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50.000 Mark für eine Goldmedaille

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Olympische Spiele unterliegen offenbar auch dem Parkin-sonschen Gesetz. Die Zuwachsraten an Kosten für die jeweilige Austragungsstadt, die Zahl der Aktiven, der Funktionäre sowie des gesamten Zubehörs von Industrie, Handel und Gewerbe steigen laufend. Was anläßlich der Bewerbung Münchens 1965 von den Olympiakonsorten Bund, Land Bayern und Stadl München mit 3,5 Milliarden Schilling veranschlagt wurde, wuchs sich im Laufe der Jahre auf — Ironie des Schicksals — 1972 Millionen DM — also fast 12,5 Milliarden Schilling — aus. Sammler von Olympiamünzen und überraschend hohe Eingänge aus dem Olympialotto brachten rund zwei Drittel dei Unkosten und retteten die Planer vor dem Pleitegeier.

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Olympische Spiele unterliegen offenbar auch dem Parkin-sonschen Gesetz. Die Zuwachsraten an Kosten für die jeweilige Austragungsstadt, die Zahl der Aktiven, der Funktionäre sowie des gesamten Zubehörs von Industrie, Handel und Gewerbe steigen laufend. Was anläßlich der Bewerbung Münchens 1965 von den Olympiakonsorten Bund, Land Bayern und Stadl München mit 3,5 Milliarden Schilling veranschlagt wurde, wuchs sich im Laufe der Jahre auf — Ironie des Schicksals — 1972 Millionen DM — also fast 12,5 Milliarden Schilling — aus. Sammler von Olympiamünzen und überraschend hohe Eingänge aus dem Olympialotto brachten rund zwei Drittel dei Unkosten und retteten die Planer vor dem Pleitegeier.

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Das zwanzigste sommerliche Spektakel dieser Art wird rund 10.000 Sportler, 2000 Trainer, Masseure und Mannschaftsführer sowie 1100 Kampf- und Schiedsrichter in der nun mit Abstand teuersten Stadt Deutschlands zusammenballen. Des weiteren treibt der Olympiaboom etwa 500 Mitglieder der einzelnen olympischen Komitees und Fachverbände sowie 3500 Staatsoberhäupter, Regierungsmitglieder und sonstige prominente Ehrengäste in die Großsiedlung an der Isar. Selbstverständlich gibt es auch für die Fernsehstationen neue Rekorde zu vermelden: 2000 Sendestunden werden via 4 Satelliten rund einer Milliarde Zu-sehern mit 60 Kommentaren in 45 verschiedenen Sprachen in alle Welt gestrahlt.

Bürgermeister als Olympiasieger

Die bayrische Hauptstadt machte dabei das Geschäft ihres Lebens. Was man etwa für Wien für unrealisierbar hielt — brachte Münchens den Jusos geopferter Bürgermeister Hans-Jochen Vogel zustande. Unter der Devise „maximaler kommunaler Nutzeffekt bei minimaler finanzieller Selbstbeteiligung“ erhielt die Biermetropole neues Gesicht und zukunftsweisende Verkehrsanlagen. Insgesamt betrugen die Gesamtkosten für.U-Bahn, Straßen, Schulen und Bäderanlagen 2,5 Milliarden Schilling, wovon die Gemeinde nur etwa die Hälfte selbst aufbringen mußte. Eine echte funktionierende Fußgängerzone ging Hand in Hand mit der Fertigstellung der S-Bahn, wozu es ohne die Spiele gut fünf Jahre länger gebraucht hätte. Sogar der gegen Olympia im allgemeinen und die Bayern im besonderen recht kritisch eingestellte „Spiegel“ nennt Vogel den „ersten olympischen Gewinner“.

„Heimliche Hauptstadt“ als Regierungssitz

Ebenfalls gewinnen wollen die Mitglieder der Bonner Regierungskoalition; während der 14 Tage des Sportfestes avanciert „Deutschlands heimliche Hauptstadt“ zum tatsächlichen Regierungssitz, und das Tauziehen um die telegensten Plätze für die Monsterfernsehübertragung ist noch nicht beendet, stehen doch die Wahlen unmittelbar vor der Tür. Für die Firma Omega, nahezu schon integrierender Bestandteil von zwölf Spielen (1932: Star mit 80 Stoppuhren, 1968 mit Meßgeräten im Wert

• von 27 Millionen Schilling dabei) war mit dem angekündigten Verbot der Firmenwerbung auf den olympischen Wettkampfplätzen die Uhr abgelaufen. In diese Marktlücke zwängten sich sofort die Konkurrenten Longines und Junghans, die sich die populärsten Sportarten Leichtathletik und Schwimmen in der Zeitnehmung teilen. Im Kampf um den olympischen Stadionbelag schlug schließlich das deutsche Produkt Rekortan mit Starthilfe von Bundesinnenminister Genscher das Tartan des US-Konzerns „3 M“ um die entscheidene Zehntelsekunde.

Medaillenhysterie und Sporthilfe-Prostitution

Jedenfalls fällt es angesichts der Kosten, der politischen Hintergründe und sonstiger eher unerquicklicher Begleitumstände schwer, noch daran zu glauben, daß der Sportler im Mittelpunkt des ganzen Geschehens steht. Etliche der modernen Gladiatoren wurden nämlich durch den Leistungsstreß bereits vorzeitig ruiniert, sei es durch Verletzungen (wie die medaillenverdächtige Zehnkampfelite der BRD mit Kurt Bendlin und Dr. Joachim Walde an der Spitze), sei es durch psychische Überforderung. „Zu groß ist die Last der Erwartungen“, verkündete der deutsche Weltklassehochspringer Thomas Zacharias und paßte bereits vor Monaten, während der Olympiasiebente von Mexiko im 400-Meter-Hürdenlauf, Rainer Schubert, für viele artikulierte: „Die Medaillenhysterie macht es unmöglich, wie früher naiv und zum Spaß Sport zu treiben. Die Athleten werden zum Anhängsel von Medaillen reduziert.“ Noch krasser und schriftlich formulierte die Diskuswerferin Brigitte Berendonk, daß „Sport als Vehikel der politischen Demonstration und zur Selbstdarstellung“ mißbraucht werde und klagte über die „Sporthilfe-Prostitution“, die mit der menschlichen Würde Schindluder treibe.

Sportprominenz nur Zuseher

Jenseits des großen Teiches verur-' teilen die Startbeschränkung auf drei Athleten pro Land in Kombination mit einem unsinnigen Qualifikationsmodus in den USA echte Siegesanwärter von vornherein zum Zuschauen wie etwa Rany Matson, den herausragenden Kugelstoßweltrekordler der letzten Jahre, den Halter der Weltbestleistung im Hochsprung, Pat Matzdorf, das 1500-Meter-As Martin Liquori oder das „Laufwunder“ Jim Ryun, der bei der Ausscheidung über 800 Meter auf der Strecke blieb. Zehnkampf-Ex-weltrekordler Russ Hodge, der französische Hürdenfavorit Jean Pierre Nallet sowie die chinesische Welt-rekordlerin über 200 Meter, Chi Cheng, haben ebenfalls ihren Olympiatraum verletzungsbedingt ausgeträumt.

Medaillen gegen Stammesfehden

Dennoch gibt es Länder, in welchen die „völkerverbindende Idee des Sports“ positive Seiten klar zutage treten läßt. In Afrikas Athletenhochburg Kenya konnten zwischen den Vertretern sonst rivalisierender Stämme unerwartet feste Bande der Solidarität geknüpft werden. Staatschef Yomo Kenyatta bedient sich des Spitzensports als Waffe der Innennolitik und erzielte damit ebenso deutliche Erfolge wie i Walter Ulbricht in der DDR, wo die ; sportlichen Triumphe neben Lei-i stungen der Entwicklungshilfe die weltweite Anerkennungswelle des Mauer-Regimes ungemein beschleunigen. Im afrikanischen Hochland sank die Zahl der Stammesfehden, , seit Olympioniken wie Kipchoge , Keino vom Stamm der Nandi und I Naftali Temu von den Kisii sich mit t dem Hindernislauf-Favoriten Benja-' min Jipcho von dem Ministamm der Doro und diese Leichtathleten sich wiederum mit den olympischen Boxern aus dem Stamm der Kikujus öffentlich fraternisiert hatten. Unter .i den noch relativ unverbrauchten • Athleten, für die der Leistungsdruck noch nicht zu dem nervenzermürbenden Streß der Sportler aus den Wohlstandsnationen angewachsen ist, sind auch wesentlich weniger Verletzungen festzustellen; von Frustrationserscheinungen konnte ebenfalls bislang noch keine Notiz genommen werden.

Was in Schwarzafrika einen Integrationsfaktor von nicht zu unterschätzender Bedeutung darstellt, droht aus deutscher Sicht zu einem

Leistungsvergleich verschiedener po litischer und wirtschaftliche Systeme umfunktioniert zu werder Das erklärte Ziel der Ostdeutscher die Bundesrepublik in allen Belan gen zu übertrumpfen, wird zumin dest auf sportlichem Gebiet in Mün chen seine Verwirklichung Ander Bereits 1948 hatte der heutige DDR

Chef Erich Honecker erklärt, daß „Sport nicht Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck“ sei, während der spitzbärtige Walter Ulbricht öffentlich bei gymnastischen Übungen wie in Volleyballspiele auftrat und verkündete: „DDR-Sportler auf den Siegerpodesten der Welt“ und „Europameisterschaften — das ist die beste Antwort an die Adresse der Bonner Alleinvertreter und Revanchisten.“ Beschränkte sich das Wirtschaftswunder vorwiegend auf Deutschlands westlichen Teil und werden der erwarteten Milliarde von Fernsehern Münchens Olympiabauten in all ihrer protzenhaften Herrlichkeit präsentiert, setzen die „Brüder aus dem Osten“ auf die bevorstehende Edelmetallflut, welche zu einer entscheidenden Verschiebung des Prestiges führen soll. Auch die sonst jeglichem Überschwang abholde Londoner „Times“ schwärmt vom „goldenen Zeitalter des DDR-Sports“, und all die unerfüllt gebliebenen Fünfjahrespläne sollen vom Triumph der „Diplomaten Im Trainingsanzug“, wie Ulbricht seine erfolgreichsten Emissäre nannte, aus dem Bewußtsein der Massen im In-und Ausland gebannt werden.

Die vom versponnenen IOC-Präsidenten Avery Brundage einst als „vorbildliche Amateure“ apostrophierten Ostsportler sind seit langem nämlich zu einer privilegierten Kaste der sozialistischen Gesellschaft aufgestiegen. Saftige Geldprämien (derzeitiger Kurs für einen Olympiasieg: 50.000 Ostmark) sowie prächtige Orden — neben Außenminister Winzer sind auch Zehnkampfeuropameister Joachim Kirst und Turnweltmeisterin Karin Janz mit dem „Vaterländischen Verdienstorden“ behangen — schafften den Paradesportlern außer Spitzeneinkommen auch ungeheure Popularität. Der erste Modellathlet, Pedal-treter Gustav Adolf „Täve“ Schur, ist heute, fast ein Dezennium nach seinen sportlichen Erfolgen, noch jedem Zonenbürger ein Begriff. Bert Brecht und Uwe Johnson beschäftigten sich literarisch mit dem Radheros, der in seiner Glanzzeit mehr als eine halbe Million Zuschauer aus der 18-Millionen-Bevölkerung zu einem einzigen Rennen auf die Beine brachte und der nie darauf vergaß, hinzuweisen, daß er „alles unserem Arbeiter- und Bauernstaat verdankt“.

Jedenfalls pilgern heute Funktionäre sowohl aus der großen Sowjetunion wie aus Kuba, Guinea, Sudan oder Burma nach Ost-Berlin, dem Mekka der perfektionierten Förderung sowohl des Leistungssports als auch des Gesundheitssports für jedermann. Und nach München, wenn mindestens 20 Goldmedaillen über' die Mauer gelangt sind und auch TV-Teilnehmern in fernen Busch- und Steppengebieten ebenso oft die Takte der DDR-Hymne „Auferstand aus Ruinen“ ins Gehör gehämmert worden sind, wird der sportliche Transmissionsriemen völkerrechtlicher Anerkennung seine größte Bewährungsprobe abgelegt haben.

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