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DIE WIEGE DER OLYMPIADEN

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Zu Ehren seines toten Freudes Patroklos veranstaltete Achill eine großartige Leichenfeier. Eine Nacht hindurch brannte der Scheiterhaufen, dann türmten die Achäer das Grab auf und begannen Wettkämpfe um kostbare, von Achill ausgesetzte Preise. — Die homerische Schilderung weist auf einen der Ursprünge der Wettkämpfe im antiken Hellas. Sie feierten das Andenken eines toten Heros und wurden an seinem Grab abgehalten.

In Olympia vereinigte sich der Kult des Göttervaters Zeus mit Wettkämpfen zum Gedächtnis des Pelops, des mythischen Gründers der Olympischen Spiele. Dieser hatte mit dem Herrscher des Landes Elis, dem Ätoler Önomaos, ein Wagenrennen um dessen Tochter Hippodameia und die Herrschaft über das Land ausgetragen und war siegreich geblieben. Die Spiele sollen aber erloschen und erst durch Herakles, den Stammesheros der Dorer, wieder eingesetzt worden sein. Diese Überlieferungen bezeugen das ehrwürdige Alter des Heiligtums, das schon in mykenischer Zeit bestanden haben muß, wie Gebäudereste beweisen. Vielleicht ist der örtliche Kult noch älter, denn hierher versetzt der Mythos den Kampf zwischen Zeus und Kronos, an den auch der Name des Kronoshügels erinnert. Der Verehrung des Kronos und der Rhea folgte die des Zeus und der Hera.

Olympia liegt wenige Kilometer von der peloponnesischen Westküste entfernt, im Inneren der Landschaft Elis, wo sich die ersten von Kiefern bestandenen Kuppen des Hügellandes aus dem dichtbewachsenen Flachland erheben. Die Niederung wird von dem wasserreichen Fluß Alpheus durchflössen, mit dem sich der im Sommer trockene Kladeos am Fuß des Kronoshügels vereint. Im Altertum wuchs hier ein Olivenhain, jetzt beschatten hohe Kiefern die Ruinen, die in dem Zwickel zwischen beiden Flußbetten liegen. Die tiefe Lage und die umrandenden Hügel behindern die Sicht nach allen Seiten, so daß weder der Fluß noch das nahe Meer zu sehen sind. Im Sommer steigt feuchter Dunst aus der Talmulde und von den schilfbewachsenen Ufern des Alpheus empor, und in das Gequake der Frösche mischt sich das lästige Summen der Mücken. Wie bei allen frühen griechischen Heiligtümern sind die Baulichkeiten locker angeordnet. Um einen Kern, dessen Lage durch uralten Kult bestimmt war, bildete sich ein Kranz von Bauten für sekundäre Zwecke.

In historischer Zeit stand der heilige Bezirk, an den sich nie eine Siedlung angeschlossen hat, unter der Oberhoheit der westpeloponnesischen Stadt Pisa. Nach deren Zerstörung im Jahre 576 vor Christus gelangte Olympia in den Besitz der Stadt Elis. Unter der Herrschaft Pisas wuchs das Ansehen des Heiligtums, in dem es auch ein Zeusorakel gab, unter der Führung von Elis wurden die Festspiele zu einem panhellenischen Ereignis. Seit 776 vor Christus wurden die Namen der Sieger verzeichnet; diese Jahreszahl bedeutet den Beginn der nach Olympiaden zählenden griechischen Zeitrechnung.

Alle vier Jahre kündeten heilige Herolde das Fest in den hellenischen Städten an. Eine allgemeine Waffenruhe unterbrach Fehden und Kriege, Festgesandtschaften mit Weihgeschenken an das göttliche Paar und die zwölf olympischen Götter strömten herbei, die in dem Heiligtum Altäre besaßen. Die Stadt Elis stellte die Priesterschaft und führte die Feiern und Spiele durch, die im Herbst stattfanden und fünf Tage andauerten.

Neben sportlichen Kämpfen wurden auch kriegerische Übungen abgehalten. Die Wagenrennen hielten die Erinnerung an die von Homer besungene heroische Vorzeit der Griechen wach, die Wettläufe in voller Rüstung dienten zur Ausbildung der Hopliten, des schwerbewaffneten Fußvolks. Aristokratische Tradition und bürgerliche Gegenwart spiegelten sich in den Kampfspielen wieder. Als die Verteidigung der griechischen Stadtstaaten immer mehr Söldnertruppen überlassen wurde, traten auch in Olympia Berufssportler an die Stelle der adeligen und bürgerlichen Jugend. Bildwerke aus hellenistischen Zeiten zeigen ihre mit Muskeln bepackten Leiber, ihre unedlen Köpfe mit den starken Brauenwülsten und den zerdroschenen Nasen. Die Olympischen Spiele verloren ihre religiöse Weihe, der Sportbetrieb nahm den größten Raum ein. Um das Tempelplateau reihten sich in der Spätzeit Trainingsanlagen und Gästehäuser für die Fremden. Eine lange Säulenreihe schob sich zwischen die Tempel und das weiter nach Osten verlegte und vergrößerte Stadion. Götterehrung und sportliches Geschehen gingen in getrennten Bereichen vor sich.

Die Versuche der makedonischen Herrscher und römischen Kaiser, den Olympischen Spielen neuen Glanz zu verleihen, bewirkten keine Restaurierung der ursprünglichen olympischen Idee, sie institutionalisierten den Sportbetrieb. Trotz dieser Verweltlichung wurde die religiöse Grundlage nie gänzlich aufgegeben. Auch nach der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion hielten die Bewohner des Peloponnes an den alten nationalen Bräuchen fest. Im Jahre 393 untersagte Kaiser Theodosius I. die bis dahin regelmäßig abgehaltenen Olympischen Spiele, sein Enkel Theodosios II. ordnete die Zerstörung des Zeustempels an. Erdbeben fällten die Säulen, und der Kladeos schwemmte Erdreich auf die Stätte. Der Ort Olympia entschwand dem Gedächtnis der Menschen und wurde erst im achtzehnten Jahrhundert wiederentdeckt. In mehreren Kampagnen haben deutsche Archäologen den größten Teil des Geländes freigelegt. Die Ausgrabungserfolge führten zu einem Wiederaufleben der olympischen Idee und zur Einrichtung der Olympischen Spiele, die zum erstenmal 1896 im wiederaufgebauten Panathenäen-Stadion zu Athen stattfanden.

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