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Japans Spurt zum ersten Platz

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Winterspiele sein. Sapporo ist ein typisches Beispiel für Japans Zaubergarten: Heute noch mit 900.000 Einwohnern wird sich die Stadt 1972 schon mit 1,1 Millionen präsentieren. Man baut schon jetzt an allen Anlagen, an den Flugplätzen, an Autobahnen quer durch die Stadt, an Großhotels und dem größten Skizirkus der Welt; ja man baut sogar Heizelemente in Sapporos Straßen ein, um im Winter schneefreie Verkehrswege zu haben. 1970 wiederum startet in Osaka die Weltausstellung, der Welt größte und teuerste Show. Japan rechnet mit einer Besucherzahl von 30 Millionen auf dem Gelände der EXPO 70 — und mit einem Riesengeschäft.

So steigt auch der Fremdenverkehr rapid an: 1966 waren es um 18 Prozent mehr Ausländer, die Devisen nach Nippon brachten.

Schon hat Japan die 100-Mil- lionen-Einwohiner-Grenze überschritten und rückte an die siebente Stelle (nach der Zahl der Einwohner). Gabes 1889 nur 39 japanische Städte, sind es heute 560 — mit Tokio als größter Stadt der Welt an der Spitze.

70 Prozent der Einwohner leben in Städten und dienen der Industrie all Arbeitskräfte: längst freilich zahlt Japan seinen Massen keine Hungerlöhne mehr und längst wächst die Produktion nicht nur auf Kasten des Lebensstandards. Von 1960 bis 1966 stieg das durchschnittliche Real- einkommen um 29 Prozent. Sozialversicherung und Alterssrente sind wie in allen anderen Industriestaaten Selbstverständlichkeit.

So rückt der unbekannte Gigant immer weiter nach vorne — und ist daran, die Weltmärkte mit japanischen Waren zu erobern. Längst kopieren japanische Techniker unter Umgehung der Lizenzen nicht mehr Europas Waren, sondern Europa zahlt heute bereits Lizenzgebühr an japanische Erfindungen. Nach einem streng gehüteten Schweißungsgeheimverfahren bauen die kleinen Gelben die größten Tanker der Welt, haben einen Vorsprung im Bau von Kleinstcomputern und elektronischen Maschinen, entwik- kelten Luftkissenfahrzeuge und schießen demnächst 100-Tonnen- Raketen in den Weltraum.

Wohin wird das führen?

Noch 1950 rangierte Japan am 8. Platz unter den Industrienationen der Welt — 1968 wird es auf Platz 3 nach den USA und der Sowjetunion vorrücken. Wie eine Armee der Ameisen schaffen die 50 Millionen Arbeitskräfte gut gedrillt jährlich schon um eine Millionen mehr Autos und um 30 Millionen Tonnen mehr Stahl als die Westdeutschen — Japans Verbündete im letzten Krieg. Die Bundesrepublik muß endgültig von ihrem Wirtschaftswunderpodest herunter und den zähen Ostasiaten auf den Weltmärkten, ja selbst auf dem eigenen Inlandismarkt, Platz machen.

Obwohl erst 1955 mit Forschungen auf dem Gebiet der Atomenergie begonnen wurde, sind die Japaner heute bereits zur Spitze vorgestoßen. 1962 wurde der dritte Atomreaktor in Betrieb genommen: Er war bereits zur Gänze in Japan hergestellt.

740 Privatfirmen haben sich zusammengetan, um die Voraussetzungen einer nationalen, unabhängigen Atomenergieproduktion zu schaffen.

Und etwa 25.000 Atomwissenschaftler arbeiten an neuen Projekten. 1969 soll das erste Atomschiff der Japaner auslaufen, 1985 sollen die Atomkraftwerke rund um den Fudschijama 40 Millionen Kilowatt erzeugen.

Japans Aufstieg ist kein Zufallstreffer. 115.000 Wissenschaftler arbeiten in Forschungslabors für die Industrie, während es etwa in Westdeutschland nur 34.000 sind. 700 Universitäten und Hochschulen weist das Kaiserreich auf — und japanische Studenten tauchen an allen Bildungstätten der Welt auf, wo es für sie etwas zu lernen gibt. Japans Regierung prämiiert großzügig den Export — bis zu 10 Prozent der Produktionskosten.

Vor allem aber ist es die Mentalität der Totalität, die Japans Aufstieg sichert. So wie sich das feudale Kaiserreich der Shinto-Priester und Samurai mit Haut und Haar 1867 dem Westen öffnete, verfolgte es unter dem Schlagwort „Nationaler Aufschwung und militärische Stärke” eine totale Militarisierung und Nationalisierung. Höhepunkt: der vollständige und nichts schonende Krieg im Femen Osten, von Japans Luftwaffe 1941 über Pearl Harbor begonnen, mit der Atombombe über Hiroshima 1945 beendet. Aber, auch nach 1945 wurde Japan wieder hundertprozentig: Die Ame- rikanisierung und Demokratisierung ließ den Neokapitalismus erst richtig erblühen.

Von außenpolitischen Querelen unbeeinflußt und durch geringe Militärausgaben belastet, hat Japan nun wieder ein totales Ziel im Auge: „Dal ichi.”

„Dal ichi” heißt soviel wie „Platz Nummer eins” und ist die nationale Kampfansage, auf Märkten und Handelsplätzen die erste Stelle in der Weltproduktion zu erringen.

Dieser Kampf auch gegen die Riesen -Rußland und Amerika scheint nicht so aussichtslos. Bei nur gleichbleibendem Wachstumstempo überholen die Japaner im Jahr 2000 die Sowjets — und haben nur noch Amerika vor sich. Schon, heute prophezeit Amerikas Futurist Nummer 1, Hermann Kahn, die Unauf- haltsamibeit der Asiaten: „Das 21. Jahrhundert wird den Japanern gehören.”

Der Besuch des österreichischen Bundeskanzlers gewinnt — auch wenn man sich im ersten Moment fragen sollte, warum gerade Japan auf dem Besucherprogramm steht — eine neue Dimension. In den Denkschemen der Nord-Süd-Achse Europas, bestenfalls aber das Schielen über den Atlantik nach New York oder Boston hat den Blick vieler Mitteleuropäer verwirrt. Der Aufstieg des fernöstlichen Riesen macht sich zwar noch nicht in harter Konkurrenz bemerkbar, aber die Außenzölle der Wirtschaftsblöcke sind wahrscheinlich schon in wenigen Jahren für Nippons Söhne übersteigbar.

Österreichs Beziehungen zu Japan sind traditionell gut, ja das Land am Fudschijama hat wiederholt Österreichenthusiasmus bewiesen. Um so besser wären unsere Startchancen auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Die politische Neutralität ist für Japan attraktiv genug, um Österreich als Geschäftspartner zu akzeptieren — und Österreichs Industrie hätte gute Chancen der Kooperation.

Denn, wie man hört — Japans Bereitschaft ist größer als erwartet.

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