Yoga: Global gedehnt und gestreckt
Das Unbehagen an der westlichen Kultur beflügelte einst die Hinwendung zu Yoga und zur Meditation. Ein Fall von kultureller Aneignung: Wie ist sie verlaufen?
Das Unbehagen an der westlichen Kultur beflügelte einst die Hinwendung zu Yoga und zur Meditation. Ein Fall von kultureller Aneignung: Wie ist sie verlaufen?
Sie ist ernst und lächerlich zugleich: die Debatte um kulturelle Aneignung. Immer wieder lauert sie im Hintergrund; egal ob weiße Musiker mit Dreadlocks auftreten, Luxusmarken wie Louis Vuitton indigene Muster auf ihre Produkte drucken oder im nächsten Fasching die Frage verhandelt wird, ob man sich das Gesicht schwarz schminken darf.
Dass in dieser Debatte ethische Kriterien maßgeblich sind, wurde in der FURCHE mit Verweis auf Jens Balzers Buch „Ethik der Appropriation“ (2022) ausführlich argumentiert. Die heikle Frage lautet demnach: Wie kann Aneignung vonstatten gehen, ohne dabei repressiv und ausbeuterisch zu sein – und alte sowie neue Dominanzverhältnisse zu vermeiden? Denn Kultur ist ein dynamischer Prozess, und eine Welt ohne kulturelle Aneignung ist im Prinzip gar nicht vorstellbar: „Fußball dürfte dann nur von Engländern, klassische Musik nur von Europäern gespielt und ‚Blue Jeans‘ nur von Amerikanern getragen werden“, sagte die deutsche Ethnologin Susanne Schröter zur DPA.
Analog dazu wäre es absurd, Yoga nur den Indern vorzubehalten und Achtsamkeit aus Kliniken, Schulen oder Praxisräumen zu verbannen, weil sie historisch aus dem Buddhismus „angeeignet“ wurde. Doch es ist wichtig, auch Yoga- und Meditationspraktiken vor dem Hintergrund dieser Debatte zu beleuchten.
Yoga: Indiens Geschenk an die Menschheit
„Atmet weiter, so schnell ihr könnt!“ Ein Mann mit langem Zopf und nacktem Oberkörper steht vor einer Masse von Konzertbesuchern. „Entspannt euch und fühlt die Energie!“ Zahlreiche Menschen beim Rock-Festival in Woodstock 1969 folgen seinen Anleitungen. Das erklärte Ziel: Mit Kundalini-Yoga „high“ zu werden. So wie die Asketen, die über Jahrtausende mit Atem- und Körperübungen experimentiert haben. Der Ober-Yogi macht es vor und zieht gierig die Luft durch seine Nasenlöcher. Die Teilnehmer liegen verstreut im Gras und hecheln im Bauchraum, um ihren Körper von Blockaden zu befreien und die Energiekanäle zu öffnen – die Voraussetzung für den ersehnten „Flash“ im Kopf.
Diese Szene aus dem Dokumentarfilm „Woodstock“ (1970) ist typisch für die westliche Yoga-Rezeption in den späten 1960er-Jahren. Die Aneignung von spirituellen Praktiken des Ostens signalisierte damals ein alternatives Lebensmodell, die Abkehr von der Konsumkultur, Ausstieg und Protest.
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