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Die Spesenritter des Sports

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Die Goldmedaille für den Gewinner des Abfahrtslaufes der Herren in Sapporo könnte eingeschmolzen oder per Nachnahme nach St. Anton geschickt werden — durch den skandalösen Ausschluß des im 15. Jahr seiner internationalen Karriere als Skirennläufer wieder einmal absolut besten Abfahrers Karl Schranz kann sie für den künfdgen Inhaber bestenfalls Metallwert besitzen.

Geopfert auf dem Altare eines schon seit langem verlogenen Amateurismus und zum Süriden-bock alpenländischer Werbung der Wintersport- und damit auch der Fremdenverkehrsindustrie gestempelt, erlebte das Skiphänomen vom Arlberg in Japan anstatt der erhofften Krönung seiner Laufbahn die bitterste unter seinen zahlreichen Enttäuschungen.

Auf die persönliche Tragik des „Königs der Skifahrer“ (so Sportreporter Hans Klettner im ORF an-läßbch Schramz' jüngstem Doppel-triumph am Kitzbühler Hahnenkamm) soll hier nicht näher eingegangen werden, weiß doch fast jeder auch am Sport weniger Interessierte, daß der Arlberger nicht das erste Mal um olympisches Gold und auch andere Erfolge geprellt wurde. Auch die Namen derjenigen, die letzten Endes bewirkten, daß der zweimalige Weltcupgewinner und dreifache Weltmeister als einziger profilierter Skisportler vor dem olympischen Meineid „bewahrt“ bleibt, seien der Druckerschwärze der Boulevardpresse überlassen.

Ein rechter Linker würde wohl in diesem Zusammenhang von einer „Verschwörung des amerikanischen Kapitalismus und des franco-helve-tischen Chauvinismus auf Kosten des seriösesten Medaillenanwärters aus einem neutralen Staate“ schreiben — wir jedoch wollen weniger die , Konspirateure“ im Ausland untersuchen, sondern den Kehrricht, der sich vor der eigenen Türe angesammelt hat.

Der Skandal hatte sich nämlich bereits seit langem am olympischen Horizont angekündigt — häufiges Wetterleuchten zuckte im abgelaufenen Jahr aus dem meist griesgrämig verzogenen Mund des IOC-Präsidenten Avery Brundage in Form von Haßtiraden umd unverhüllten Drohungen gegen den alpinen Skilauf. Und dem im Gedankengut der Gründerzeit steckengebliebenen millionenschweren Apostel des vermorschten Amateurgedankens erschien natürlich der erfolgreichste Skirennläufer Karl Schramz — laut ÖVP-Obmann Dr. Schleinaer „gerade das Vorbild einer ganzen Generation von Sportlern“ — als „ein hochbezahlter Agent der Skiindustrie“.

Was aber taten die verantwortlichen Funktionäre des österreichischen Olympischen Komitees und des nationalen Skiverbandes? Gewiß, sie rafften sich im Juni 1971 zu einer Anfrage beim IOC auf und gaben sich mit einer unverbindlich-nichtssagenden Antwort zufrieden — genauso unverbindlich und nichtssagend wie die jüngste Stellungnahme des ÖOC-Vorsitzenden, Sektionschef Dr. Pruckner, aus Sapporo nach dem Platzen der Bombe. Nichts mehr klang darin nach von den großen Tönen, die er vor dem Bundespräsidenten anläßlich der Verabschiedung der Olympia-Mannschaft (auf seiner Gedächtnisstütze) gefunden hatte, von einem „Kämpfen bis zur letzten Patrone“, die offenbar keinen Schuß Pulver wert ist, von „einem Rücktritt der gesamten Skimannschaft, wenn auch nur ein einziger disqualifiziert werden sollte“. Vielmehr — und angesichts der Situation, in die man in grob fahrlässigem Leichtsinn hineinschlitterte, blieb vom bislang zur Schau gestellten Optimismus und hohlem Pathos nur letzteres — sprach er davon, daß „50 Prozent des ÖOC“... „in den Fernen Osten gezogen sind“, von einer notwendigen Beachtung der „Staats- und wirtschaftspölitlischen Idee“, von „Rücksichtnahme auf das Gastgeberland“ und intervenierte bei Botschafter Dr. Thomas, einem Karrierediplomaten, der seine Zunge besser im Zaum zu halten versteht. Auch die „beiden Rechtsanwälte“ (ÖOC-Kassier Dr. Gero und ÖSV-Präsident Dr. Klee), die laut Pruckner etwaige Schwierigkeiten bereinigen würden, dürften in ihrem Effekt hinter ihren Spesenabrechnungen zurückbleiben. Dr. Klee werden zwar von Sportredakteur Heinz Prüller „starkes Rückgrat und verzweifelte Bemühungen“ bescheinigt, doch wäre solches Rückgrat nicht schon am Platz gewesen, als es galt, innerhalb der FIS (Internationaler Skiverband) eine verbindliche Abmachung der im alpinen Skisport dominierenden Alpenländer zu erzielen, daß Im Falle der Disqualifikation auch nur eines einzigen Läufers (egal, welcher Nation) ein gemeinsamer Boykott der Spiele erfolge, anstatt „befriedigt auf eine weitgehende Übereinstimmung“ in dieser Frage hinzuweisen? Von der scheinbar so abwegigen Idee, sich rechtzeitig mit Brundage persönlich ins Einvernehmen zu setzen oder dies zumindest zu versuchen, ganz zu schweigen ...

Aber daß besonders im österreichischen Sport Funktionär und funktionieren selten mehr als den Wort-stamm gemeinsam haben, muß aus diesem traurigen Anlaß Wieder betont werden. Es wäre zwar über das Ziel geschossen, den Namen des Dr. Pruckner in direkte Verbindung mit dem sportlichen Abstieg von Fußballrekordmeister Rapid zu bringen, zumal es etwa dem Geflügelhändler Draxler weit spektakulärer gelungen ist, die Sporklub-Elf „hin-unterzuimanagen“. Und es ist als ein echtes Wunder zu bezeichnen, daß etwa in der Leichtathlethik trotz vieler kleinlicher Rivalitäten innerhalb der Funktionärscliquen ein so erstaunlicher Leistungsaufschwung zu verzeichnen ist. Ob die Männer von Frau Prokop und Frau Gusen-bauer, ob gut gemeinter und schlecht praktizierter Idealismus — zumindest im Spitzensport wäre es an der Zeit, daß eine Generation von Sportmanagern nebenberufliche Spesenritter oder Funktionäre, deren Horizont beim Stammtisch endet, ablöst.

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