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Die gelben Amerikaner

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Die Neger sind zwar die größte, aber keineswegs die einzige nichtweiße Rassengruppe in den Vereinigten Staaten. Neben den Indianern, den spanischsprechenden, meist dunkelhäutigen Puertorika- nem und den in Alaska lebenden Eskimos und Aleuten, gibt es auch die „amerikanischen Orientalen“, deren Existenz wegen ihrer geringen Bevölkerungszahl (nur noch etwa 0,5 Prozent der US-Bevölkerung) außerhalb der USA heute immer noch kaum bekannt ist. Angesichts der wachsenden Rassenspannung zwischen Weißen und Negern in Amerika ist es deshalb interessant, die Situation der US-Orientalen mit der von den US-Negern zu vergleichen.

Die amerikanischen Orientalen sind die Nachkommen fernöstlicher Immigranten, meist Japaner und Chinesen, die vor dem ersten Weltkrieg in Scharen nach den USA einwanderten, als die Türen in dieses Land der Verheißung nach dem Grundsatz „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“ aller Welt noch weit offen standen. Diese großzügige US-Einwanderungspolitik wurde von den fernöstlichen Einwanderern bis etwa 1924 nach Kräften ausgenützt, als die US-Regierung, über den steigenden gelben Zustrom geradezu beunruhigt, schließlich durch das berühmte „Yellow Exclusion Act“ (Gesetz über die Ausschließung gelber Einwanderung) einen Riegel daran vorschob. Ein ganz dünner Einstrom fernöstlicher Einwanderung hat nach dem zweiten Weltkrieg dank dem Inkrafttreten des „McCarran-Walter Immigration &Nationality Act“ 1962 wieder begonnen. Das neue liberalisierte US- Einwanderungsgesetz, das von Präsident Johnson selber vorgeschlagen und am 3. Oktober 1965 unterschrieben wurde, soll die Tore Amerikas für Einwanderer aus dem Fernen Osten noch weiter öffnen.

Die Heimat abgeschrieben

Hier soll vor allem von den in Amerika geborenen und aufgewachsenen Japanern (dort „Nisei“ — „die zweite Generation“ im Japanischen — genannt) die Rede sein, da ich eine große Anzahl von ihnen sowie von Japanern aus Japan gekannt habe. Zwischen den Nisei und den „echten“ Japanern besteht ein gewaltiger Unterschied, selbstverständlich nicht im physischen, sondern im psychologischen Sinne. Schon seit zwei bis vier Generationen in Amerika ansässig, sprechen heute die meisten der dort geborenen und aufgewachsenen Japaner kein Japanisch. Ihre Sprache, ihre Denkart, ihre Gewohnheiten, ihre Sitten und ihre allgemeine Ver haltensweise sind nicht mehr japanisch, sondern amerikanisch, und gemäß der US-Staatsverfassung sind sie gebürtige amerikanische Staatsbürger.

So befinden sich die in den USA geborenen Japaner in einer ähnlich mißlichen Lage wie die US-Neger; sie sind alle beide Nichtweiße, und wenn die US-Neger keine Afrikaner sind, so sind die Nisei auch keine sogenannten „Japaner“. Die amerikanischen Neger haben kein Heimweh nach Afrika, die amerikanischen Japaner keine Sehnsucht nach Japan. Nach dem zweiten Weltkrieg erforschte ein japanischer Soziologe die Einstellung der Nisei zu Japan; er war über ihren Mangel an Interesse für ihr Ahnenland tief enttäuscht, wie auch afrikanische Studenten in Amerika über das Desinteresse der amerikanischen Neger für Afrika.

Ungefährlich…

So teilen die in Amerika geborenen Japaner mit den US-Negern denselben Grund wünsch: als hundertprozentige, richtiggehende Amerikaner und zwar keineswegs verschieden von ihren weißen Landsleuten anerkannt zu werden. In Verfolgung dieses Ziels sind beide Rassengruppen aber von der weißen amerikanischen Öffentlichkeit etwas unterschiedlich behandelt worden. Eine Rassendiskriminierung gegenüber den Japanisch-Amerikanern ist heute kaum noch vorhanden. Die Nisei mischen sich ungezwungen unter weiße Amerikaner, und es gibt heute kaum einen Beruf, der von ihnen nicht ausgeübt würde. Beispielsweise gibt es einen US- Senator sowie zwei US-Kongreß- mitglieder japanischer Abstammung. Nisei-Ärzte gedeihen mit weißen Patienten, wogegen sich Negerärzte im allgemeinen mit Nichtweißen abfinden müssen. Und während Japaner in Amerika vor dem zweiten Weltkrieg dazu neigten, sich in einigen bestimmten Orten in Kalifornien und Hawaii zu gruppieren, sind sie seit Kriegsende überall in den Vereinigten Staaten anzutreffen; heute gibt es in Amerika keine japanischen Gettos, keine „Japanstädte“ - mehr — in auffallendem Gegensatz zu den Chinesisch-Amerikanern, die heute immer noch ihre Chinesenviertel und chinesischsprachigen Schulen in Großstädten Amerikas beharrlich beibehalten. Das bedeutet allerdings nicht, daß die Rassenbefangenheit gegenüber den Japanisch-Amerikanern völlig verseh wunden ist. Wenn es den Nisei heute besser ergeht als den Negern, verdanken sie dies vor allem ihrer kleinen Bevölkerungszahl (weniger als eine halbe Million, aber 21 Mil- 1 Ionen Neger), die, den weißen Amerikanern keinen Schrecken einzujagen vermag, zweitens ihrer während des zweiten Weltkrieges bewiesenen Loyalität zu den USA und schließlich ihrem hohen Erziehungsund Bildungsniveau sowie ihrem ausgezeichneten Gesellschafitsver- halten.

Gäbe es in Amerika 21 Millionen Japaner, würden auch sie wahrscheinlich ein ernstes Rassenproblem darstellen. Die Nisei selber geben sich in dieser Hinsicht keinen naiven Illusionen hin. Sie wissen, daß ihnen die verhältnismäßig hellere Hautfarbe, deren sie sich erfreuen, gegenüber den Negern keinen großen Vorteil garantiert. Denn das, was die Negeranwesenheit zu einem solchen Problem in Amerika macht, ist vor allem ihre bereits sehr große Bevölkerungszahl, die in beunruhigendem Tempo zunimmt. Tatsächlich wächst die US-Neger- bevölkerung heute 40 Prozent schneller als die weiße Bevölkerung "am die also alarmiert und ei schrocken eine der größten Bevölkerungsexplosionen der Weltgeschichte erlebt, die sich gegenwärtig in den schwarzen Gettos der US-Städte ereignet. Die Nisei weisen dagegen keine solche schwindelerregende Bevölkerungszunahme auf. Auch kommt ihnen zugute, daß die Japanisch-Amerikaner, die nicht einmal 0,25 Prozent der US-Ge- samtbevölkerung darstellen, heute über ganz Amerika verstreut sind.

Japanische Bataillone

Unmittelbar nach dem japanischen Überfall auf die US-Pazifikflotten- basis von Pearl Harbour wurden alle Japaner in den USA, ohne Rücksicht auf ihr Geburtsland — sei es Japan oder Amerika —, in Konzentrationslager, beschönigend „Relocation Centers“ (Umsiedlungszentren) genannt, geworfen (in den festländischen USA) oder unter strenge Aufsicht gestellt (in Hawaü, wo mehr als die Hälfte der Inselbewohner japanischer Herkunft war). Die Reaktion der Nisei auf Japans Überraschungsangriff auf Pearl Harbour wurde jedoch von einem in Hawaii geborenen Japaner am besten versinnbildlicht. Als ihm sein weißer Nachbar sagte: „Ihr Land hat dem meinen den Krieg erklärt!“, entgegnete er energisch: „Sie irren sich gewaltig, mein Herr! Ihr Land ist auch mein Land, weil ich kein Japaner, sondern doch Amerikaner bin!“

Die in Amerika geborenen Japaner waren also todunglücklich, in ihrem Geburtsland als feindliche Ausländer behandelt zu werden, und sie hatten Tränen in den Augen, als sie die US-Behörden dringend um eine Gelegenheit baten, ihre Treue zu den USA beweisen zu können. Die Folge war, daß sich die US-Regierung nach langem Zögern endlich entschloß, versuchsweise ein amerikanisches Bataillon, das ausschließlich aus in Amerika geborenen Japanern bestehen sollte, zu formieren und es, befehligt von einem weißen Offizier, gegen die deutsche Wehrmacht in Europa einzusetzen. Der Versuch erwies sich als so großer Erfolg, daß anschließend noch mehr Nisei-Bataillone formiert und nach Europa geschickt wurden. Die Kandidatenzahl übertraf aber alle Erwartungen der US-Behörden, die sich daher gezwungen sahen, eine große Anzahl von ihnen auszumustern! Selbst die ursprünglichen Bedenken der US- Regierung, Japanisch-Amerikaner in größeren Verbänden gegen die japanischen Truppen im Pazifik einzusetzen, wurden überwunden, als Nisei-Truppen später auf den _Philippinen auch gegen die Japaner, "also ihre Rassenbrüder, kämpfen durften. Und ein hawaiischer Feldwebel japanischer Herkunft wurde von der US-Luftwaffe dekoriert und zwar für seine erfolgreiche Teilnahme an 12 Bombenangriffen auf Japan — das Land, aus dem seine Eltern stammten und wo er viele Verwandte hatte…

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