6731290-1965_50_01.jpg
Digital In Arbeit

Olympiastadt Wien?

Werbung
Werbung
Werbung

Am 31. Dezember läuft die Bewerbungsfrist für die Olympischen Spiele 1972 ab. Wien, Moskau und München werden sich als mögliche Austragungsorte vorstellen. Es wäre zweifellos für die österreichische Hauptstadt und für unser Land eine große Auszeichnung, würde das IOC Wien auswählen, die Stadt im Herzen Mitteleuropas könnte ihre Ausstrahlungskraft nach Ost und West neuerlich unter Beweis stellen ...

Sind wir überhaupt dafür gerüstet? Wird mit Nachdruck an der

Planung gearbeitet? Bereiten sich unsere Sportler heute schon darauf vor, wenn schon nicht Medaillen, so doch ehrenvolle Plätze unter den vorderen zehn zu erringen? Im Wiener Rathaus hat man vorläufig eine Nachrichtensperre über die Vorarbeiten verhängt. Nur so viel ist bekannt, daß seit dem Sommer das Stadtbauamt an der Erstellung der Unterlagen arbeitet. Mit Hochdruck ...

Die erfolgreiche Durchführung der Gymnaestrada, nach deren Ende man offenbar eine olympische Generalprobe absolviert zu haben glaubte, beweist aber noch lange nicht, daß die Bundeshauptstadt auch wirklich geeignet ist, Olympische Sommerspiele abzuwickeln. Und auch der dort gezeigte Massensport, so begrüßenswert er im eigentlichen Sinn des Wortes auch ist, kann nicht das Ideal der Körpererziehung künftiger Jahrzehnte sein. Auch im Sport muß es Spitzenleistungen geben. Ansätze hierfür sind in Österreich da, im Tumen, in der Leichtathletik und im Schwimmen etwa. Und diese' Ansätze nun wirklich zu för-dern. auch das würde in den weitgesteckten Rahmen der Vorbereitung Olympischer Sommerspiele gehören: So haben Wiens Sportler nur eine einzige Kraftsporthalle zur Verfügung, die natürlich ständig von den Vereinen belegt ist. Österreichs Henriette Parzer, Turnerin von Weltklasse, trainiert in einem Schulturnsaal und muß mit dem Anlauf, der ja ebenfalls wettbewerbsbewertet wird, in einem Vorraum beginnen. Die Schwimmer wiederum haben kaum Trainingsmöglichkeiten und müssen, wollen sie in angewärmtem Wasser trainieren ,— überall sonst eine Selbstverständlichkeit —, nach Budapest fahren. Bei den Leichtathleten herrschen ähnliche Verhältnisse ...

Der Schauplatz der Spiele wird besonders geheimgehalten; ein hoher Beamter äußerte sich kürzlich recht großzügig, man werde eben das olympische Dorf im Bereich der Montagebaufabrik im 22. Wiener Gemeindebezirk — jenseits der Donau — errichten, so würde es dann ganz einfach — wie in Innsbruck — nach dem Ende der Spiele Wohnzwecken zugeführt werden. Auch die Kampfstätten würden dem bisher städtebaulich eher vernachlässigten Gebiet zweifellos große Attraktivität verleihen.

Kann man Gerüchten Glauben schenken, die trotz strenger Geheimhaltung durchsickern, so wurde dieses Gelände hinter verschlossenen Türen tatsächlich ausgewählt, zu olympischen Ehren zu kommen. Und hier muß die Kritik an der Bewerbung Wiens einsetzen: Zu groß sind nämlich die Kosten, die mit der Realisierung dieses Projektes verbunden wären. Beobachter, die in den Jahren vor den Tokioter Spielen die japanische Hauptstadt besuchten, schüttelten den Kopf angesichts der Gigantomanie, mit der die Olympiastadt buchstäblich „umgekrempelt“ wurde. Ganze Stadtviertel wurden niedergerissen, um einer radikalen Lösung der Verkehrsmisere Platz zu machen. Und dann, während der Läufer mit dem olympischen Feuer noch durch die Straßen lief, im letzten Moment also, war alles fertig: in drei Ebenen rollte der Verkehr durch die Stadt. Nach den Spielen kam dann der finanzielle Katzenjammer... '.-

Und in Wien? Hier können die drei bestehenden Donaubrücken rächt einmal den Verkehr an einem schönen Badesonntag bewältigen. Es fehlt also mindestens noch eine Brücke, ganz abgesehen von einer großzügigen Lösung des Stadtverkehrs, der sonst zu einem blamablen Chaos zu werden droht.

Und noch ein Problem wäre in die Olympiaplanung einzukalkulieren, nicht einmal der geringste: Der linksufrige Hochwasserschutz. Denn eine weitere Katastrophe wie die des Jahres 1954 würde der altersschwache Hubertusdamm nicht mehr aushalten. Das aber würde bedeuten, daß völlig neue Anlagen für den Hochwasserschutz errichtet werden müßten; Projekte dafür liegen bereits vor, etwa das der Hebung des Inundationsgebietes und der Schaffung eines Umfluterkanals, was wiederum nicht geringe Kosten und vor allem eine schwere Bedrohung für die unterhalb Wiens an der Donau liegenden niederösterreichischen Gemeinden mit sidi bringen würde, ein Nachteil, der nur durch die Errichtung zweier Flußkraftwerke ausgeglichen werden könnte.

Doch selbst wenn man glaubte, die Hochwassergefahr ausschließen und einen Hochwasserschutz improvisieren zu können (durch Dammaufschüttung), selbst dann stünden immer noch die hohen Aufschließungskosten des rein ländlichen Gebietes jenseits der Donau im Weg.

Allein die UntergrunderstMießung würde Unsummen verschlingen.

Und so würden sich denn die Kosten — die man im Rathaus sehr vorsichtig auf 1,5 his 2 Milliarden schätzt — nicht verdoppeln, sondern sogar vervielfachen und letztlich — zählt man vom Hochwasserschutz über die Donaubrücke bis zur Stadtautobahn alles zusammen — eine Höhe von 8 bis 9 Milliarden Schilling erreichen! Diese Summe in sechs Jahren aufzubringen würde aber bedeuten, daß die gesamte Haushaltspolitik der Bundeshauptstadt umgestellt werden müßte: ein Mehrjahresflnanzplan müßte erstellt werden, will man die gewaltigen Investitionskosten aufbringen. Eine weitere Hürde wäre wahrscheinlich die Kostenteilung. Teilten sich 1964 in Innsbruck Stadt, Land und Bund in die Kosten, so müßte für 1972 Wien, das ja Bundesland und Stadt zugleich ist, zwei Drittel der Kosten übernehmen...

Freilich, eine Alternativlösung bietet sich an. Denn noch ist über das künftige Schicksal der kürzlich von der Stadt angekauften „Drasche-Gründe“ im Süden Wiens nicht entschieden. Dieses weitläufige Gelände ist verkehrsmäßig gut erschlossen, sowohl durch den Autobahnring, der bis dahin fertiggestellt sein wird, wie durch den bereits geplanten Schnellbahnast Liesing. Hochwasserschutz, Donaubrücke — dies alles wäre dann aus der Olympiaplanung der Stadt Wien für 1972 auszuschließen: Ein durch Schiene und Straße gleichermaßen gut erschlossenes Gebiet, wobei man außerdem noch — ein weiterer Vorteü — die Gemeinden an der Südbahnstrecke bis hinauf zum Semimering zur Unterbringung heranziehen könnte.

Daß Wien wirklich Chancen hat, die Durchführung der Spiele 1972 übertragen zu bekommen, ist, wie verschiedenen Äußerungen aus dem IOC zu entnehmen war, sicher. Nach den exotischen Schauplätzen wie Tokio oder Mexiko-City wird man einer mitteleuropäischen Stadt zweifellos vor Moskau den Vorzug geben. Wiens Bestrebungen, Olympiastadt zu werden, sind schon einmal wegen offenkundig ungenügender Vorbereitungen gescheitert. Wäre es diesmal wieder so, könnte unser Prestige emstlich darunter leiden...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung