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Tokio ist serüstet

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IN WENIGEN WOCHEN, am 10. Oktober 1964, wird der Kaiser von Japan offiziell die 18. Olympischen Sommerspiele eröffnen. Aber auch dann wird den unzähligen Organisationen und Vereinigungen, die sich schon jahrelang mit den Vorbereitungen und der Hoffnung auf einen Erfolg der Spiele bemühen und quälen, die Last und die Verantwortung noch nicht von den Schultern genommen. Sie müssen noch bis zum 24. Oktober eifrig und unermüdlich auf ihrem Posten ausharren. Dann dürfen sie ausruhen. Hoffen wir, daß sie auf Lorbeeren ausruhen werden. Sie hätten es ehrlich verdient. Ihre Bemühungen müßten, auch wenn das Resultat nicht immer vollkommen sein wird, doch anerkannt werden.

In den letzten Monaten glich Tokio einem einzigen und großen Bauplatz. Schon als ich im April vergangenen Jahres ankam, drängte sich mir überall das gleiche Bild auf. Bauplätze, Konstruktionsgerüste und noch einmal Bauplätze. Mein Taxi fuhr über provisorische Holzbalken und schaukelte durch tiefe Mulden. Auf und über allem wimmelte und bewegten sich die emsigen Japaner wie die Ameisen. Auch das Resultat überrascht, wie bei den Ameisen. Sie laufen scheinbar sinn- und planlos umher, und endlich entsteht dann doch ein schöner stattlicher Ameisenhaufen. Ebenso bei den Japanern; aus dem planlosen Herumgelaufe von hunderten kleinen Japanern in Kniehosen und gelben Stahlhelmen entstehen schließlich Sportstadien und Straßenanlagen. Ich habe übrigens selten so „übervölkerte“ Bauplätze gesehen wie hier in Japan.

DIE STRASSEN SIND WOHL das größte Sorgenkind der japanischen Regierung. Wenn man bedenkt, daß der Straßenanteil in Tokio nur 10 Prozent der gesamten Stadtfläche einnimmt, dem 43 Prozent in Washington und 35 Prozent in New York gegenüberstehen, versteht man, daß Straßen der japanischen Regierung und den zuständigen Stellen Kummer machen. Daher ist es nur allzu verständlich, daß die Japaner die Straßen und die Autobahnen als wichtigste Aufgabe für die Vorbereitungen zur Olympiade ansahen. Sie haben sich auch redlich bemüht. Es ist nur schade, daß auch hier wieder die japanische Eigenart, eine Sache nur halb zu machen, so sehr ins Auge springt. Man hat das leise Gefühl, als ob ihnen im letzten Augenblick dann doch noch der Atem ausgehe.

Als ich kürzlich mit dem Auto nach Kobe fuhr, hatte ich Gelegenheit, auch ein Stückchen der neuen Autobahn zu „genießen“. Ich hielt mich stur an die Zubringerschildchen zur Autobahn, bis ich dann auch wirklich darauf landete; aber ob ich nun in Richtung Kobe fuhr oder in die Gegenrichtung, hätte ich wahrscheinlich nur mit einem Kompaß feststellen können. Hinweisschilder gab es weit und breit keine. Nicht einmal eines mit den etwas verwirrenden japanischen Schriftzeichen bestätigte mir, daß ich auf der richtigen Bahn war. Ein weiterer großer Hemmschuh waren die Ortsausfahrschilder, die zumeist nur in japanischen Schriftzeichen den Weg wiesen. Dabei erwartet man zur Olympiade 30.000 Ausländer oder mehr. Uber die Fahrkünste und Unarten der Japaner möchte ich mich hier nicht auslassen — für sie ist eine Autobahn eben eine Rennbahn, und auch sonst scheinen sie von Verkehrsregeln nicht allzuviel zu halten. Die schlaglochverzierten Straßen Tokios werden, wenn sie etwas breiter sind, somit also zu den größeren Straßen Tokios zählen, mit Namen versehen (im ganzen 44 Straßen). Damit sich die Ausländer zurechtfinden! Da sich Ausländer beim Zurechtfinden allerdings meistens auf Taxichauffeure verlassen, diese aber von diesen „neumodischen“ Bezeichnungen der Straßen keinen blauen Dunst haben, die Bezeichnungen nach Gefühl und Wellenschlag und nicht an jeder Kreuzung angebracht sind, dürften sie eigentlich nicht von sehr großem Wert sein.

DA DIE VORBEREITUNGEN Bisher noch nicht in den Verwaltungsapparaten erstickt oder in den Büroräumen der Beamten untergegangen sind, dürfte es auch in der Hinsicht

— daß es an Organisation mangelt

— nichts zu befürchten geben. Es ist nur im Interesse der ausländischen Sportler, daß sich die Organisation nicht in einem organisierten Durcheinander austobt, wie eine große deutsche Zeitung zu den als Generalprobe abgehaltenen vorolympischen Spielen feststellen mußte. Auch wollen wir hoffen, daß sich die Bemühungen der japanischen Zuständigen nicht nur auf Lächeln und Verbeugungen beschränken mögen, wie die holländische Schwimmerin Erica Terpstra erfahren hatte. Den japanischen Veranstaltern stehen 7000 Mann des japanischen Heeres oder, um den offiziellen Ausdruck zu gebrauchen,

der „Selbstverteidigungskräfte“ hilfreich zur Seite. Sie werden für Verkehrskontrolle sorgen, Sicherheitsarbeiten leisten, Kurspatrouillen unternehmen und auch das Fahnenhis- sen übernehmen. Außerdem stellen sie eine Maschine zum Transport der olympischen Flamme zur Verfügung, die einen weiten und vielfach unterbrochenen Weg zurückzulegen hat. Außerdem dürfen die Verantwortlichen für die klaglose Abwicklung der Spiele auch mit Booten für Kontrolle des Segelkurses und mit Jeeps für alle möglichen Gelegenheiten rechnen.

EIN ALTES ORIENTALISCHES Sprichwort sagt, daß nichts schöner ist, als wenn Freunde aus entfernten Gegenden zu Besuch kommen. So erwarten die Japaner mit offenen Armen ungefähr 30.000 Ausländer und sind eifrigst bemüht, die Zahl von 19.000 Hotelbetten auf den nötigen Bedarf zu erhöhen. Die ausländischen Besucher können aber auch schon zu Hause den japanischen Amtsschimmel wiehern hören, denn es wird ihnen gar nicht so einfach gemacht, die Eintrittskarten für die einzelnen Sportveranstaltungen zu erstehen. Sie müssen neben vielen anderen Papieren und Bestätigungen, die man bei einer weiten Reise in Kauf nimmt, auch noch eine Hotelbestellungsbestätigung oder sonstige Unterkunftsmöglichkeiten nachweisen. Weil sie sonst möglichenfalls den überlasteten Veran staltern auf die Bude rücken würden und von ihnen eine Schlafgelegenheit fordern könnten! Oder welchen anderen Gedankengang hat man bei dieser Bedingung eingeschlagen?

NEBEN DEN AUSLÄNDISCHEN Besuchern werden sich ungefähr 2000 Journalisten in Tokio treffen, die sich im Pressezentrum an allen modernen Apparaten austoben können. Zum geringen Teil können sie sogar im vierstöckigen Haus der Japanischen Jugend, dem Pressezentrum, untergebracht werden.

Ein besonders löbliches Programm hat sich die Bewegung „Neues Leben“ gestellt. Ob sie sich aber nicht doch etwas übernommen hat? Sie hat sich zwar mit der Regierung verbrüdert, aber wie kann man eine derartig häßliche Stadt wie Tokio innerhalb so kurzer Zeit verschönern wollen? Die Ausländer bekommen ja auch ohne „Verschönerung“ einen bleibenden Eindruck. Tokio ist nämlich gerade in seiner Häßlichkeit und der Zufälligkeit faszinierend, derartig groß und so immens ausgebreitet, daß Jahrhunderte und eine gezielte Stadtplanung vielleicht einmal eine „schöne“ Stadt formen können. Etwas erfolgreicher dürfte die Bewegung sein — wenn sie mit genügender Schärfe durchgreifen kann —, die Umgebung von Tokio schön zu erhalten: Sie will mit allen Mitteln versuchen, exzentrische und häßliche Reklame entlang der Landstraßen verschwinden zu lassen. Bisher kann man leider noch keine Spuren von Durchschlagskraft bemerken. Und am schwierigsten dürfte es doch sein, die unzähligen Ströme und Flüsse von den Abwässern zu reinigen; die Sauberhaltung der Straßen ließe sich in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung eher durchführen. Dankenswert ist der Plan auch, die öffentlichen sanitären Anlagen zu verbessern. Dies dürfte aber eine Sisyphusarbeit gleichkommen.

DER WILLE, DAS GELD, der Enthusiasmus, der Aufwand und die Ausdauer sind vorhanden. Wenn die Japaner aus den Erfahrungen, die sie im Oktober 1963 mit den wenigen hundert Sportlern machen konnten, wirklich ihre Schlüsse und auch die Verbesserungen gezogen haben, wenn sie nicht nur freundlich lächelnd und mit unzähligen Verbeugungen Beschwerden oder Wünsche der ausländischen Sportler entgegennehmen, sondern auch mit Aktivität und Organisationstalent an die Erfüllung denken und wenn der Verkehr zu den Olympischen Spielen nicht (wie viele Unker prophezeien) in einem Chaos endet, dann werden die 18. Olympischen Sommerspiele für Japan, aber auch für Asien ein großer Erfolg und eine gute Visitenkarte.

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