Christentum in Dialogbereitschaft

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Nichts, was menschlich ist, gibt es ober- oder außerhalb der konkreten Lebenssituation. Das Ensemble alles dessen, was die Lebenssituation bestimmt, nennen wir Kultur. Sie umschließt die äußeren Lebens-umstände ebenso wie die Verhaltensweise in ihnen, Denk- und Handlungsweisen, die Formen der Kommunikation, Traditionen und Sitte. Daher gibt es auch nicht Religion und nicht Glaube ohne kulturelle Einbettung.

Die Geschichte der christlichen Inkulturationen ist spannend und dramatisch. Zunächst gepredigt in jüdischer Kultur, veränderte sich der christliche Glaube massiv durch die Inkulturation in die hellenistische Welt. Alles, was wir heute als christliches Dogma kennen, Trinitätslehre, die Lehre von der Gottheit Christi, die Erlösungslehre und so weiter hat seine Herkunft nicht in den jüdischen Ursprüngen, sondern in der hellenistischen Kultur. Die gesamte christliche Theologie ist entstanden in der Auseinandersetzung mit der hellenistischen Geisteswelt. Es war eine Auseinandersetzung von Jahrhunderten. Als das Christentum sich in Ost und West auseinanderentwickelte, war das Folge von unterschiedlichen Kulturen und hatte unterschiedliche Inkulturationen zur Folge. Als es sich über Europa ausdehnte und auf die germanische und slawische Kultur stieß, kam es zu weiteren Inkulturationen. Die neueren, noch immer nicht abgeschlossenen Auseinandersetzungen mit der Moderne - alle europäischen und nordamerikanischen Streitigkeiten in Kirche und Theologie, haben hier ihren Grund - sind noch lange nicht bewältigt. Die breitflächige Inkulturation christlichen Glaubens in der Moderne gibt es nicht, wird es vielleicht auch nie geben, weil die Moderne von der Postmoderne überholt worden ist.

Aber das, was zu Beginn der Neuzeit als Christentum in Europa galt, in bezug auf Lehre, Gottesdienst und religiösem Leben, wurde als das genuin Christliche verstanden, unabhängig von seiner kulturellen Eingebundenheit und Bestimmtheit. Dieses Christentum wurde dann mit der Mission exportiert. Frühe Versuche, andere Elemente in das Christentum zu integrieren, scheiterten. Der jesuitische Versuch, die chinesischen Ahnenverehrung ins Christentum zu integrieren, wurde verboten.

Abgesehen davon, daß eine schleichende Inkulturation unter den Christen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas nicht aufzuhalten war, wurde im 20. Jahrhundert zusehends die Inkulturation in den jeweils eigenen kulturellen Kontexten zum Programm erhoben. In der künstlerischen Arbeit war das noch am leichtesten. Die eigene Musik wurde in die Kirche gebracht, der Tanz wurde aufgenommen, Jesus wird als Afrikaner, Asiat oder Indianer dargestellt. Jesus wurde in Analogie zu afrikanischen Führern gesehen, dem König, dem Propheten, dem Heiler und ähnlichem. Die asiatischen Philosophien wurden mit der Theologie ins Spiel gebracht. Es wurde, wiederum gerade in Afrika, der Versuch gemacht, an die Stelle der alttestamentlichen Vorgeschichte Christi die jeweilige eigene Geschichte zu setzen als Geschichte der Vorbereitung auf das Kommen des Erlösers. Es entstanden eine Schwarze und andere "kontextuelle" Theologien. Auf der VII. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen, dem 332 protestantische und orthodoxe Kirchen angehören, 1991 in Canberra hat die Koreanerin Chung Hyun Kyung in einer faszinierenden Performance die koreanischen Geister Han mit dem Heiligen Geist in eine changierende Verbindung gebracht, was auch erhebliche Proteste ausgelöst hat.

Am auffälligsten ist wohl das Entstehen afrikanischer Kirchen, gegründet nicht von den Missionen, sondern von afrikanischen charismatischen Führerpersönlichkeiten, deren Eigenständigkeit und so fragmentarische Bezogenheit auf das, was bislang als christlich galt in Namensgebung, Kleidung und Gottesdienstform in faszinierender Buntheit zum Ausdruck kommt.

Probleme Inkulturation bedeutet Bereicherung. Daß Gott in Jesus zu den Menschen, konkret zu Menschen kommt, wird dadurch deutlich bezeugt. Aber sie bedeutet auch Verlust. Das hellenistisch geprägte Christentum muß sich heute wieder seiner jüdischen Wurzeln besinnen.

Damit stellt sich aber überhaupt eine grundsätzliche Frage: kann die besondere, geschichtliche Offenbarung Gottes in Jesus von Nazareth so dieser Geschichte entkleidet und in egal welchen anderen Kontext versetzt werden? Geht da nicht die Konkretheit der Offenbarung neuerlich verloren, verstärkt durch die Wiederholung der Israelvergessenheit?

Vor mir liegt ein Holzschnitt aus Ghana mit der Darstellung der Weihnachtsszene. Christus wird als Königssohn geboren. Alle afrikanischen Königsattribute sind da. Jesus ist der König. Aber es fehlt das andere: der Stall, die Krippe, das Keinen-Raum-in-der-Herberge-Haben. Nach dieser Graphik ist Jesus im Palast des Herodes geboren.

Die Ursprünge werden betont, die alten, traditionellen Kulturen sollen ihren Stellenwert bekommen. Aber sind diese alten Traditionen wirklich immer so wertvoll? Von der traditionellen Frauenverstümmelung muß jetzt gar nicht geredet werden. Aber die Stellung der Frauen in traditionell sehr patriarchalischen Gesellschaften ist zweifellos ein wichtiges Thema. Caritas würde sehr wohl geübt, sagt eine koreanische Theologin, im Clan. Wie, frage ich, sagt nicht die Geschichte des barmherzigen Samariters das Nächstenliebe prinzipiell clan-übergreifend ist? Nein, meint sie. Die Befreiungstheologie, auch sie eine kontextuelle Theologie, geht hier resolut einen anderen Weg, nicht in die Vergangenheit, sondern in die Zukunft. Hier laufen die Diskussionsfronten etwa in der Ökumenischen Vereinigung von Dritt-Welt-Theologen (EATWOT).

Dialog statt Zensur Geglückte Inkulturation gelingt nicht von heute auf morgen. In Europa hat es lange gedauert und ist noch nicht zu Ende. Gerade einem Protestanten fällt auf, wieviele pagane Reste noch in der katholischen Volksfrömmigkeit hierzulande im Schwange sind. Die Inkulturation der Weihnachtsgeschichte im Krippenspiel, bei dem jede einzelne Aussage der Evangelien zur Sprache gebracht wird, ist ein selten gelungener Fall.

Inkulturation ist notwendig und unvermeidlich, aber sie darf nicht im Wildwuchs geschehen. Es braucht intensiven Diskussion, es braucht Selbstkritik und den geschwisterlichen Dienst der kritischen Anfrage. Es braucht gediegene theologische Arbeit, im Dialog.

Es braucht aber nicht die Zensur. Das geht nicht, daß die Erben der abendländischen Inkulturation sich auf den Richterstuhl setzen und über andere Inkulturationen richten. Es ist nur zu bedauern, daß den europäischen Kirchen zunächst nur die Zensur einzufallen scheint, noch dazu mit vormodernen Verfahrensweisen.

Müssen wir denn, fragt eine koreanische Theologin, hervorragend in Deutschland ausgebildet, müssen wir denn alles das übernehmen, was zum abendländischen Christentum und seiner Theologie gehört, die Auseinandersetzung mit der griechischen Philosophie und ihrer Metaphysik? Nein. Nur müßt ihr das zu eurer Geisteskultur passende intellektuelle Instrumentarium entwickeln, die Inkulturation theologisch unter Kontrolle zu halten, damit es wirklich das Evangelium ist, das inkulturiert wird.

Die VIII.Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Harare Ende 1998 vermittelte schon optisch ein sehr buntes Bild der verschiedenen Ausdrucksformungen des Christentums. Mehrere afrikanische Kirchen wurden neu aufgenommen, eine nicht, weil anscheinend die Frage der Polygamie unklar war. Polygamie gehört aber zur afrikanischen Kultur, und ist eine Frage der Macht.

Diese Buntheit wird größer, unausweichlich. Das Christentum wächst in Afrika in ungeahntem Ausmaß. Aber nicht nach europäischem Muster. Die Vielfalt wird in der Ökumene größer und schwieriger. Was sind die Kriterien, nach denen sich das Christliche mißt? Die europäischen werden es nicht sein können. Welche werden es sein können? Es gibt sie noch nicht. Sie zu entwickeln ist Aufgabe der Weltkirche, die wirklich Welt-Kirche sein will, also der Ökumene.

Der Autor ist Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche und stellvertretender Vorsitzender des Ökumenischenrates der Kirchen in Österreich.

Zum Dossier Der Übergang eines europäisch dominierten Christentums in ein auch afrikanisch, asiatisch, amerikanisch verwurzeltes stellt in allen Kirchen ein Spannungsfeld dar: Wie weit kann das Christentum fremde Kulturen für sich heimisch machen? Wo sind Grenzen zu ziehen? Bei der jüngsten Vollversammlung des Weltkirchenrates in Simbabwe war dies ein wichtiges Thema. Ähnliche Diskussionen bewegen auch die katholische Kirche.

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