Das große Jahr von Ski und Ball

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2014 stehen mit den Olympischen Winterspielen von Sotschi und der Fussballweltmeisterschaft in Brasilien zwei Grossereignisse ins haus. Doch beide werden von Affären und sozialen Protesten begleitet. Ein kleiner Vorgeschmack.

Knapp zwei Monate sind es noch bis zu den Putinschen Spielen von Sotschi, den 22. Olympischen Winterspielen der Neuzeit. Wird sich die olympische Idee dort endgültig diskreditieren, fragt bang der Gerechte und der Zyniker weiß die Antwort schon: Dass es gar nichts mehr zu diskreditieren gibt. Die "Herren der Ringe“ des IOC stehen schon lange auf der moralischen Abschussliste. Dass Russland eine Bühne für seinen Langzeitherrscher bekommt, ist da für den Kritiker nur noch ein Tüpfelchen. Dabei wird beständig übersehen, wie sehr sich die Inszenierung des Sports, also das Gefäß der Spiele, zur Inszenierung von Macht eignet - und immer schon getan hat. 770 vor Christus, als die Spiele in Griechenland erfunden wurden, war eine Zeit der Könige und Tyrannen. Von Demokratie stand erst knapp 200 Jahre später zu lesen, und da auch nur vorübergehend. Viel später, im Jahr 1835, ließ sich der bayerische König von Griechenland, Otto I., vom athenischen Kaufmann Evangelos Zappas Spiele bezahlen, die als die ersten wichtigen Vorläufer des modernen olympischen Turniers gelten.

Potentaten-Spiele

Die Tyrannen haben die Spiele also weitaus effizienter benutzt als Demokratien. Nehmen wir nur den olympischen Fackellauf. Erfunden hat den ein Beamter des Reichspropagandaministeriums von Adolf Hitler. Wodurch sich auch zeigt, dass sich im Sport viel charakterlich Interessantes zeigt. Damals, 1936, führte der Lauf von Olympia/Griechenland über Belgrad, Wien und Prag nach Berlin.

Auf dem Wiener Heldenplatz gab es einen begeisterten Empfang samt beeindruckender Lichtshow durch die Regierung des Ständestaates. In Prag hingegen gab es Proteste, im Zuge derer die Fackel erlosch. So etwas kann in Sotschi freilich nicht passieren. Denn der russische Präsident Putin und sein Stab wissen zu genau, welchen symbolischen Wert das hätte. Also laufen in geschützem Rahmen insgesamt 14.000 Menschen über 65.000 Kilometer und durch 2900 Städte mit der Fackel. Sie tauchen damit in den tiefsten See der Welt - den Baikalsee, laufen damit über den Nordpol und fliegen sogar ins All. Und damit hat das olympische Feuer, wenn es nach 123 Tagen in Sotschi ankommt, praktisch jeden Ort des Universums gesehen, der russisch beflaggt ist. Das nennt man Selbstdarstellung.

Doch davor galt es noch einige Mängel zu beheben, die sich in Sotschi eingeschlichen haben. Es sind zunächst die Kosten des Ereignisses. Manche Berechnungen, welche die Bestechungsgelder inkludieren, kommen auf 50 Milliarden Dollar Kosten, so behauptet das jedenfalls Alexander Sokolow, ein russischer Ökonom. Wenn seine Berechnungen stimmen, wäre das ungefähr soviel wie alle bisherigen Winterspiele gemeinsam gekostet haben. Das ist also schneller, höher, weiter aus der Perspektive Moskaus aus gesehen. 50.000 Sportler ringen um 1300 Medaillen, zu ihrer Unterhaltung sind 4000 Künstler engagiert worden. Zu ihrer Hilfe wird es 22.000 Rettungskräfte geben. Das teuerste Ticket wird 50.000 Euro kosten.

Superlativen, wohin man sieht. Nicht zu vergessen die Geschichte mit den Kanaldeckeln. Diese Kunstwerke aus Schmiedeeisen finden nämlich reißenden Absatz auf dem Schwarzmarkt. Rund 800 Stück wurden schon gestohlen, Schaden: 60.000 Euro. Das Bild der Superlative ist also im Reich des russischen Präsidenten äußerst vielgestaltig. Nur eines ist sicher. Alle Wege der Winterspiele führen nicht zu den Sportlern, sondern geradewegs in den Kreml. Auf der Bilddatenbank findet man jedenfalls eine eindeutige Tendenz. Von 84 Bildern stellen 42 Wladimir Putin dar. Doch die Olympischen Spiele sind nicht einmal das Hauptereignis der Sport- und Freizeitwelt in diesem Jahr. Sondern Brasilien.

Auf nach brasilien

"Entscheidend“, sagt eine Fußball-Weisheit, "ist auf dem Platz“. Und dort wird wieder alles beim Alten sein, wenn im Juni in Sao Paulo die Fußball-WM angepfiffen wird. Gerade noch rechtzeitig scheinen die brasilianischen Gastgeber in die Gänge gekommen zu sein, um auf ihrer eigenen Party die Hauptrolle spielen zu können. Bei der Generalprobe, dem Confederations Cup, filetierten sie im Finale gar den Weltmeister aus Spanien. Weshalb es nach den Enttäuschungen 2006 und 2010 lauter denn je heißt: rumo a hexa (Auf zum sechsten WM-Titel)!

Und sonst so, Brasilien? Was wurde eigentlich aus den Massenprotesten im Zeichen sozialer Standards, die im Juni in Polizeigewalt und Straßenschlachten eskalierten?

Verebbt, wie manch ein Kommentar im Spätsommer vorschnell behauptete, sind sie keineswegs. Von August bis Oktober streikten die Lehrer staatlicher Schulen im Bundesstaat Rio de Janeiro für mehr Gehalt. Mehrere Demonstrationen endeten in massiven Ausschreitungen. Am Unabhängigkeitstag, dem 7. September, gab es neben Feiern auch Protest-Kundgebungen in weit über 100 Städten. Auch diese wurden von Gewalt und Festnahmen überschattet.

Dabei sah man den vom Confederations Cup bekannten Link zwischen Protest und Fußball: vor dem Nationalstadion in Brasilia, wo die Seleção in einem Freundschaftsspiel auf Australien traf, machte die Polizei mit dem Versuch einer Kundgebung kurzen Prozess. Im Oktober spitzte sich die Situation zu: ein Polizist erschoss im Rahmen einer Demonstration in São Paulo einen 17-Jährigen, mit schweren Ausschreitungen als Folge.

An den letzten Spieltagen der brasilianischen Liga begannen auch die Fußball-Profis zu streiken. "Bom SensoFC“ ("FC Gesunder Menschenverstand“) nennt sich ein Zusammenschluss von 75 Spielern der beiden höchsten Ligen, die gegen den übervollen Spielplan im WM-Jahr 2014 protestieren - mit halbminütigen Spielunterbrechungen, während der sich die Kicker mit verschränkten Armen gegenüberstehen. Das Motto: "Für einen besseren Fußball für alle.“ Via Twitter lässt die Bewegung einen alten Revolutions-Slogan verlauten: a luta continua ("Der Kampf geht weiter“).

Kämpfe ganz anderer Art werden zur Zeit auf den Baustellen der neuen WM-Stadien ausgetragen. In der Amazonas-Metropole Manaus und in Cuiabà im Westen des Landes werden die Arenen kaum bis zur FIFA-Deadline am Jahresende fertig werden. In Cuiabà, wo vier Vorrundenspiele stattfinden werden, droht zudem ein Mangel an Hotelzimmern.

Wahlen nach dem Finale

Nach dem Schlusspfiff ist vor dem Anpfiff. Diesfalls ein politischer: keine drei Monate nach dem WM-Finale wird am 5. Oktober in Brasilien gewählt. Präsidentin Dilma Rousseff (Arbeiterpartei), die während der Massen-Proteste im Juni und Juli drastisch an Ansehen verlor, hat zuletzt in Umfragen wieder an Boden gewonnen. Die Wahlen werden zum Wegweiser für Brasilien werden. Im konservativen Lager wittert man die Chance, die Ära des Partido dos Trabalhadores (PT) auf den Müllhaufen der Geschichte zu entsorgen. Die Regierung indes dürfte umso inniger auf eine erfolgreiche Copa mit konziliantem Effekt hoffen.

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