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Rassenprobleme im Roman

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FREMDLING UNTER FREMDEN. Roman. Von Nadln G o r d I m e r. S.-Fischer-’Verlag, Frankfurt/Main. 358 Selten. Preis 21.50 DM. — DER ANDERE NEBENAN. Roman. Von Xelth Wheeler. Claassen-Vertag, Hamburg. 368 Selten. Preis 19.80 DM.

Wie schon in ihrem ersten Roman, „Entzauberung”, und in den besten Geschichten des Erzählbandes „Sechs Fuß Erde” steht auch in dem neuen Buch Nadine Gordimers das Problem der Rassentrennung in Südafrika im Mittelpunkt der Geschehnisse. Ein Problem, das die Autorin mit ihrer Unvoreingenommenheit und ihrem literarischen Können aus der Perspektive leerer Allgemeinbegriffe in den Schicksalsraum tragischer menschlicher Erfahrungen hineinzuheben weiß.

Der junge Engländer Tobias Hood findet in Johannesburg eine von Spannungen geladene Atmosphäre vor, eine „großartig-erschreckende Gespaltenheit”, die wenigstens in seinem ganz persönlichen Umkreis zu überbrücken ihm nur unvollkommen gelingt. Er, der so sehr darauf bedacht ist, „sein eigenes Leben” zu leben, verkehrt zwar ebenso unbefangen im High House der Alexanders — reicher Leute der weißen Oberschicht, von denen er sich mit Behagen verwöhnen läßt —, wie er sich ungezwungen, verbotenerweise natürlich, in den Zwangssiedlungen der Farbigen bewegt, unter denen er seine besten Freunde findet. Den Neger Steven Sitole vor allem, der genau wie Toby ein „eigenes Leben” führen möchte, es als Schwarzer aber nur in ständigem Protest und mit geschickten Umgehungsmanövern der ihm auf gezwungenen Grenzen tun kann, mit einem „lächelnden Protest” gegen alle, die ihm nur den „Zustand der Halblebendigkeit” zubilligen wollen. Die Gestalt dieses Steven gehört zu den faszinierendsten des Buches.

Dann ist da noch ein dritter schmaler Bereich, zwischen den scharf getrennten Lebensbezirken der Weißen und Schwarzen: das Niemandsland einer „Grenzbevölkerung der schwarz-weißen Gesellschaft, die genau zwischen der schwarzen und der weißen angesiedelt war”. Zu ihr gehört die Burin Anna Louw, auch eine Freundin Tobys, „die die ihr bekannte Welt hinter sich gelassen, ihr Leben mitten in der Wildnis aufgeschlagen hatte … auf jenem dürren und einsamen, vorerst nur spärlich besiedelten Streifen Landes”. Weil irgendwann und irgendwo ein Anfang gesetzt werden muß …

Alle Erfahrungen Tobys, des Menschen, der zunächst jedes Engagement verabscheut, eines „Fremdlings unter Fremden”, enden schließlich doch in der Bejahung einer „Lebensaufgabe”, der er sich nicht mehr entziehen zu dürfen glaubt. Einer Lebensaufgabe, die freilich nicht näher Umrissen wird, die ihn aber sicher an die Seite der Entrechteten und vom Leben Benachteiligten führt.

Nadine Gordimer zeichnet die Dinge, wie sie in ihrer südafrikanischen Heimat sind, ohne zu beschönigen oder zu übertreiben. Daß ihr Buch dort unten verboten wurde, spricht mehr gegen die Lage als selbst ihre schockierendsten Feststellungen. Hier verspricht ein Waschzettel einmal nicht zuviel mit der anspruchsvollen Behauptung: „Die Apartheid wird zum Gleichnis menschlichen Kommunikationsmangels und Verlassenseins.”

Es ist interessant, zusammen mit Nadine Gordimers Buch Keith Whee- lers Roman „Der Andere nebenan” zu lesen, in dem der Autor, ein amerikanischer Journalist und Verleger, mutig und objektiv das Rassenproblem in den USA behandelt Hier wird erschreckend offenbar, daß nicht nur in den amerikanischen Südstaaten die rechtliche Gleichstellung der Neger in der Praxis null und nichtig ist. Hier kommen die unterschwelligen, ererbten Vorurteile und atavistischen Abneigungen ins Blickfeld, die für den Amerikaner — auch wenn er durchaus kein Rassenfanatiker ist — ins Spiel geraten, sobald es nicht um Prinzipien und Theorien, sondern um sein persönliches Dasein geht.

Wheeler schildert den Aufstand der Bewohner einer Straße in einem vornehmen New Yorker Villenvorort gegen den Einzug eines Negers in ihren Bereich. Mit Furcht vor der Entwertung ihrer Grundstücke beginnt der Wirbel. Aber dann sind da plötzlich Rassenvorurteile und Ressentiments im Spiel, die auch die in der Straße wohnenden Juden zu spüren bekommen, obwohl jeder weiß, daß alle Bewohner der Straße gemeinsam handeln müssen, um den Einbruch der Farbigen zu verhindern. Es kommt zur Bildung einer Interessengemeinschaft, deren Unternehmungen die meisten als „gemein und verabscheuungswürdig” empfinden. Es gibt in dem Dilemma „eben keine anständige Möglichkeit, das Anständige zu tun. Auch keinen Weg der Gerechtigkeit”, stellt einer der Einwohner resignierend fest.

Wheeler findet für seinen besonderen Fall eine sehr noble Lösung. Auch ihm geht es darum, einen Anfang zu setzen, die bestehenden Vorurteile abzubauen. Hier wird der Neger Lamar Winter, der schließlich doch den Einzug in die Straße erzwingt, zugleich zu deren Retter, der das weiße Gemeinwesen vor dem Zuzug weiterer Farbiger bewahrt. Winter weiß, daß es für seine Generation — sowohl bei den Weißen wie bei den Schwarzen — keine echte Lösung des Rassenproblems gibt. Aber er hofft auf die Kinder beider, für deren Leben in Frieden — „möglicherweise sogar in Freundschaft” — er das Seine tun möchte.

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