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Weltfestival aus Sensation und Prestige?

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Unweit vom Marienplatz, in Münchens Zentrum. zeigt jeden Morgen eine neue Zahl an, wieviele Tage noch verstreichen müssen, bis auf dem Oberwiesenfeld die Olympiafanfaren ertönen. Ein Jahr vor diesem Ereignis sind nach einer kürzlich veröffentlichten Befragung immerhin 66 Prozent aller Bundesdeutschen der Ansicht, daß es sich dabei um eine, „gute Sache“ handle. Vergleicht man jedoch die während dieses Vorjubiläums in den Massenmedien geäußerten Meinungen, so ergibt sich ein etwas differenzierteres Bild.

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Unweit vom Marienplatz, in Münchens Zentrum. zeigt jeden Morgen eine neue Zahl an, wieviele Tage noch verstreichen müssen, bis auf dem Oberwiesenfeld die Olympiafanfaren ertönen. Ein Jahr vor diesem Ereignis sind nach einer kürzlich veröffentlichten Befragung immerhin 66 Prozent aller Bundesdeutschen der Ansicht, daß es sich dabei um eine, „gute Sache“ handle. Vergleicht man jedoch die während dieses Vorjubiläums in den Massenmedien geäußerten Meinungen, so ergibt sich ein etwas differenzierteres Bild.

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Die ,,Münchner Abendzeitung“ beispielsweise spricht vom „Zweimilliardending“. Und es sind in der Tat viele, die das Ganze beinahe ausschließlich von der finanziellen Seite betrachten. Was vor fünf Jahren mit 520 Millionen Mark veranschlagt wurde, ist schon heute infolge von Kostensteigerungen, Fehlplanungen und unvorhersehbaren Details auf beinahe das Dreifache angewachsen: Allein in München betragen die Baukosten 1350 Millionen, in Kiel 95 Millionen; die Organisation steht zusätzlich mit 378 Millionen zu Budie und 78 Millionen werden außerdem für provisorische Bauten verbraucht. Dem stehen nur

1054 Millionen an einigermaßen gesicherten Einnahmen gegenüber und es gilt als ausgemacht, daß das Manko, in das sich Bund, Land und Stadt München teilen müssen, noch um einiges größer wird.

Manchen ist es ferner ein Dom im Auge, daß sich München mit den Spielen auf Kosten auswärtiger Steuerzahler saniert, zumal Ober bürgermeister Vogel jętzt- offen zugibt, daß „handfeste kommunale Interessen“ bei der Bewerbung maßgebend waren. Das schlagartig aus dem Boden gestampfte U-Bahn- und S-Bahn-System, die großzügigen Sport- und Freizeitanlagen sowie ein völlig neuer Stadtteil sind lohnende Ausbeute genug. Von den zwei bis drei Millionen Besuchern erwarten sich lokale Betriebe und Unternehmen einen Multiplikatoreffekt, der auch im nachhinein noch vieles vergoldet.

Negativa zeigen sich allerdings in der noch unbekannten Höhe der Nachfolgelasten, die der Stadt aus den Olympiabauten erwachsen, und in der beinahe bedrohlich gestiegenen Attraktivität Eine anschwellende Lawine von Zuwanderem und Besuchern nach 1972 könnte die erzielten Vorteile in der Infrastruktur bald in ihr Gegenteil verkehren.

Daß sich die Werbung für die Olympiastadt München, die bisher vor allem im Ausland forciert wurde, nicht nur positiv auswirkt,

mußten schon in diesem Sommer die hiesigen Fremdenverkehrsbüros feststellen, als sie vor allem weniger bemittelten Jugendlichen keine Unterkunft mehr bieten konnten. Überproportionai zunehmende Lebenshaltungskosten und Baupreise, ständig höher werdende Fluglärm- und Abgaspegel sind ebenfalls wenig dazu angetan, die Freude vieler Münchner am Olympiageschenk zu mehren.

Die Werbetrommeln tönen jedoch weiter. Wagenladungen grünen Papiers verlassen die überfleißige Olympia-Pressestelle, vollge- propft mit Nachrichten vorwiegend quantitativer Natur: soundso viele Tonnen Stahl, Kubikmeter Kies, Kilometer Leitungen, Meter Latten, Stück Nägel, die in der „größten Baustelle Europas“ verbraucht worden sind; soundso viele Tonnen Bettwäsche, Hektoliter Bier, Stüde Vieh und speziell gekochte Menüs, die für Athleten und Besucher bereitgestellt werden müssen. Was hier in Texten, Plakaten, Filmen und Besucherführungen durch die faszinierende technische Landschaft präsentiert wird, mutet somit trotz aller bescheidenen Beteuerungen immer mehr an als die Vorbereitung zu einem gigantischen Weltfestival des Konsums.

Die olympische Idee als friedlicher Wettkampf von Sportamateuren aus aller Welt tritt damit nach Rom und Mexiko noch einen Schritt mehr in den Hintergrund. Willy Daume, Präsident des Nationalen Olympischen

Komitees, spricht von der „Aufgabe unseres Volkes“, das „wohl größte Friedensfest auf dieser Welt" auszurichten. Die „Süddeutsche Zeitung“ beantwortet die Frage nach der ungeschminkten Bedeutung der Olympischen Spiele wie folgt: „Für Oberbürgermeister Vogel — die Sanierung der Stadt München; für viele ungenannt bleiben wollende Herren in Politik und Wirtschaft — endlich Leitbilder für die Jugend und eine Ablenkung von Sex und Hasch; für die elektronische Industrie — eine Umsatzsteigerung bei FaTbfemseh- geräten; für die Bundesregierung — ein neues Deutschlandbild, das die zahlreichen unterschwelligen Erinnerungen an 1936 überlagert.“ Und der kürzlich verstorbene Sportmäzen Georg von Opel definierte die Spiele kurz und bündig als „internationale Show von Sensationssucht und nationalem Prestige“.

Bemühungen Daumes und anderer sind somit nichts anderes als ehrenhafte Versuche, noch zu retten, was zu retten ist. Das schon in Einzelheiten ausgefeilte kulturelle Programm, worin unter anderem die Moskauer Philharmoniker auftreten, der wissenschaftliche Kongreß über Sportfragen, die „Spielstraße“, vermehrt geförderte Kontakte im Olympischen Dorf tendieren alle dahin, wenigstens noch da und dort einen humanen, der Sensationsgier und dem Leistungsdruck entzogenen Schutzraum zu gestalten. Aber dies wird und muß Verbrämung bleiben.

Mittelpunkt ist unangefochten und vermutlich stärker denn je der mit sportlichen Mitteln ausgetragene politische Kampf der 126 Nationen um Gold, Silber und Bronze — um nationalen Ruhm oder nationale Schande. Organisatorische Maßnahmen, wie etwa die Mannschaften nicht mehr in starren Blocks aufmarschieren zu lassen, Nationalhymnen nur zum Teil und auch dann nur in Kurzfassungen zu spielen und die Fahnen der teilnehmenden Länder nicht mehr während der ganzen Dauer der Olympiade wehen zu lassen, werden daran nur wenig ändern.

Die „Bild-Zeitung“, die sich im Augenblick lediglich 42 Medaillen für die Bundesrepublik ausrechnet, schreibt in fetten Lettern: „Wenn wir versagen, wird man mit Steinen werfen.“ Die DDR, weiche — gemessen an der Wohnbevölkerung — mit einem weit höheren Medaillenanteil kalkulieren dürfte, hat wiederholt und in starken Tönen die Bundesrepublik davor gewarnt, die Spiele für „Revanchismus und Alleinvertretungsanmaßung“ zu mißbrauchen. Unisono mit den sowjetisch beeinflußten Staaten stellte die DKP fest: „Um die Austragung im Sinne der olympischen Idee zu gewährleisten, müsse aber unter anderem die sofortige Einstellung der Hetzsendungen von ,Radio Freies Europa’ und ,Radio Liberty’, eine generelle Ablehnung des .Olympischen Lesebuches’ als Schulbuch und ein Verbot aller neonazistischen Gruppen in der Olympiastadt gefordert werden.“

Die Sowjetunion hat ihrerseits zu erkennen gegeben, daß sie sich — wohl auch im Hinblick auf die jüngsten außenpolitischen Entwicklungen — mit einem gewissen Burgfrieden der beiden Sender zufrieden gibt, zumal die Bundesrepublik durchblicken läßt, daß sie die Bewerbung Moskaus für die übernächsten Spiele nachhaltig unterstützen will. „Recht interessante indirekte Kontakte“ bestehen nach Äußerungen des SPD-Bundestagsabgeordneten Müller-Emmert auch zur Volksrepublik China. Falls in Peking noch ein Olympisches Komitee gegründet würde, könnte China nach Meinung Daumes selbstverständlich zur Teilnahme eingeladen werden.

Wenn für die Bundesrepublik die erhofften Meriten auf sportlichem Gebiet noch fraglich sind, so sind doch 600 Organisatoren und Betreuer dabei, das mit allem Einsatz in die Wege zu leiten, was sich die überwiegende Mehrheit der verschiedenen nationalen Olympiakomitees von Westdeutschland erwartet: „Perfekte Spiele.“

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