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Vorsicht bei Paranormalem
Es war vor elf Jahren. Ich bin damals als Student von Va-ranasi aus zu einem riesigen Pilgertreffen am mittleren Ganges gefahren.
Im Bus lernte ich einen jungen französischen Arzt kennen, der dort Tantra Yogis besuchen wollte, die magische Fähigkeiten haben. Wir entschieden uns zur gemeinsamen Fahrt. Am Ziel unserer Beise angekommen saßen wir lange im Zelt so eines Tantriker und sprachen über Übliches und Unübliches.
Am Ende der Unterhaltung geschah etwas ganz Merkwürdiges. Der Mann, der mit nacktem Oberkörper da vor uns gesessen hatte, streckte die Hände mit den Handflächen nach oben aus und plötzlich waren diese gefüllt mit einem kleinen Berg feiner Asche. Der Franzose sagte mir, „das können die”, und es sei ein besonderes Geschenk, das es aufzubewahren gilt. Er nahm eine Handvoll dieser, aus dem Nichts materialisierten Asche entgegen.
Für gläubige Hindus sind diese paranormalen Fähigkeiten, „sidd-his” genannt, durchaus vereinbar mit ihrer Vorstellung von Welt, Gott und Spiritualität. Für einen aufgeklärten westeuropäischen Verstand hingegen ist so ein Erlebnis ein kleiner Schock. Sofort mobilisiert man alle rationalen Geisteskräfte, um sich so etwas zu erklären: Ein Wunder! Magie! ein Trick?... Auch wenn wir religiös oder gar spirituell interessiert sind, wir können nicht anders als zweifeln.
Unser modernes Weltbild, das ja naturwissenschaftlich geprägt ist,* kann so eine „Materialisation” auf keinen Fall unwidersprochen hinnehmen, es käme dadurch selbst ins
Wanken. Und genau das ist der springende Punkt.
Seit sich der europäische Mensch aus den Niederungen des „dunklen” Mittelalters befreit hat, ist die Wahrheitsfindung punkto Übernatürliches problematisch geworden. Bene Descartes (1596-1650), der Begründer des modernen Weltbildes, stellte damals das Prinzip des Zweifels an die oberste Stelle aller Überlegungen. Was bezweifelt werden kann - und das ist fast alles -, muß bewiesen werden! Die Beweis- und Nachvollziehbarkeit aber schließt die Welt des Paranörmalen aus beziehungsweise trennt die mittelalterliche Welt in eine objektive und subjektive, in Wirklichkeit und Illusion.
Das naturwissenschaftlich beweisbare Weltbild ist heute, und das ist kein Geheimnis mehr, brüchig geworden. Der Mensch sehnt sich nach einer Welt die „mehr” ist, als eine, die in ein kartesisches Koordinaten-
System zu zwingen ist. Diese Sehnsucht ist prinzipiell sicher gut. Doch wie damit umgehen, wo doch die Berechenbarkeit allererste Methode in der Wissenschaft geworden ist? Die Beantwortung dieser fundamentalen Frage, die auch in die Welt des Glaubens hineinreicht, wird dieser und den nächsten Generationen ein Anliegen sein müssen.
Im Besitz einer solchen Antwort sind wir jedoch (noch) nicht. Der Neid der Besitzlosen wird aber umso größer, wenn wir bei anderen Kulturen auf solche Antworten stoßen oder gar Empfehlungen für das Verhalten gegenüber paranormalen Fähigkeiten vorfinden. So heißt es zum Beispiel bei den frühen christlichen Wüstenvätern, die tiefe Meditation und Kontemplation praktizierten: Achtung bei solchen Erscheinungen! Wenn der Mönch in der Tiefe seines Gebets eine Vision hat, oder Stimmen zu hören beginnt oder eben Erkenntnisse jedweglicher Art erlangt, so soll er auf der Hut sein. Zumal er nicht weiß, woher all dies kommt.
Wenn solche Erfahrungen vom Bösen kommen, dann sind sie heimtückisch und gefährlich. Wenn sie jedoch von Gott selber herrühren, so helfen sie dennoch nichts, weil sie nur ablenken vom Eigentlichen. (Nachzulesen in der Philokalie, Belehrungen der Mönchsväter.) Oder wir hören, was die Yoga-Sutras der Hindus darüber zu sagen haben.
Dort wird der Yogi eindrücklich gewarnt, solche paranormale Fähigkeiten anzustreben oder damit zu hantieren. Sie machen nur stolz, machtgierig, hochmütig, oder einfach verrückt. Sie blähen das Ego auf und gefährden das Ziel des spirituellen Weges. (Patanjali, Yoga Sutras, 2. Jh. v. Chr.).
Wenn nun schon die alten Meister davor warnen, dann ist heute erst recht Vorsicht geboten im Umgang mit dem Paranormalen. Die Aufklärung hat uns Menschen zweifelsohne enorm viel Positives gebracht.
Eines jedoch kann sie uns nicht abnehmen. Wir sehen heute in zunehmendem Maße ein, daß zwischen Himmel und Erde „mehr” ist, als wir uns vorstellen können. Wir stehen mittendrinnen in der Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Esoterik und des Okkultismus. Das Grundprinzip all unserer Bemühungen aber muß sein die Vorsicht und - paradoxerweise gerade hier - der kartesianische Zweifel.
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