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Neue Superrasse

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Die 22jährige Marie-Christine Amadea, eine guterzagene junge Dame, die ihren Eltern niemals die geringsten Schwierigkeiten bereitet hat, ist seit einigen Tagen in Frankreich zum Begriff geworden. Ihr wurde sogar eine längere Fernsehsendung gewidmet, denn sie ist eine der jüngsten Adepten der geheimnisvollen Moon-Sekte, die in diesen ersten Wochen des Jahres 1976 viel von sich reden macht. Es gibt in Paris eine Reihe von Sekten, mysteriösen Zirkeln und winzigen Pseudo-kirchen, die ihren Anhängern, je nach Lehre, das Paradies auf Erden oder die Hölle versprechen. Selbst in unserer angeblich aufgeklärten Zeit verehren Leute den Satan. wohnen schwarzen Messen bei und preisen das Ei, die Zwiebel, den Nabel als Symbol des Lebens. Allerdings wirken diese Gruppen unter Ausschluß der Öffentlichkeit und infolge ihres großen Mißtrauens ist es nur selten möglich, Einblick in ihre Tätigkeit zu erhalten. Manchmal handelt es sich um höchst pittoreske Gemeinschaften, dann wieder um politischmetaphysische Verbände, die ihre Mitglieder aus den Kreisen eingewanderter Nordafrikaner oder eingewanderter Bewohner des schwarzen Afrika rekrutieren. In der Metropole Paris finden noch nach vorsichtigen Schätzungen rund 250.000 Personen außerhalb der offiziellen Kirche ihr „Heil“. Während also die Anbeter des Satans und die Verehrer der Zwiebel in der Regel diskrete Bürger sind, tritt die Moon-Sekte mit einem gewaltigen Propagandaaufgebot zumeist an Jugendliche heran.

Der Begründer dieses Mythos, Sun Myung Moon, ein 55jähriger Südkoreaner, bietet sich als der Messias unserer Tage an. Moon, gelernter Elektrotechniker, behauptet nicht mehr und nicht weniger, als daß ihm in Korea Christus erschienen sei, um ihm den Auftrag zu erteilen, das Himmelreich auf Erden zu schaffen. Nach seiner Meinung ist der Koreaner der dritte Adam, der nach Abraham und Christus von Gott auf die Erde gesandt wurde, um die Menschheit zu erlösen.

Erste Spuren seines Wirkens in Frankreich — er selbst hat sich in den USA niedergelassen, da dort religiöse Sekten nicht besteuert werden f-m sind nach dem Trubel des Mai/Juni 1968 festgestellt worden. Die von ihm gegründete Gruppe nennt sich auch „Universelle Kirche“ und wird von den „Pionieren eines neuen Weltzeitalters“ getragen. In den Jahren nach der großen Staatskrise hörte man nur gelegentlich von Moon und seinen Gläubigen. Mehrfach wurde die Information verbreitet, die Sekte unterziehe Jugendliche einer Gehirnwäsche, entfremde sie den eigenen Familien und sende die Neugewonnenen nach Korea oder Japan. Die Eltern riefen einen Schutzverband ins Leben, um ihre Kinder wieder in ein normales bürgerliches Leben zurückzuführen.

Die Jugendlichen, die einem jener 150 Werber der Moon-Sekte folgten, die im Dezember 1975 wie ein Heu-schreckenschwarm Frankreich überfielen und eine Reihe von Zentren gründeten, werden ihrer eigenen Persönlichkeit entfremdet. In der Lehre Moons, in der viel von gegenseitiger Liebe und Wahrhaftigkeit die Rede ist, vermischen sich christliches Gedankengut mit „Heilslehren“ aus dem Fernen Osten. Die Bekehrten leben in Häusern und Schlössern, die durchaus luxuriös eingerichtet sind. Sie sind verpflichtet, schwer zu arbeiten, erhalten ein geringes Taschengeld, müssen ihre Bankkonten auflösen, eventuellen Besitz veräußern und alles der Moon-Bewegung zur Verfügung stellen. So wurde der Fall bekannt, daß ein Industrieller, der sich von den Lehren Moons angezogen fühlte, seine Schuhfabrik zu einem lächerlichen Preis verkaufte, um den Geboten des Meisters Folge zu leisten. Den Mitgliedern ist jeder sexuelle Verkehr vor und außerhalb der Ehe verboten und die Chefs nehmen für sich in Anspruch, Paare, die für würdig befunden wurden, Kinder zu zeugen, zusammenzuführen. Dadurch soll eine neue Superrasse entstehen. Hat man nicht Ähnliches schon in den „Jahren des Heils“ erlebt?

Die Sekte scheint finanzstark zu sein, obwohl der französische Zweig nur eine Million Francs Kapital ausweist. Der Begründer dieser „Kirche“ hält es allerdings nicht für notwendig, selber als Bettler durch die Welt zu ziehen. Ein herrlicher Landsitz, moderne Autos und zahlreiche andere Bequemlichkeiten des Lebens stehen ihm zur Verfügung. Auch mit der sexuellen Reinheit dürfte er es, soweit es die eigene Person betrifft, nicht so genau nehmen.

Innenminister Poniatowski hat bereits mehrmals Untersuchungen in die Wege geleitet, um Moon und seinen Leuten das Handwerk zu legen. Bisher sind jedoch alle Versuche gescheitert, dem schlauen Fuchs strafbare Handlungen nachzuweisen. Die Anhänger wurden zwar genötigt, jeden Kontakt mit der Umwelt abzubrechen, sie sind moralisch und materiell von der Gemeinschaft abhängig, da es sich aber bei ihnen immer um Großjährige handelt, kann aus dieser Abhängigkeit weder ein Verbrechen noch ein Vergehen konstruiert werden. So wurde Marie-Christine Amadeo, die von ihren Eltern mit Gewalt aus einem Zentrum der Moon-Sekte entführt worden war, von der Polizei wieder in ihren „Tempel“ zurückgebracht.

Diese Studie wäre unvollständig, erwähnte man nicht die starke anti-kommunistische Komponente der Sekte. Den Gläubigen wird die Notwendigkeit eines Kreuzzuges gegen den Kommunismus eingeimpft Es ist daher nicht weiter verwunderlich, wenn im Zusammenhang mit dieser politischen Einstellung von einer Unterstützung durch den amerikanischen Geheimdienst CIA gemunkelt wird.

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