benützung zahlreicher Texte dartun, daß alle Religionsstifter beim Aufbau ihres Lehrgebäudes aus mystischer Erfahrung schöpften. Beweisen aber Zitate aus den Upamschaden, dem Koran, den Lehren Zarathustras überhaupt etwas? Es ist eine Tatsache, daß tiefsinnige Worte über Gott und Gottesliebe auch von Men- lchen geschrieben werden können' die keine Mystiker sind. Außerdem gibt es so etwas wie unechte Mystik. Der Prüfstein für echte Mystik liegt in der eigenartigen Umgestaltung des Lebens, die sie vornimmt. Was wissen wir aber vom Leben der Männer, die die Dichter der Upanisdiaden waren? Was vom Leben Zarathustras? Mohammed, der Mystiker, wird immer eine fragwürdige Gestalt bleiben. Und obwohl wir nicht zu jenen gehören, die Luther ein echt empfundenes religiöses Anliegen absprechen, so ist es uns neu, daß er aus den Zuständen der Verzückung und mystischen Einigung geschöpft haben soll. Man kann sich somit nicht des Eindrucks erwehren, daß die Grundlagen der „Religionsphilosophie“ Spanns aus sehr brüchigem Material gebaut sind.

Spann kommt zu interessanten Ergebnissen, wo er den Begriff der Magie verwendet, um Licht in das Gewirr der Religionen zu tragen. Doch scheint uns seine Lehre von den immateriellen Kernen, die selbst in den unbelebten Dingen haften sollen, jeder wissenschaftlichen Grundlage zu entbehren. Daß Spann sich hier den Weg Zürn Verständnis des Wunders verbaut hat, liegt auf der Hand. Bei einer Einsichtnahme in die reichhaltige Literatur, die sich mit dem Wunder befaßt, hätte er leicht erfahren können, daß es sich beim erstrangigen Wunder um etwas handelt, das seinem Wert nach einer Schöpfung aus dem Nichts gleichkommt. Da nur Gott aus dem Nichts schaffen kann, ist er der unmittelbare Urheber des Wunders. — Spann hat den Begriff der Offenbarung in einen zu kümmerlichen Rahmen hineingezwängt. Die Frage, die zu behandeln gewesen wäre, ist, ob Gott dem Menschen auch Urteile und Sätze zufließen lassen kann. Wenn ja — (und warum sollte es der Allmächtige nicht vermögen?) —, erhebt sich die Frage, wie die Menschheit die Lehren eines Religionsstifters als göttliche Offenbarung erkennen kann. Hier zeigt sich die Bedeutung des Wunders in ihrer ganzen Wucht. Denn um die Tatsache göttlicher Offenbarung . darzutun, genügen menschliche Beweise nicht. Der Mensch kann täuschen. Es muß also ein göttlicher Beweis gefordert werden. Und der ist im Wunder gegeben, das seinem Wesen nach jenseits der Kräfte der geschaffenen Natur liegt. Nachdem nun einmal das Christentum mit dem Anspruch auf tritt, Offenbarungsreligion in unserem Sinn zu sein, so muß die Religionsphilosophie grundsätzlich die Möglichkeit einer solchen Offenbarung erwägen und Kriterien aufstellen, mit deren Hilfe ihre Tatsächlichkeit erwiesen werden kann.

Iri dem System, das uns Spann bietet, herrscht kein wesentlicher Unterschied zwischen den monotheistischen Religionen. Und es ist nicht einzusehen, warum ein Mensch nicht ebensogut Buddhist oder Mohammedaner wie Christ sein kann. Die Antwort Spanns, man müsse Christ sein,

weil das Christentum die hervorragendste Widerspiegelung der religiösen Grundwahrheiten sei, ist nicht überzeugend. Denn wo besteht die ethische Verpflichtung, daß man immer das Vollkommenste wählen muß, wenn das weniger Vollkommene noch immer gut ist? Christus machte das ewige Schicksal des Menschen von der gläubigen Annahme seiner Lehre abhängig. Vielleicht drückt sich in den Worten Christi doch etwas Tieferes aus als nur die „individuelle Besonderheit“ eines Menschen, der zugleich ein Religionsstifter war.

Auch mit der Ansicht, daß Riten und Sakramente magischen Ursprungs sind, können wir uns nicht einverstanden erklären. Denn nicht nur die Seele, sondern der ganze, aus Seele und Leib bestehende Mensch ist zur Ausübung der Religion verpflichtet. Das Sinnfällige wird darum eine Rolle spielen; und zwar in erhöhtem Maße, wenn der Mensch gemeinschaftlich mit anderen die Religion ausübt. Riten und äußere Gesten ergeben sich von selbst. Wie wenig sie Magie bedeuten müssen, erhellt aus dem Umstand, daß sie auch bei der Anbetung und dem Dankgebet auftreten. Bezüglich gerade bei uns nicht übersehen werden. Wenn in unmittelbar angrenzenden Ländern Bischöfe zum Tode verurteilt oder eingekerkert werden, wenn neben uns „Liquidationen" ganzer Landeskirchen laufen, wenn sogar in Italien erschreckend deutliche Frontlinien aufgerissen sind, kann der Katholizismus in Österreich nicht annehmen, mit konzilianten Formulierungen oder abwartendem Schweigen aus der großen Diskussion bleiben zu können. So konsequent speziell die Seelsorge aus dam politischen Tageskampf herausbleiben muß und sich auf ihre stets aktueller werdenden Heilsaufgaben konzentrieren will, sie wird die Auswirkungen der weltanschaulichen Neugruppierung besonders scharf erfahren und den neuen Anforderungen entscheidungsschwer gewachsen sein müssen. Vor dieser kommenden Bewährung tut es zweifellos not, sich darüber Rechenschaft zu geben, mit welchen Leitgedanken und Methoden die ähnlich gelagerten Aufgaben des Kulturkampfes nach 1938 gemeistert wurden.

So kommt das Buch von Dr. Karl R u- dolf: ,,Aufbau im Widerstand —

der Sakramente genüge der Hinweis, daß sie nach dem Glauben der Kirche von Gott eingesetzt sind und daß er selbst die primäre Ursache der Wirkungen ist, die durch die Sakramente angedeutet werden. E eshalb sind die Sakramente in keiner Weise als Magie gedacht.

Am Buche Spanns ließe sich noch vieles kritisieren. Sich bei der Erörterung des Seinsgrundes auf den Ausspruch des Aqui- naten „Deus est esse“ zu berufen, geht wohl nicht an. Denn der Aquinate würde erwidern, daß Gott Sein ist, auch wenn er nie etwas geschaffen hätte. Bei der Ausdeutung des Johannes-Prologs hätte der Verfasser mehr Wert auf das Befragen der exegetischen Literatur legen sollen. Im allgemeinen wäre eine klarere Terminologie wünschenswert. Der Verfasser liebt es, in den dunklen Ausdrücken der Mystiker zu reden. Wäre es nicht Aufgabe des Philosophen, diese Ausdrücke so weit als möglich in geschliffene Begriffe zu fassen?

An den guten Absichten des Verfassers zweifeln wir nicht. Um so mehr tut es uns leid, daß wir von seinem Buch so enttäuscht sind.

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