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Christus als Außenseiter

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Sekten gibt es nicht nur in den Industrieländern. Besonders viele religiöse Kleingruppen bestehen in Afrika, wo dieses Phänomen andere Ursachen hat als etwa in Europa.

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Sekten gibt es nicht nur in den Industrieländern. Besonders viele religiöse Kleingruppen bestehen in Afrika, wo dieses Phänomen andere Ursachen hat als etwa in Europa.

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Zu Beginn dieses Jahrhunderts gab es in Afrika viele neue religiöse Bewegungen. Die Afrikaner sollten wieder zu einer authentischen afrikanischen Religion finden. Die Kirchen wurden als weiße Religion, die von den Kolonisatoren ins Land gebracht worden war, abgelehnt. Religiöse Emanzipation und nationaler Aufstieg wurden gepredigt.

Eine Antwort auf koloniale Unterdrückung und Ausbeutung war der Kimbangismus in den zwanziger Jahren in Zaire. Die hauptsächlich von Frauen getragene Sekte Basole zwang die Männer, den Arbeitsplätzen bei den weißen Siedlern fernzubleiben und anstelle dessen in den kleinen Dörfern den Boden zu bestellen.Der Harrismus an der Elfenbeinküste schloß sich der unter den Afrikanern weit verbreiteten Ansicht an, daß der Glaube an Jesus Christus eine koloniale Einführung sei und somit eine kulturelle Entfremdung bedeute. In der Doktrin der Sekten, in ihren Ritualen spielt die Imagination, spielt der afrikanische Genius eine große Rolle.

Die Congomen und die Kitawala im Kongo und in Zaire berufen sich auf Jehova-Gott. Sie haben sich dem mit allen Mitteln geführten Kampf gegen die Weißen verschrieben. Der Mulelismus hat Ehrlichkeit, Achtung und Unterordnung zu seinen moralischen Prinzipien erhoben. Er lehnt die französische Sprache ab und drückt sich nur in der Lingala aus, er wendet sich gegen den Neokolonialismus, er erkennt die Intellektuellen und die Arbeiter nicht an und sieht allein in den Bauern ein revolutionäres Potential.

In Rwanda und Burundi gibt es die Abarokore, die Geretteten, und die Temperant d'Afrique. Sie lehnen es zum Beispiel ab, die Nationalhymne zu singen und begründen dies damit, daß ihnen die Bibel nur das Singen der Kirchenlieder erlaube. Die Abantus B'imana Bihama - die Leute Gottes, die bereuen — verbieten ihren Mitgliedern das Essen von Fleisch, und sie schicken ihre Kinder am Sabbat nicht in die Schule.

Die Mehrheit dieser Sekten basiert auf dem Christentum. Es gibt aber auch Sekten, die sowohl christliche als auch islamische Elemente haben, wie zum Beispiel die Cherubins und die Seraphins in Nigeria.

In Afrika waren religiöse und soziale Strukturen immer miteinander verbunden. Die sozio-öko-nomische Krise heute hat auch das Gleichgewicht der traditionellen Gesellschaft zerstört. Die Sekten als eine sozio-reügiöse Bewegung sehen sich als die einzigen Retter aus dieser Lage. Sie sind sensibel für das sozio-ökono-mische Elend der Masse und verstehen sich als die Bewahrer des afrikanischen kulturellen Erbes, welches die Kirche entfremdet hat.

Die Sekten kann man in zwei Gruppen zusammenfassen: Die eine Gruppe handelt im Rahmen einer religiösen Ablehnung des Christentums, die andere Gruppe hält die politischen Probleme für genauso wichtig wie die religiösen. Daraus lassen sich zwei Schwerpunkte für die „Befreiung” ableiten: ein religiös-kultureller und ein religiös-politischer. Diese beiden Tendenzen erklären auch das Auftreten so vieler Sekten. In Zaire gab es 1980 staatlichen Angaben zufolge 500 Sekten, in Kenia mehr als 800, die nicht institutionalisiert sind und mit Predigten auf Straßen und Plätzen öffentlich auftreten.

Wie interpretieren nun diese Sekten Christus, die Dreifaltigkeit, den Tod oder das Paradies und die Hölle?

Uber Christus sprechen sie in ihrer Liturgie nur an den „christlichen” Tagen wie Weihnachten, Karfreitag, Ostern... Manchmal verliert Christus seine zentrale Bedeutung, an seine Stelle treten traditionelle Glaubensinhalte, und manchmal ist Christus nur mehr ein Außenseiterphänomen. Manche Christuszüge bleiben erhalten, aber übertragen auf den Gründer der Sekte oder einen politischen nationalistischen Führer. Das Einbeziehen der Christusfigur ist nicht ein Zeichen der Integration in die europäische Kultur. Doch die Christusfigur läßt sich im Kampf gegen das soziale Elend oder gegen eine politische Ideologie gut einsetzen.

Die Sekten nehmen die Vorstellung von der Dreifaltigkeit nicht gut auf, sie sagen, daß es nur einen einzigen Gott gibt, er bestehe nicht aus irgendwelchen Personen, und niemand sei in ihm, er aber sei in allen von uns. Man könnte vermuten, daß diese Interpretation dem Islam entnommen ist. Das ist aber nicht richtig, weil die Schwarzafrikaner immer ein monotheistisches Gottesbild hatten. Viele Ausländer erkannten in den Symbolen eine polytheistische Konzeption; die Symbole aber verkörpern nicht Gott, sondern die Genien.

Für den Christen ist der Tod unabwendbar. Danach kommt das Paradies oder die Hölle. Viele Sekten akzeptieren diese Vorstellungen nicht. Sie stützen sich auf die traditionellen afrikanischen Religionen, in denen es keinen natürlichen Tod gibt. Der Tod ist der Einfluß übernatürlicher Kräfte, gegen die man kämpfen muß.

Zu diesen in Afrika entstandenen Sekten kamen Sekten aus Europa und Nordamerika: die Zeugen Jehovas, die Kinder Gottes, die Moon-Sekte, ,J.es Amis de l'Homme”, die „World Church of our Lord Jesus”... Ungeachtet ihrer Umstrittenheit konnten diese neuen Sekten in den städtischen Zentren und in manchen Dörfern Fuß fassen.

Die Vielfalt der Sekten in Afrika ergab sich aus dem Zusammentreffen dreier Krisen: einer Krise innerhalb der Kirche, einer Krise zwischen der christlichen afrikanischen Gesellschaft und der Kirche, die ihren Leuten in Afrika bis heute nicht die Möglichkeit gibt, das Evangelium auf ihre afrikanische Weise zu leben, und einer Krise der afrikanischen Gesellschaft.

Wie die Kirchen haben auch die Sekten Probleme mit den afrikanischen Politikern. Viele Sekten veranlassen ihre Anhänger, sich der politischen Autorität nicht unterzuordnen. Im Februar 1987 wurden in Angola 32 Anhänger der Sekte „World Church of our Lord Jesus” getötet, als sie gegen die Inhaftierung anderer Sektenmitglieder protestierten. In Malawi sind die Sekten wegen ihres zivilen Ungehorsams verboten.

Der größte Prozeß gegen Sekten in Schwarzafrika fand im Oktober 1986 in Rwanda statt. Mehr als 300 Anhänger von Sekten wurden zu langen Haftstrafen verurteüt. Sie wurden wegen Beleidigung der nationalen Flagge und wegen Aufhetzung der Bevölkerung gegen die Staatsmacht verurteilt.

Der Erfolg einer Evangelisierung Afrikas hängt von der Fähigkeit des Christentums ab, den alten afrikanischen animisti-schen Hintergrund zu integrieren. Darum bemüht sich der afrikanische Klerus. An der katholischen Fakultät in Kinschasa, Zaire, werden Forschungen über eine neue afrikanische Formulierung der christlichen Sendung betrieben. Die Liturgie und die Symbole basieren auf der zairischen Tradition, die Meßdiener tragen die traditionelle Kleidung mit der Haube, die das Kleid des „Leopardenmenschen” aus dem zairischen Animismus widerspiegelt. In Yaounde im Süden des Kamerun wurde ein Frauenkloster nach dem Muster eines traditionellen Dorfes gebaut und organisiert: kleine Hütten umrunden die Kirche, das Symbol des Häuptlings.

Die einzige Afrikanisierung, die der Vatikan akzeptiert, betrifft den Klerus und die Integration in das Dorf. Rom hat bis heute sein volles Einverständnis zu einer offiziellen Interpretation der liturgischen Rituale und der Theologie in bezug auf den afrikanischen animistischen Geist nicht gegeben: Diese Lage läßt das Christentum trotz der Zunahme in den letzten Jahren dem Geist Afrikas fremd bleiben.

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