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Eine große ,Skif abrik'

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„Sportpolitik“, meint Unterrichtsminister Fred Sinowatz, „soll nicht allein Subventionen und Turnstunden beinhalten, der Sport muß vielmehr als gesellschaftliche Realität und wesentlicher Teil unserer Lebensqualität gelten.“ Diese Worte eines prominenten Sozialisten überraschen. Denn tatsächlich wird im Sport, selbst in vielen Disziplinen des Breitensport, an Prinzipien festgehalten, die im Sozial- und Wohlfahrtsstaat die gesellschaftliche Wirklichkeit immer weniger prägen: am Lei-stungs- und Wettbewerbsprinzip, an zumeist objektiven und allgemein anerkannten Bewertungsregeln, an der Formel, daß Dabeisein viel, doch der Sieg alles ist.

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„Sportpolitik“, meint Unterrichtsminister Fred Sinowatz, „soll nicht allein Subventionen und Turnstunden beinhalten, der Sport muß vielmehr als gesellschaftliche Realität und wesentlicher Teil unserer Lebensqualität gelten.“ Diese Worte eines prominenten Sozialisten überraschen. Denn tatsächlich wird im Sport, selbst in vielen Disziplinen des Breitensport, an Prinzipien festgehalten, die im Sozial- und Wohlfahrtsstaat die gesellschaftliche Wirklichkeit immer weniger prägen: am Lei-stungs- und Wettbewerbsprinzip, an zumeist objektiven und allgemein anerkannten Bewertungsregeln, an der Formel, daß Dabeisein viel, doch der Sieg alles ist.

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Mag der Breitensport, wie das der deutsche Philosoph Arnold Gehlen formuliert hat, auch „ein vergnüglicher Doppelgänger der modernen Industrie- und Arbeitsgesellschaft“ sein, der Leistungssport ist es ganz bestimmt nicht (mehr). Hier walten Kraft, Tempo, Stärke, Eleganz, Mut und Ausdauer; hier zählt, was Arbeitsrecht und Sozialschutz rechtens verbieten: der Einsatz bis zu den Grenzen des physischen und psychischen Leistungsvermögens, und keinem Gewerkschaftsfunktionär der Welt würde einfallen, daran Kritik zu üben. Im Gegenteil — auch er würde seinem Sportidol lässiges Training und mangelnde Kampfmoral verübeln, den Einwand von der Vierzigstundenwoche nicht gelten lassen.

Die Massenbegeisterung am Spitzensport reflektiert nach den itren-gen Regeln des Marxismus falsches gesellschaftliches Bewußtsein, ist aber doch nichts anderes als ein Beweis dafür, daß der Mensch für ein normiertes Dasein frei von Ehrgeiz und Leistungsbereitschaft nicht programmiert ist. „Diese Eigenart des Leistungssports“, schreibt der Grazer Soziologe Helmut Schoelk, „kann die heutige Linke im Westen nie verzeihen, nie billigen. Der Sport straft ihre Utopie Lügen.“

Es ist grotesk, daß in Ost und West sportliche Erfolge als Beweis für die Qualität ideologischer Systeme angeführt werden, doch bei der Rekrutierung und Ausbildung von Spitzensportlern im Osten das Leistungs- und Konkurrenzprinzip der Marktwirtschaft bis zur letzten Perfektion kopiert wird. Es ist nicht minder grotesk, daß dabei eine totale Negation des „Gleichheitsprinzips“ nicht nur akzeptiert, sondern betont wird. Mit dieser ideologischen Lebenslüge muß der Marxismus-Leninismus ebenso leben wie der schwedische Sozialismus. Und zuletzt ist es grotesk, daß demokratisch-marktwirtschaftliche Gruppierungen diese augenfälligen Widersprüche als so selbstverständlich hinnehmen, daß sie es gar nicht der Rede wert finden, ideologische Diskussionen auch darauf zu lenken.

In den totalitären Systemen wird der Leistungssport ausschließlich vom Staat beherrscht, so wie auch internationale Erfolge für die Überlegenheit dieser Systeme zeugen sollen. Im Westen entgleitet der Leistungssport mehr und mehr dem staatlichen Einfluß. An seine Stelle ist die Wirtschaft als Mäzen des Sports getreten; keineswegs aus uneigennützigen Motiven, sondern aus Rentabilitätserwägungen, die dann immer aufgehen, wenn sportliche Erfolge auf bestimmten Geräten den Breitensport stimulieren, Nachfrage bei den potentiellen Käufern auslösen, die es dem Sport-Heros, und sei das auch noch so aussichtslos, gleichmachen wollen. Der Amateurtennisspieler verwendet das Racket des Wimbledon-Siegers, trägt Schuhe und Shirts der gleichen Marke wie auch die Mitglieder einer erfolgreichen Daviscup-Mannschaft. Dieser zutiefst menschliche Nachahmungstrieb, mit den Sportheroen wenn schon nicht den Erfolg, so doch Gerät und Kleidung zu teilen, schafft Umsätze, deren Bedeutung für die Wirtschaft eines Landes man nicht unterschätzen sollte.

Als 1960 im amerikanischen Squaw Valley Franzosen auf französischen Metallskiern die Abfahrt dominierten, schnellten die Umsätze der Rossignol-Produktion ebenso wie die Kurse der Rossignol-Aktie sprunghaft in die Höhe. Für Millionen von Skiläufern in aller Welt war der Kauf von Rossignol-Metall-skiern eine ausgemachte Sache. Der Nachfrageboom stoppte mit den ersten Niederlagen auf dieser Marke und richtete sich wieder auf oster-reichische Skier, als Karl Schranz, Egon Zimmermann und heute Franz Klammer darauf über die Piste rasten und gewannen. Heute ist Österreich mit einer Jahresproduktion von rund zwei Millionen Paar Ski bei einer Exportquote von annähernd 70 Prozent die größte Skifabrik der Welt. Insgesamt erreicht die Ausfuhr von Wintersportartikeln immerhin ein Vierzigstel der österreichischen Gesamtexporte, ein Exportvolumen von mehr als 3,5 Milliarden Schilling im Jahr 1974. Erst recht wirken sich die Erfolge unserer alpinen Skiläufer auf den Winterfremdenverkehr aus, der Wohlstand in Regionen brachte, die noch vor wenigen Jahren von der Welt abgeschnitten waren.

Bis vor wenigen Jahren beherrschte die skandinavische Langlaufskiproduktion den Markt in den nordischen Disziplinen. Vor zwei Jahren erzielten skandinavische Sportler auf österreichischen Langlaufskiern Erfolge bei Weltmeisterschaften. Der Export in den Norden Europas ging sprunghaft in die Höhe, heute besetzt dort die österreichische Produktion ein wichtiges Marktsegment.

Große sportliche Bewerbe werden heute fast ausschließlich von großen Unternehmen gesponsert: Den Tennis-Grand-Prix finanziert ein britisches Versicherungsunternehmen, die französische Mineralwasserfirma Evian fördert den Skiweltcup, die InterSportorganisation fördert die deutsch-österreichische Skispringertournee, der große Formel-1-Auto-Preis von Österreich wird von der österreichischen Tabakwirtschaft organisiert und die Volksbankenorganisation sponsert den Schwimmerwintercup. Mit der finanziellen und organisatorischen Hilfe von großen Wirtschaf tsbetrie-ben werden nicht nur dem Leistungssport, sondern erst recht dem Breitensport geholfen, Bestleistungen stimuliert und das potentielle Interesse an sportlicher Betätigung aktiviert.

Meist wirken Investitionen der Sportartikelwirtschaft in den Leistungssport direkt auf das Nachfrageverhalten im Massengeschäft ein. Das gilt insbesondere für den Winter-, Tennis-, aber auch den Tischtennissport. In vielen Fällen haben Investitionen in den Sportbetrieb aber vor allem die Aufgabe, den Bekanntheitsgrad und das Image von Unternehmen und Produkten, die mit dem Sport wenig oder gar nichts zu tun haben, zu heben. So fließen in Österreich viele Werbemillionen in den Fußball, der aus der Sicht der Sportartikelindustrie viel weniger interessant ist, als etwa die Fischerei oder gar der Motorsport. Die Verbindung eines Unternehmens- oder Produktnamens mit dem, Namen erfolgreicher Fußballvereine bringt Placierungen auf den vielgelesenen Sportseiten der Massenmedien ein, schafft Good-will- und Erinnerungswerte. So finanzieren Wiener-berger-Bau den renommierten Fußballklub Rapid-Wien, eine Tapetenfirma ein Basketballspitzenteam, die Firma Schartnerbombe den Radsport, einige regionale Sparkassen Fußball und Eishockey. Die Raiff-eiseri-Geldorganisation hat schon' auf Niki Lauda gesetzt, als dieser noch in der Formel 1 entweder ausfiel oder im abgeschlagenen Feld landete. Diese Investition hat sich nun gelohnt. Nicht nur für den Weltmeister Lauda, sondern vor allem auch für die Raiffeisen-Geld-organisation, für die nun auch ein Teil der Dynamik Laudas abfiel.

Der Staat, der sonst überall dabei sein will, hat der Wirtschaft in den letzten Jahren das Feld fast kampflos überlassen. Nicht zum Nachteil des Spitzensports, der in vielen Disziplinen immer bessere Leistungen schafft, obwohl der Bund seine finanziellen Mittel zur Förderung des Spitzensports immer spärlicher fließen läßt. 1975 wurden aus dem Bundesbudget dafür rund 50 Millionen Schilling aufgewendet, fast genauso wenig wie zehn Jahre vorher und bedeutend weniger als sich die Skiindustrie allein die Winteroiym-piade in Innsbruck kosten läßt.

Die Intensität der Beziehungen von Sport und Wirtschaft sind auf Leistung, Konkurrenzkampf und Erfolg aufgebaut, wie auch die Entwicklungen dieser beiden Bereiche davon abhängen. Es handelt sich dabei um eine „Vernunftehe“ mit gesamtgesellschaftlichen Nebenwirkungen. Der Breitensport wird nur dann gut funktionieren können, wenn es auch akzeptable Spitzenleistungen in den diversen Disziplinen gibt. Er prägt — von unrühmlichen Ausnahmen abgesehen — ein soziales Verhalten, das von Disziplin, Fairneß, Kooperationsbereitschaft bestimmt wirdv Kanalisiert unausge-lastete Kapazitäten in Freizeitbeschäftigungen, die der Volksgesund-t heit dienen. Auch daraus resultieren ökonomische Effekte: Die Belastung von Krankenhäusern wird reduziert, Arbeitsausfälle sinken. Freilich nur dann, wenn Maß und Ziel mit dabei ist. Immerhin schätzt die Versicherungswirtschaft die volkswirtschaftlichen Verluste, die im vergangenen Jahr aus Sportunfällen resultierten, auf rund 100 Millionen Schilling. Es gibt eben tatsächlich keine Medaille, die nicht auch eine Kehrseite hätte.

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