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Schwarz gegen schwarz

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Es ist der Fluch unserer Zeit, daß Etiketten auf Flaschen geklebt werden, die ihren Inhalt fälschen. „Entkolonisierung“, „Apartheid“ (wie die Verhandlungen vor dem Internationalen Gericht bewiesen haben),

„Selbstbestimmung“ (wie Kongo, Sudan und Nigerien beweisen), sind in Wirklichkeit etwas ganz anderes, als was angegriffen oder verteidigt wird. Man klassifiziert aber nur nach den Etiketten, die auf den Flaschen kleben, ohne den Inhalt zu analysieren. Das gilt auch für den Kampf der Neger in den USA. Js ist kein Rassen-, sondern ein Klassenkampf; kein Kampf der Neger gegen die Weißen, sondern ein Kampf zwischen Negern verschiedener Schichten. Aber niemand sagt das, denn Etiketten sind heilig.

Der neue „Onkel Tom“

In der Negerfrage gibt es zwei entgegengesetzte Strömungen. Eine geht auf Integration, auf Farben- blindheit gegen die Hautfarbe, ohne Blindheit für das, was in der Haut steckt.

Die andere Strömung geht nicht auf Integration, sondern auf Trennung. Während die erstere von der überwiegenden Mehrheit der Weißen und Farbigen getragen wird, wird diese von einer Minderheit der Neger und Splittern der Weißen getragen. Sie will nicht eine farbenblinde Gesellschaft, sondern zwei Gesellschaften, eine kleinere und eine größere, nebeneinander, in der die Hautfarbe eine sehr wesentliche Rolle spielen soll, und zwar in der Form von allerlei Begünstigungen für die schwarze Haut, als Entschädigung für vergangene Unbill. In ihrer extremen Form verlangt sie sogar geographische Teilung. Ein paar Südstaaten sollen ausschließlich Negerstaaten werden in denen alle Stellen von Negern bekleidet, in denen Weiße höchstens geduldet werden, aus denen sie aber lieber wegziehen sollen, um die Einheitlichkeit der Farbe nicht zu stören. Ironischerweise wird gerade das verlangt, was in Südafrika als „Apartheid“ angeprangert wird, nämlich eigene, unabhängige Negerstaaten mit möglichst wenig weißem Einfluß, die sich selbst verwalten und allenfalls Fremdarbeiter in die weißen Industriegebiete schicken sollen.

Auf diesem Wege bilden die großen, immer wachsenden Massen der assimilierten Neger, die mit ihrer wirtschaftlichen und sozialen Stellung ganz zufrieden sind, ein Hindernis. Sie sind daher zu bekämpfen und einzuschüchtern. Sie werden als

„Onkel Tom“ bekämpft und gebrandmarkt. Mit derselben Taktik, mit der anderswo die Nationalsozialisten gegen die Deutschnationalen, die Kommunisten gegen die Sozialisten, die Nationalisten Indiens gegen die Gemäßigten arbeiteten und arbeiten.

Wer kommt bei den Unruhen zu Schaden? Neger, deren Häuser verbrannt, deren Autos zerschmettert, deren Wohnungen geplündert werden; Negerkauf leute, Negerhandwerker, deren Einrichtungen zerstört werden; gewiß, auch ein paar „weiße“ Laden im Negerviertel, die sich dort hineingewagt haben, die anläßlich eines Aufruhrs ausgeplündert werden können. Ist Haß oder Gier die stärkere Triebfeder? Wo es geht, wird mehr gestohlen als zerstört.

Für diese Untersuchung ist nicht die Statik, sondern die Kinetik des Verhältnisses zwischen Weißen und Farbigen maßgebend. Ihr muß einiges über die Vergangenheit vorangeschickt werden, um den Fortschritt der Gegenwart zu würdigen, der auf die Zukunft schließen läßt. Vor 80 Jahren machten die Neger 19 Prozent der amerikanischen Bevölkerung aus. Heute sind es nur noch 11,8 Prozenit, dank der weißen Einwanderung. Ihr Verhältnis steigt stetig infolge der größeren Zahl, besonders unehelicher Kinder, seit die Einwanderung Weißer gedrosselt wurde. Die Einwanderung Farbiger aus allen Weltgegenden vollzieht sich nur auf höherer Bildungsstufe (Ärzte, Studenten, Techniker), fällt zahlenmäßig kaum ins Gewicht. Sie zeigt nur die Anziehungskraft der USA auf Farbige, während eine Auswanderung amerikanischer Neger nach Afrika trotz aller Klagen nicht vorkommt.

In 60 Jahren ist die Lebensdauer der Weißen von 48 auf 70 Jahre, also um 45 Prozent, die der Neger von 33 auf 64 Jahre, also um 96 Prozent, gestiegen, das heißt, die Lebensdauer der beiden Gruppen hat sich von einer Spanne von 50 auf 10 Prozent verringert. In einem etwas längeren Zeitraum ist der Analphabetismus für Weiße von 11,5 auf 1,5 Prozent, für Farbige aber von 80 auf 7 Prozent gesunken. In der Altersgruppe zwischen 20 und 64 Jahren, deren oberste Stufen also ihre Erziehung vor einem halben Jahrhundert genossen haben, und die weniger als acht Schuljahre hinter sich haben, halten die Neger dort, wo die Weißen vor einer Generation hielten (36 Prozent). Bei vier Schuljahren aber haben die Neger die Weißen schon eingeholt. Während sich die Farbigen in früheren Jahren in die Schule drängten, weil sie Bildung als Privileg empfanden, verlassen sie sie heute oft früher („dropouts“), aber nicht, weil sie müssen, sondern weil sie wollen.

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