7122158-1996_41_13.jpg
Digital In Arbeit

Der Glaube fur uns Weltbürger

Werbung
Werbung
Werbung

Meinen wir denselben Gott?” fragen in einem Buch dieses Titels (1994) zwei große Theologen in einem Streitgespräch: Pinchas Lapide der Jude und Baimon Panikkar, Christ und Wortführer im Dialog der Beligionen, stellen fest, daß die essentielle Antwort aller Beligionen Gott selber ist. Doch Gottes Selbstoffenbarungen und die Zugänge der Menschen zur Bealität Gottes sind voneinander verschieden.

Wer in einer multireligiösen Gesellschaft nach Orientierung und Gemeinsamkeiten sucht, tut gut daran den Begriff Religion genauer zu betrachten. Denn „Religion” ist immer schon Antwort der Menschen auf die göttliche Dimension. Diese Antwort ist eine sowohl theoretische als auch praktisch sozial strukturierte und organisierte. Etwas ganz anderes ist der, in einer Religion eingebettete, persönliche Vollzug, der Glaubensakt selbst. So kann ich ohne weiteres mit Shivaiten gemeinsam im Schweigen meditieren, sobald wir aber über das Erfahrene und Geglaubte zu sprechen beginnen, wird es oft mühsam. Eine verbindende Gemeinsamkeit der Religionen ist daher die Mystik.

Gerade die Mystiker, die spirituellen Menschen, können leichter eine gemeinsame Basis finden, als etwa die Amtsträger und Liturgen verschiedener Beligionen.

Obwohl keine Religion ohne Hierarchien und sozial verschieden eingeordnete Stände auskorflmt - was von übergeordnetem Standpunkt aus ja eine Gemeinsamkeit ist - finden sich auf eben dieser Ebene die meisten Spannungsfelder. Wir können aber feststellen, daß die Dialogbereitschaft zunimmt. Amtsträger, Theologen verschiedener Religionen, wie etwa des Buddhismus, des Christentums, des Islams und des Hinduismus sind in den letzten Jahrzehnten offen ins Gespräch getreten.

Gerade diese Dialogbereitschaft ist und wird die große Herausforderung sein, um die Schwelle zum dritten Jahrtausend optimistisch überschreiten zu können. Daß dabei große Verlustängste und Identitätskrisen vorhanden sind, zeigt uns der in allen Religionen angelegte Hang zum Funda-irfentalismus, zur Restauration.

Wie könnte es auch anders sein? Wo ein Wahrheitsanspruch vorhanden ist, wie im Falle von Christentum, Islam, Judentum, Buddhismus ..., da finden sich immer wieder allein seligmachende Selbsteinschätzungen; eine

Redaktionelle Gestaltung: Heiner Boberski

Gemeinsamkeit, die schon sehr vielen Menschen das lieben gekostet hat.

Abgesehen vom Hinduismus können wir bei allen Beligionen feststellen, daß sich nach einer sehr überzeugenden Gründungsphase früher oder später Dekadenzerscheinungen eingestellt habep. Beim Hinduismus, der Vedischen Beligion, ist uns die Gründerzeit historisch nicht zugänglich. Dennoch ist es aber auch hier der Fall, daß Erneuerungsbewegungen einer gesamten Beligion immer wieder zu Aufschwüngen und „Goldenen Zeiten” verholfen haben.

Diese Hoch-Zeiten einer Beligion sind großteils mit dem allen Beligionen bekannten imperialistischen Ge-stus verbunden. So hatte Kaiser Asho-ka Indien sicher nicht „light” budd-histifiziert; so gab es unter den Indianerstämmen Amerikas nicht immer nur friedliche Gründe, um die „heilige Pfeife” zu rauchen; und ist unsere eigene christliche Tradition nicht voll von machtorientierten Aberrationen? Zum Glück tauchen in allen Religionen immer wieder Heilige auf, die wie eine zweite Gründergestalt wirken, oder die an markanten Wegkreuzungen Richtungsweiser für alle, für Volk und Hierarchie sind. Solche Frauen und Männer sind die Leuchttürme jeder Religion.

Unter den vielen gemeinsamen

Geboten der Religionen nahm eines, das heute scheinbar mit keiner Heilsgeschichte mehr in Zusammenhang gebracht wird, eine besondere Stellung ein: das Zinsverbot. In keiner Religion der Welt war es erlaubt Zinsen zu nehmen. Hindus, Juden, Christen, Shintoisten waren moralisch verpflichtet, keinen Wucher zu betreiben! Was würde der sich selbst regulierende Markt heute dazu sagen, wenn sich die Menschheit auf dieses, in der Wurzel allen Religionen gemeinsame, Gebot besinnen würde?

In seinem Buch „Kurze Erzählung vom Antichrist” schreibt im Jahre 1900 der Philosoph und Visionär Wladimir Solowjow von einem gemeinsamen Feind, der die verschiedenen Konfessionen zur wahren Ökumene nötigt. Ähnliches ist eingetreten in unseren Tagen. Da wir ja heute fast alle AVeltbürger sind, ob als Touristen oder als Fern-Seher, können wir ohne Schwierigkeiten diagnostizieren, daß der Zahn unserer modernen Zeit stark an den Fundamenten jeder Religion zu nagen beginnt. Dort, wo die Errungenschaften der nordwestlichen Zivilisation auftauchen, (siehe der Film: Die Götter müssen verrückt sein), wird für alle Religionen eine große Verunsicherung spürbar. Die Globalisierungsfalle schnappt zu, und es wird nicht nur in Österreich, sondern auch in Indien, Nordafrika, in Israel und Japan ... für viele Menschen immer schwerer, das zu tun, was den Religionen ursprünglich gemeinsam ist: Eine heilige Schrift als eine „heilige” zu lesen, die archaischen Gottesdienste mit der Ganzheit der Existenz zu feiern, in die Tiefen des Gebetes hinabzutauchen, die Moralvorstellungen als Refreiung zu erleben ... Um dieser gemeinsamen Herausforderung gewachsen zu sein, bedarf es eines kleinsten gemeinsamen Nenners. Des guten Willens vieler, vor allem aber der Verantwortlichen innerhalb der Religionsgemeinschaften.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung