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Afrika: Gnadenfrist für Missionare

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Mitten im sozialen, politischen und wirtschaftlichen Durcheinander in Afrika entwickelt sich eine selbstbewußte und engagierte Katholische Kirche, die weiß, wer sie ist.

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Mitten im sozialen, politischen und wirtschaftlichen Durcheinander in Afrika entwickelt sich eine selbstbewußte und engagierte Katholische Kirche, die weiß, wer sie ist.

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Mit der Gewährung der politischen Unabhängigkeit und dem Ereignis des II. Vatikanischen Konzils wurde die Suche nach eigener Identität zur vordringlichen Aufgabe der afrikanischen Kirche. Diese Suche wird stark beeinflußt, gefördert oder behindert durch die politischen Verhältnisse in den einzelnen Ländern.

Nachteilig in der Suche nach der eigenen Identität der afrikanischen Kirche wirkt sich die fi-

nanzielle Abhängigkeit von römischen oder anderen überseeischen Geldgebern aus. Dazu gesellen sich der berüchtigte Neo-Kolonialismus im wirtschaftlichen Bereich und die Vergötzung der westlichen Lebensweise. Mit der Forderung nach Identität entsteht auch eine gewisse Verunsicherung bei älteren Katholiken, welche in den alten (lateinischen) Riten, westlichen Liedern und alten kirchlichen Gebräuchen eine gewisse Sicherheit und geistliche Heimat gefunden hatten.

Trotz eines sozialen, politischen und wirtschaftlichen Durcheinanders in Afrika (oder vielleicht gerade deshalb?) sehen wir in Afrika eine Kirche entstehen, die weiß, wer sie ist.

Innerhalb der Kirche bricht vieles auf, das ihr zu ihrer eigenen

Identität verhelfen und auch für die Kirche außerhalb Afrikas von Interesse sein kann.

„Eigene Identität“ hat etwas mit dem Ziel unserer gesamten Missionsarbeit zu tun. Wollen wir durch unsere Missionsarbeit eine quantitative Ausbreitung der Kirche durch Werbung in neuen Rekrutierungsbereichen, oder wollen wir etwas anderes? Zunächst wollen wir den Völkern, zu denen wir als Missionare und Missionarinnen gehen, Christus „greifbar“ machen, um ihnen die volle Situation der Entscheidung zu geben.

Karl Rahner würde sagen, daß es das Ziel unserer Missionsarbeit ist, in diesen Völkern ein „neues Christentum“ entstehen zu lassen, das von der Gesamtkirche als genuin christlich anerkannt werden kann. Es geht dabei um eine „schöpferische Neugründung“, ähnlich wie es in der Urkirche geschehen ist, als neben den judenchristlichen Gemeinden die „heidenchristlichen“ Gemeinden entstanden.

In Afrika spricht man viel von „Inkulturation“ und „Inkarnation“ der christlichen Botschaft und meint damit praktisch dasselbe wie „eigene Identität“. Wenn wir hier von Inkulturation sprechen, dann meinen wir die Evangelisierung einer Kultur aus der Herzmitte derselben Kultur heraus, m der die Frohe Botschaft lebendig werden soll. „Evangelii nuntiandi“ beschreibt Kultur als eine Einheit von Symbolen, in denen ein Volk Lebenssinn, Richtung und seine eigene Identität findet. Diese Symbole berühren das „Herz“ und wecken Gefühle, aus denen heraus ein Volk lebt.

In einem Interview mit der „Herder-Korrespondenz“ (1985/ 12) sagte Kardinal Malula von Kinshasa, Zaire, was er unter Inkulturation versteht: „Inkulturation ist letztlich nichts anderes als die Antwort, die Menschen Gott

geben, entsprechend dem, was sie sind, und entsprechend dem Milieu, in dem sie leben.“

So wird auch Theologie für Kardinal Malula nicht die Sache eines einsamen Genies am Schreibtisch, sondern zum Hinhören, wie das Volk Gottes auf den Anruf Gottes antwortet. Dabei entsteht eine lebendige Theologie, aber keine systematische Theologie, wie wir sie im Westen entwickelt haben. Die Basis für eine schöpferische Neugründung der Kirche in Afrika kommt bei Kardinal Malula so zum Ausdruck: „Unser Problem ist, wie der Afrikaner bis in seine Wurzeln hinein in seinem afrikanischen Menschsein christianisiert werden kann.“

Es stellt sich die Frage, in welche Kultur hinein die Inkulturation stattfinden soll? In die ererbte Stammeskultur oder in eine Gesellschaft, wie sie sich jetzt entwickelt?

Kardinal Malula antwortet darauf: es geht uns nicht um Tradition — es geht uns um den Menschen von heute. Sowohl die Tradition als auch die Moderne müssen von dem gereinigt werden, was mit dem Christentum unvereinbar ist.

Manchmal hört man die Forderung, daß der Weg zur eigenen Identität über die Ausweisung der

Missionare führt. Andere lehnen dies ab und meinen, die Missionare sollen mehr in der „Exekutive“ arbeiten und nicht richtungsbestimmend sein. Den ausländischen Missionaren wird ein Moratorium, eine Gnadenfrist, gesetzt.

Allgemein wird anerkannt, daß schwarze Priester und Bischöfe eine wichtig^ Voraussetzung zur Findung der „eigenen Identität“ sind, aber noch lange keine Garantie dafür. Bischof D. Sangu aus Tanzania erwähnte auf der Bischofssynode 1974 folgende Möglichkeiten zur Findung der eigenen Identität:

• die Schaffung von kleinen christlichen Gemeinschaften, wo die eigentliche Vitalität der Kirche zum Vorschein kommen kann

• Afrikanisierung der Führung in der Kirche

• aktive Teilnahme der Laien an der Entscheidungsfindung und Organisation der pastoralen Arbeit

• Priester und Pastoralräte

• Teilnahme der Kirche an der menschlichen Entwicklung (human promotion), um so ihre prophetische Funktion auszuüben und Freiheit zu ermöglichen.

Am Ende der Synode formulierten die afrikanischen Teilnehmer ein Manifest zugunsten einer „Inkarnations-Theologie“.

Als einen echten Beitrag zur eigenen Identität der afrikanischen Kirche bezeichnet Kardinal Malula die Einführung des sogenannten Bakambi. Dies sind Laien, verheiratet, mit Beruf, im Pfarrhaus wohnend, die die Leitung einer Pfarrei innehaben. Damit will Kardinal Malula der Kle-rikalisierung in der Kirche Einhalt gebieten.

Afrikanische Diözesen haben sich mehrmals in gemeinsamen Erklärungen für die Schaffung von kleinen christlichen Gemeinschaften ausgesprochen und ihnen den Vorrang über die Vereine gegeben. Sie sehen in ihnen die ganze „lokale Inkarnation der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche“.

Damit sind wir beim Idealbild der Kirche als Gemeinschaft von Gemeinschaften gelandet, in der die Klerikalisierung vermieden wird und die Laien aktiv Anteil

am Geschehen und am Auftrag der Kirche nehmen. Unser missionarisches Arbeiten sollte dieses Ziel im Auge behalten, da wir als Missionare noch eine Gnadenfrist, ein Moratorium erhalten haben, um mitzuhelfen, die afrikanische Kirche von innen heraus selbständig werden zu lassen.

Viele meinen, die Zeit der Mission sei vorbei. Ich glaube das Ge-genteü. Die Zeit der theologischen und politischen Kolonialkirche ist vorbei. Die Zeit ist gekommen, in der wir die Kirche als weltweite Gemeinschaft von Jüngern Jesu verstehen, die sich gegenseitig helfen und ermutigen, den Auftrag zu erfüllen, den uns der Herr gegeben hat.

Der Autor ist Leiter vom Lumko in Del-menville, dem Pastoralinstitut der südafrikanischen Bischofskonferenz. Aus einem Vortrag bei der Internationalen Missionsstudientagung „Afrikanisches Christsein“ im Juli 1988 in Liefering bei Salzburg.

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