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Die Angst als Triebkraft?

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Die heuer in Österreich abgehaltenen Kongresse der „Zeugen Jehovas“ (in Wien, Klagenfurt und Innsbruck) rücken die Aufmerksamkeit auf diese Sekte, die nicht nur in den USA und Deutschland, sondern auch in Österreich immer mehr Mitglieder gewinnen kann — während die katholische Kirche in Österreich Mitglieder verliert Vor allem einsame Menschen und solche, die sich in der christlichen Lehre nicht auskennen, fühlen sich von den „Zeugen“ angesprochen. (Bei den Intellektuellen versagt diese Werbung im allgemeinen.) In den USA stieg die Zahl der „Verkündiger“ von 20.719 im Jahre 1933 auf mehr als 417.000 im Jahre 1971. In Deutschland von 11.415 (1946) auf 95.207 (1971). Die Zahlen für Österreich: 549 „Verkündiger“ 1938, 1946: 730, 1971: 10.043.

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Die heuer in Österreich abgehaltenen Kongresse der „Zeugen Jehovas“ (in Wien, Klagenfurt und Innsbruck) rücken die Aufmerksamkeit auf diese Sekte, die nicht nur in den USA und Deutschland, sondern auch in Österreich immer mehr Mitglieder gewinnen kann — während die katholische Kirche in Österreich Mitglieder verliert Vor allem einsame Menschen und solche, die sich in der christlichen Lehre nicht auskennen, fühlen sich von den „Zeugen“ angesprochen. (Bei den Intellektuellen versagt diese Werbung im allgemeinen.) In den USA stieg die Zahl der „Verkündiger“ von 20.719 im Jahre 1933 auf mehr als 417.000 im Jahre 1971. In Deutschland von 11.415 (1946) auf 95.207 (1971). Die Zahlen für Österreich: 549 „Verkündiger“ 1938, 1946: 730, 1971: 10.043.

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Die Werbung der religiösen Sekten und Bewegungen nimmt in öster- reidi ständig zu. Derzeit dürfte es bei uns rund 150.000 Anhänger von Sekten und religiösen Sondergemein- sciiaften geben. Das sind zwei Prozent der Gesamtbevöikerung. Heute sind es über 200 Gruppierungen, die ihre Botschaft persönlich, schriftlich oder durch die Massenmedien verkünden. Betrug die Zuwachsrate bei den Zeugen Jehovas 1971 noch zwei Prozent, so stieg die Mitgliederzahl 1973 bereits um 10 Prozent.

Hier in Kurzform die Geschichte der Zeugen Jehovas. Ihr Gründer war der 1852 in Pennsylvania (USA) geborene Charles Taze Russell. Als religiöser Sucher schloß er sich zunächst den Adventisten an, welche die Wiederkunft Christi für 1874 erwarteten. Als sich dieser Termin als falsch herausstellte, erklärte die Sekte, Christus sei unsichtbar gekommen. Vier Jahre später trennte sich Russell von den Adventisten. 1879 gab er mit einem Stab von Helfern den „Zions Wachtturm“ heraus. 1881 wurde die „Zions Wachtturm- und Traktatgesellschaft“ gegründet. Die.Weritfi Russeilk.iaESchienei .jinteF der .Bezeichnung „Schriftstudieh“. Er baute seine Lehre auf jener der Adventisten auf, berechnete eine genaue Bibelchronik,, nach der Adam 4128 Jahre vor Christus erschaffen’ worden wäre. Der Sündenfall hätte sich sodann im Jahre 4126 v. Chr. ereignet. Da.s Ende der Welt berechnete er für 1914. In seinem Lehr- system werden die Dreifaltigkeit, die Unsterblichkeit der Seele und die Hölle abgelehnt. Als Rüssel bemerkte, daß 1914 der Weltuntergang aushlieb, verschob er diesen auf 1918.

Er selbst starb 1916. Sein Nachfolger wurde Joseph Franklin Rutherford, der einige Zeit mit Russell zusammengearbeitet hatte und sich nach dessen Tod selbst zum Präsidenten der Bewegung ernannte (bis 1941). Seine Präsidentschaft war clurch Angriffe gegen Geistliche und Regierungen gekennzeichnet. Sein für 1925 berechneter Weltuntergang blieb ebenfalls aus. Als falsch erwies sich auch seine Prophezeiung,

,.Millionen jetzt Lebender würden niemals sterben“. Er veränderte immer einschneidender die Lehre seines Vorgängers. Schließlich bezeich- nete er die Anhänger Russells als „böse Knechte“. Rutherford gestaltete auch die Organisation um. Er proklamierte die Herrschaft Gottes über die Wachtturmgesellschaft. Diese ist der „Kanal Gottes“ und daher unfehlbar. Bald entstanden eigene Druckereien und ein großer Verwaltungsapparat. Seit 1942 ist Nathan Homer Knorr Präsident der Zeugen Jehovas. Unter ihm wurde die Taktik geändert. Der Kampf gegen die Religionen wird getarnt, und teilweise durch Unterwanderung geführt, Knorr errichtete ein eigenes Bildungszentrum, wo die geistig meist einfachen Anhänger in theoretischer Ausbildung und im Sprechen geschult werden. Eine Spezialausbildung erhalten die „Zeugen“ in der Bi-

belschule Gilead. Knorr veranlaßte auch die Überprüfung der „Zeugen“ und den Bau von Königreichsälen. Ein ehemaliger „Zeuge“, Günther Pape, schreibt: „Rein organisationstechnisch dürfte es keine andere Organisation auf der Welt geben, die den gleichen Stand wie die Wachtturmgesellschaft erreicht hat.“

1966 wurde ein neuer Termin für das Weitende ausgegeben: das Jahr 1975. Um vor einer neuerlichen Blamage aber sicher zu sein, hat man aber an diese Zahl sicherheitshalber ein „und“ angefügt.

In sieben Schritten sollen Prosely- ten für die Idee der Zeugen Jehovas gewonnen werden.

• Durch Besuch an der Wohnungstür mit Bücherangebot. Als Schlag- wort dient dabei „Ökumene“, obwohl die „Zeugen“ kein Interesse an echter Ökumene haben. Weil sich die „Zeugen“ auf diesen Besuch gut vorbereiten, haben sie immer Antworten parat. Eine Diskussion ist daher schwierig und nur theologisch Ausgebildeten zu empfehlen.

• Ein Nachbesuch erfolgt, wenn Literatur verkauft wurde oder wenn ein Gespräch zustande kam. Bei weiteren Besuchen legen die Verkünder .bereits mehr Gewicht auf die Sonderlehren.

• Der neu Gewonnene wird nun —

einmal in der Woche — in ein Heim- bibelstudium eingeführt. Dabei wird nicht nur die Bibel, sondern auch Wachtturmliteratur verwendet.

• Eine weitere Vertiefung erfolgt für interessierte Kandidaten im Bezirksstudium.

• Nun erst darf der neue Anhänger den Königreichsaal betreten, wo an jedem Sonntag ein Lehrstück aus dem „Wachtturm“ durchgenommen wird.

• In der Dienstversammlung schließlich erfolgt die Schulung zum Verkündiger.

• Letzte Stufe bildet die „Taufe“. Als Getaufter ist der Neue ganz in die Organisation eingegliedert.

Seine gesamte Tätigkeit wird laufend von den einzelnen Gruppen überprüft. Wer sich nicht nach den Vorschriften verhält, wird vom Dienst abgezogen. Große Verstöße ziehen den Ausschluß nach sich, was einer Verdammung gleichkommt, die den Zorn Gottes bei der Schlacht von Harmagedon nach sich zieht. Angst ist also wesentliche Triebkraft für das Veihalten der Verkündiger. Man hat dieses System schon oft als „Ge-

hirnwäsche“ bezeichnet, denn das Mitglied wird in seinem Denken und Handeln manipuliert. Es soll für die Organisation arbeiten, das Denken aber den Führern überlassen. Wissenschaftlichen Argumenten sind die „Zeugen“ kaum zugänglich, weil sie sich ja ausschließlich und einseitig mit Wachttupmliteratur befassen.

Die Zeugen Jehovas berufen sich bei ihrer Verkündigung immer auf die Bibel. Es ist jedoch ein großer Unterschied zwischen der Exegese der Zeugen Jehovas und jener der Kirche. Die „Zeugen“ nehmen eine wörtliche Inspiration an. Nach ihrer These hat jeder Satz der Bibel, um welches Buch aus dem Alten oder Neuen Testament e« sich auch handelt, gleiches Gewicht. Sie reißen Texte aus dem Zusammenhang und verbinden sie nach Bedarf mit anderen Stellen. Die Methode — „Rösselsprung durch die Bibel“ genannt — ermöglicht es den Zeugen Jehovas, jede gewünschte Behauptung mit einem Bibelzitat zu beweisen. Die Bibelübersetzungen der Wachtturm-

gesellschaft sind durchsetzt mit Fachausdiücken der Wachtturm-ge- sellschaft, was diese Art von „biblischer" Verkündigung wesentlich erleichtert. Bei ihrer Gptteslehre steht der 1926 „geoffenbarte“ Name „Jehova“ (die falsche Aussprache des alttestamentlichen Gottesnamens Jahwe) im Vordergrund. Russell sah Gott noch als körperliches Wesen. Später wurde die Lehre zugunsten der Geistigkeit Gottes geändert. Mit der Dreifaltigkeit leugnen die Zeugen Jehovas auch die Gottheit Jesu Ohrisi. Den Heiligen Geist nennen sie eine „unsichtbar wirkende Kraft Gottes“. Den Glauben an die Unsterblichkeit der Seele bezeichnen die Zeugen als Hauptlehre des Teufels. Logisch folgt daraus die Leugnung der Hölle. Große Bedeutung hat für sie die Schlacht von Harmagedon (Offb. 16/16), in welcher alle Gottlosen vernichtet werden sollen (also alle jene, die keine Zeugen Jehovas sind). Die Überlebenden dieser Schlacht erwartet ein Tausendjähriges Reich Christi und bemach ein Leben in einem wiederhergestellten Paradies, das einem Schlaraffenland sehr ähnlich sieht. Abgelehnt werden alle Sakramente. Die Taufe ist bei ihnen nur ein Aufnahmeritus. Die Taufe der christlichen Kirchen wird nur anerkannt, wenn sie vor 1914 erfolgt ist, weil nach Ansicht der „Zeu gen“ Gott damals die Kirchen verworfen hat. Weihnachten und Ostern sind .Jieidnische Feste“. Als Bürger der „Neuen-Welt-Gesellschaft“ lehnen die „Zeugen“ auch den Gehorsam gegenüber dem Staat ab. Alle Regierungen sind gottfeindlich, Völkerbund und UNO Instrumente des Teufels. Bei Wahlen üben die „Zeu-

gen“ Stimmenthaltung. Auch wird der Wehrdienst abgelehnt (eine Tatsache, die sie zumeist verschweigen). Die Nächstenliebe wird vor allem durch das Predigtwerk geübt. Hierbei bringen die Mitglieder tatsächlich oft große Opfer. Tätige Nächstenliebe beschränkt sich auf die Glaubens- brüder. Organisierten Hilfsdienst an Alten und Kranken sieht man hingegen als .JDiebstahl an der Verkündigung“ an. Wahre Familientragödien spielen sich in Ehen ab, in denen ein Partner Zeuge Jehovas ist. Dieser sagt dem religiös Andersdenkenden den Krieg an, wenn die Kinder nicht im Sinne der Zeugen Jehovas erzogen werden.

Die Zeugen Jehovas sind ihrem Wesen nach keine christliche Gemeinschaft, weil sie ja die grundlegenden Lehren des Christentums ablehnen. Bei der Begegnung mit Zeugen Jehovas ist ein Gespräch nicht möglich, weil dieses vom Verkündi-

ger gar nicht gesucht wird. Das von den Zeugen oft gebrauchte Schlag- wort „Ökumene“ ist völlig unangebracht.

Etwas sollten wir aber von den „Zeugen lernen“: ihren Eifer, ihren Bekennermut, die Strenge ihres sittlichen Lebens, die Beschäftigung mit Schriften über den Glauben, und die gute Gemeinschaft, die sie untereinander pflegen.

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