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Der Guru will die Welt erobern

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Droht den Demokratien eine gewaltige und gewaltsame Auseinandersetzung mit „Welteroberern” unterschiedlichster Herkunft?

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Droht den Demokratien eine gewaltige und gewaltsame Auseinandersetzung mit „Welteroberern” unterschiedlichster Herkunft?

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Die geheimnisumwitterte AUM-Sekte beherrscht seit Wochen die Bildschirme Japans, ohne daß die Informationsflut Klärung gebracht hätte über die Ziele und die Aktivitäten dieser Vereinigung, die anscheinend einige der besten Talente der Naturwissenschaftler zu gewinnen vermochte. 60.000 Polizisten sind während der „Goldenen Woche” anfangs Mai damit befaßt, das reisende Publikum während der Feiertage von dem angedrohten Schrecken zu bewahren. In den gegen alle Vorschriften der Feuerwehr und der Baupolizei errichteten Bauten entdeckte die Polizei über 1.000 Fässer mit Chemikalien, mit denen man genug SARIN

Ereduzieren könnte, um die ganze evölkerung Japans auszurotten. 150 Anhänger wurden bis jetzt verhaftet, aber der große Guru Asahara gibt immer noch aus dem Untergrund Anweisungen an seine Jünger. Er soll vor zwei Jahren erblindet sein. Seine Persönlichkeit stellt Rätsel: handelt es sich um einen verrückten Spinner oder um einen Visionär, der die technischen und wissenschaftlichen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts vorausnimmt und als erster überhaupt in die politische Planung einbezieht?

Die Doktrin der Sekte ist keineswegs umwerfend. Man könnte meinen, der Guru hätte sich kürzlich in der Esoterik-Ausstellung im Messepalast in Wien bedient.

Von Wiedergeburt ist da die Rede, und der Guru beansprucht gleich, die Reinkarnation des historischen Buddha sowie des indischen Gottes Vishnu zu sein. Den Anhängern verleiht er „heilige Namen” aus dem buddhistischen Pantheon und will damit wohl ihr Wesen und ihre Aufgabe umschreiben; vielleicht aber anerkennt er sie auch als Wiedergeburten solcher Gottheiten. Er selbst sei vom Dalai Lama in alle Geheimnisse des Buddhismus eingeweiht worden. Sein Stellvertreter, der inzwischen ermordete Murai, soll von einem tibetanischen Mönch Zauberkräfte erworben haben.

Die Übungen zeigen Yoga-Stellungen, aber auch die graziösen Bewegungen des chinesischen Tai-chi-Turnens, wobei diese über alle Gymnastik hinaus auch magische Wirkungen erzielen sollen. Auch Zen-Meditation im Hocksitz wird praktiziert, und Heilfasten in solchem Ausmaß, daß die Polizei mehrere Personen wegen Unterernährung ins Spital einliefern mußte. Zur Initiation wird Drogenrausch durch Spritzen hervorgerufen. Abtrünnige aber werden durch Spritzen vor dem Absprung bewahrt und in Gefängnissen festgehalten. Um die geistliche Freiheit zu erreichen, wird der Adept von allen Besitztümern, bis zur Telefonkarte, erleichtert. Ein Drahtgeflecht, als Helm getragen, soll kosmische Strahlen einfangen und die okkulten Psi-Kräfte speichern. Kostenpunkt: eine Million Schilling.

Diese Lehren und Praktiken lassen sich aus dem Dunstkreis der New Age-Bewegung erklären.

Die politischen Zielsetzungen aber sind ein Gewirr von Genialität und Paranoia. Tatsache ist, daß der

Guru gegen 300 Naturwissenschaftler von Eliteuniversitäten absammelte und ihnen erstklassige Laboratorien einrichtete, wo sie die Herstellung von ABC-Waffen (Atom-, biologische, chemische Waffen) erforschen. SARIN, das die Deutschen im Zweiten Weltkrieg entwickelten, aber nie einsetzten, das in kleinsten Mengen tödlich wirkt, steht ihnen zur Verfügung. Killer-Bakterien besitzen sie offenbar auch. Über Atomwaffen beschaffen sie sich reiche Literatur.

Von Rußland importierten sie bereits einen Hubschrauber, ihre Handelsgesellschaft verhandelte aber auch über die Lieferung von MIG-Kampfflugzeugen und Panzern. Die Sekte warb zielbewußt in der Armee um Mitglieder und führte bereits im Geheimen des Nachts militärische Übungen durch. Die Polizei wurde auch unterwandert, sodaß rechtzeitig Warnungen eingingen, damit sie vor der Hausdurchsuchung belastende Dokumente durch den Reißwolf drehen konnten.

Welteroberung ist offenbar das Ziel des Visionäre. Beim großen Krieg, der noch vor Ende des Jahrtausends ausbrechen wird, können nur jene überleben, die entsprechende Vorbereitungen treffen. Nur ein

Viertel der Menschheit entrinnt Harmagedon. Dann werden chemische Düngemittel gebraucht um die Wüsten zu bebauen. Der Guru bildet bereits ein Schattenkabinett mit 20 Ministern, um die Regierung sofort zu übernehmen.

An sich könnte man solche Denkweisen dem psychopathologischen Bereich zuordnen, der zu allen Zeiten am Rande der Religionen in Erscheinung trat. Das wäre aber wohl zu einfach.

Wenn man die Milizen in Betracht zieht, die für Oklahomas Bomben-Angriff verantwortlich gemacht werden, oder an die Kriegsspiele des jungen Schimanek ün Österreich und seiner Genossen in Deutschland denkt, muß man sich fragen, ob da nicht weltweit unter verschiedenen Fahnen Kräfte antreten, die dem demokratischen Rechtsstaat den Kampf ansagen. In Japan überlegt man sich, ob diese Sekte überhaupt die Privilegien in Anspruch nehmen darf, die die Verfassung Religionsgemeinschaften gewährt. Der Befehl zur Auflösung wird diskutiert, obwohl es dafür keinen Präzedenzfall gibt.

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