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Unwissende und Einsame

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Die Zeugen Jehovas halten ihren Großkongreß heuer in Wien. Das bedeutet, daß ungefähr 20.000 Anhänger der Sekte mit der Propaganda für ihre „ewige gute Botschaft“ unsere Stadt heimsuchen werden. Anläßlich der ausgedehnten Quartiersuche haben die Zeugen Jehovas ihre Veranstaltung als „christlichen Kongreß“ bezeichnet. Diese Bezeichnung ist in der Zeit ökumenischer Aufgeschlossenheit, aber auch in einem vielfach falsch verstandenen Ökumenismus geeignet, Menschen irrezuführen. Uns liegt der Auszug aus dem Programmheft des Kongresses der Zeugen Jehovas in München vor. Da heißt es:

„Wenn ein Verkünder seine Unterkunft in einer Privatwohnung hat, sollte er die Gelegenheit nützen, die Literatur seinen Gastgebern anzubieten. Ihr könnt die laufende Predigt für die Abgabe von Literatur verwenden und dann versuchen, ein

Bibelstudium zu beginnen. Seid jedoch vor allem darum bemüht, sie zu Zusammenkünften im Verlauf der ■Woche und besonders zu dem am Sonntag stattfindenden öffentlichen ■Vortrag einzuladen. Wenn ihr früh genug beginnt, mag es sehr gut möglich sein, daß mit eurem Unterkunftgeber ein Studium durchgeführt werden kann.“

Es gibt einen Mißbrauch der Gastfreundschaft, der zur Warnung ver-: pflichtet. Dennoch ist dem ökumenischen Bedenken zu antworten. Wir wissen um das Ringen nach christlicher Einheit und wir sind alle dazu gerufen. Der christliche Raum, in dem das Ringen aufgebrochen ist, ist jener der christlichen Bekenntnisse und kirchlichen Gemeinschaften. Die Sekten haben sich von ihm nicht berühren lassen. Die überaus treffende Definition des „Religionswissenschaftlichen Wörterbuches“ (Herausgeber DDr. Franz König, 1956, Verlag Herder, Wien) nennt Sekten jene „christlichen Gemeinschaften, die in Lehre und Gebaren den Stempel der Sonderlichkeit tragen“. Im Merkmal der Sonderlichkeit ist auch die Haltung der bewußten Absonderung gegenüber allen ökumenischen Bestrebungen eingeschlossen. Daher sind auch die Sekten, auf welche die zitierte Definition zutrifft, im „Weltrat der Kirchen“ nicht vertreten. Der freiwilligen, bewußten Absonderung in der Haltung fügt sich die absonderliche Lehre an. Wo die „Absonderlichkeit“ sich im Gottesbild ausprägt, fällt eine Sekte sogar aus dem Raum der „christlichen Gemeinschaften“ heraus. Eine kurze Einsicht in die Lehre der Zeugen Jehovas wird dies dartun.

Es ist selbstverständlich, daß die

Darlegungen die ehrliche Überzeugung der einzelnen unermüdlich „für Jehovas Reich“ arbeitenden „Zeugen“ respektieren; daß der ehrlichen Uberzeugung nicht das Heil abgesprochen wird. Eine Haltung, die aber die Zeugen Jehovas in Schrift und Wort den anderen Religionsge-

meinschaften nicht zu billigen bereit sind.

Die Lehre der „Ernsten Bibelforscher“ (seit 1931 „Zeugen Jehovas“) ist — wie bei den anderen endzeitlichen Sekten — aus der enttäuschten Erwartung der berechneten Ankunft Christi erwachsen. Charles T. Rüssel (1852 im heutigen Pittsburg, USA, geboren) sammelte nach einem kurzfristigen Umweg über die Adventisten eine eigene Gemeinde, die mit ihm, nach Russeis Berechnung, die Wiederkunft Christi erwartete. Eines der vielen seltsamen Rechnungsergebnisse war 1874: nach diesem ist Adam 4128 v. Chr. erschaffen worden, 4126 war Adams Fall (Schriftstudien II, S. 46, Wahrheit wird euch freimachen, S. 150); nach dem Sechstagewerk der Schöpfungsgeschichte und dem Ps. 90 (89), „vor Gott sind tausend Jahre wie ein Tag“, glaubte Russell, die Existenz des Menschen auf der Erde auf 6000 Jahre beschränken zu müssen und kam so auf 1874. Es sollte dann das 7. Jahrtausend — entsprend dem 7. Schöpfungstag —, das Millenium, beginnen. Die Verzögerung des Kommens wurde als „unsichtbare Gegenwart Christi in den oberen Lufträumen“ erklärt. Vierzig Jahre „Ern-

tezeit“ wurden dazugezählt, das Ende der „gegenwärtigen Welt“, die unter „Satans Herrschaft“ steht, für 1914 vorausgesagt. Niemand von der auserwählten Gemeinde sollte sterben, die Verstorbenen der ersten Auferstehung teilhaft werden. Da starb Russell selber 1916. Sein Nach-

folger Rutherford rechnete mit neuen Zahlen, hielt aber an 1914 fest. „Jesus Christus wurde am 1. Oktober 1914 als König im Himmel eingesetzt.“ Unsichtbar „begann Christus inmitten seiner Feinde“ als Haupt der „Theokratischen Regierung“ zu herrschen.

Den Zeugen Jehovas ist das christliche Glaubensgeheimnis des einen dreipersönlichen Gottes „heidnischer Mythos“. Jehova schuf ein einziges Geschöpf, das „deshalb“ auch „einziggezeugter Sohn“ zu nennen ist. Wir werden begrifflicher Verwirrung — Gleichsetzung hier von

schaffen und zeugen — in der Lehre der Sekte immer wieder begegnen. Dieses Geschöpf war „ein sterblicher Geist“, war „längst bevor es auf die Erde kam, als das Wort oder der Logos bekannt“ („Was glauben die Zeugen Jehovas?“); es schuf „alles übrige“. (Damit wird in die Kolos-serstelle 1, 15 ff das Christusverständnis der Sekte als Geschöpf gewaltsam hineininterpretiert!) Das Geschöpf war daher „Werkmeister Jehovas“, und als Fürst der Engel hieß es „Michael“ (Wahrheit S.40ff, Schrittst. VI).

„Michael wird Mensch, um Jehovas Namen und Ansehen zu rechtfertigen und damit Menschen, die ihre Lauterkeit bewahren, Leben erhalten könnten.“ Wieder wird die Hl. Schrift (Phil. 2, 6) verwendet, um den Verlust der „sterblichen Geistigkeit“ zu betonen: Michael wird Jesus Christus und als solcher Mensch, wie der Mensch nach den Zeugen Jehovas ist, „lebendige Seele“, ohne von Natur aus unsterbliche Seele. „Irdische Seele, atmendes, empfundenes Geschöpf, ein Tier oder Mensch“ („Vergewissert euch“). Nur „dank seinem besseren Körper besitzt er höhere Intelligenz“ (Schrittst. V).

Das Gottesbild der Zeugen Jehovas

Christus lebt als „getreuester Zeuge Jehovas“, stirbt „am Pfahl“ (Kreuz ist heidnisches Zeichen!), wird auferweckt, erhält „Unsterblichkeit und Unverweslichkeit“, „göttlichen Geist und göttlichen Leib“. Er wurde „zum Gleichsein mit Jehova-Gott“ erhoben. Daher übersetzen die Zeugen Johavas Johannes 1, 1 mit „und das Wort war ein Gott“. So geben die leidenschaftlichen Verfechter des jüdischen Monotheismus Jehova-Gott einen erschaffenen Gott zur Seite, also „zwei Götter“, wenn auch von „unterschiedlicher Gewalt. Wir“ lesen Kol. 2, 9: „In Christus wohnt die ganze Fülle der Gottheit wesenhaft“.

Das Gottesbild der Zeugen Jehovas ist der christlichen Offenbarung fremd!

Michael-Christus ist nach der Sektenlehre nicht gekommen, den allgemeinen Heilswillen Gottes zu erfüllen. Zu Pfingsten hat er „einen Leib von 144.000 Gliedern von der Erde erkauft, damit sie mit ihm im Himmel leben und herrschen“. Sie sind (nach Apoc. 7, 4) die „Königsklasse“, die „Weizenklasse“, das „himmlische Weib“ usw., die auserwählte Brautgemeinde (nach Apoc. 12, 1 ff), die „wie Christus mit göttlicher Natur umkleidet“ wird! Das Wachtturmdirektorium als „Kanal des Hl. Geistes“ weiß, wer jeweils von diesen 144.000 als der „Überrest“ lebt und allein Teilnehmer am jährlich einmal zu feiernden Abendmahl sein darf. 1964 waren es 11.953!

Dem Eifer, der Einsatzbereitschaft der heute 1,001.870 Verkündiger und 42.938 Pioniere steht als den „anderen Schafen“ nur die „Neue Welt“ (daher neuer Name: „Neue-Welt-Gesellschaft“) zur Verfügung. Dort erhalten sie unter der Führung der Patriarchen des Alten Bundes als „niedere Geistwesen ein ewiges glückliches Leben“.

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