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Bellerophons Erben

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Zum ersten Mal in einer (Ausstellung vereint ist ein be- achtlicher Teil des Skulpturen- schmuckes der Lykier im Waffen- keller der Schallaburg. Die Lykier, ein längst in jüngeren Völkern auf- gegangenes indogermanisches Volk, haben in der Antike im Südwesten der heutigen Türkei gesiedelt, ihre ausdrucksstarken steinernen Zeu- gen berichten von den Göttern, die sie verehrt, von den Helden, die sie in zahlreichen Mythen verherrlicht und von den Herrschern, denen sie großartige Grabdenkmäler errich- tet haben.

Die nach dem wissenschaftlichen Konzept von Jürgen Borchhardt gestaltete und bis 4. November

laufende Exposition des Landes Niederösterreich trägt den Titel „Götter, Heroen, Herrscher in Lykien". Zahlreiche Leihgeber - neben dem Kunsthistorischen Museum in Wien das Britische Museum in London, das Archäolo- gische Museum in Antalya, die Königliche Münz- und Medaillen- sammlung, Kopenhagen, und das Wiener Institut für Klassische Ar- chäologie - haben Objekte zur Verfügung gestellt. Dazu kommen noch auf Grabungsbefunden Borch- hardts basierende Rekonstruk- tionsmodelle.

Der 1982 an die Wiener Universi- tät berufene deutsche Archäologe gräbt nämlich seit 1969 in Limyra, einer neben Xanthos, Trysa (Göl- basi) und Myra bedeutungsvollen Stadt der lykischen Halbinsel. Im 19. Jahrhundert hatte der Englän- der Charles Fellows reich mit Re- liefs verzierte Marmorblöcke aus Xanthos in seine Heimat gebracht, sie gehören zu den prominentesten Exponaten des Britischen Mu- seums.

1882/83 rüstete mit Unterstüt- zung des Kaiserhauses auch Öster- reich-Ungarn eine Expedition un- ter dem damaligen Ordinarius für Klassische Archäologie der Wiener Universität, Otto Benndorf, in das sich wie eine wuchtige Festung in das Mittelmeer vorschiebende waldreiche Land der Lykier aus. Und auch Benndorf kam mit hoch- rangigem Material nach Hause: dem 211 Meter langen, mit rund 600 Figuren geschmückten Fries vom Grabmal des lykischen Fürsten von Trysa aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. Diese Friese lagern im Mu- seums-Depot, Wissenschaftsmini- ster Erhard Buseks Versprechen, das Denkmal originalgetreu wie- der aufzustellen, wird hoffentlich bald eingelöst.

Auf der Schallaburg sind nun sowohl das Gipsmodell der Grab- stätte des als Heros verehrten Herr- schers von Trysa zu sehen als auch drei Friesplatten von der den Grab- bezirk umgebenden Mauer. Von den Xanthos-Funden werden je ein Block vom etwa aus derselben Zeit stammenden Nereiden-Monument und dem Harpyiengrab gezeigt. Auf einer Platte ist König Priamos von Troja mit dem Szepter im Arm zu sehen, ein Panther liegt zu seinen

Füßen und ihm zur Seite steht seine Gemahlin Hekabe. Auf einer ande- ren ist der Grabinhaber als jugend- licher Held in einem vierspännigen Wagen abgebildet. Auf einer drit- ten Platte ist Bellerophon mit sei- nem, dem Blut der toten Medusa entsprungenen Flügelpferd Pega- sos dargestellt.

Entsprechend dem griechischen Mythos wurde der in Griechenland verleumdete Bellerophon zu König Iobates nach Xanthos geschickt, um dort Heldentaten zu vollführen. Dazu gehört die Ermordung des weiblichen Ungeheuers Chimaira mit dem Haupt eines Löwen, dem Körper einer Ziege und dem Schwanz einer Schlange, das mit seinem feurigen Atem Lykien ver- wüstet hatte. Als Dank dafür er- hielt er die Königstochter zur Frau und wurde zum Erben des lyki- schen Thrones.

Bellerophon als Ahnherrn bean- spruchte nicht nur der uns mangels einer Grabinschrift unbekannt gebliebene Herrscher von Trysa. Auch König Perikle von Limyra, von dessen Grabmal in der Ausstel- lung ein Modell zu sehen ist, gab sich als Nachkomme Bellerophons aus. Als weiteren Ahnherrn rekla- mierte Perikle den nicht minder populären Helden Perseus, der als Sohn des Zeus und der Danae galt.

Wie der seit 1982 mit Unterstüt- zung des Fonds zur Förderung der Wissenschaften seine Grabungen in Limyra fortsetzende Jürgen Borch- hardt feststellte, hatte die Statue des Bellerophon die Südseite und die des Perseus die Nordseite des Giebels von Perikle's Heroon be- krönt. Dabei fällt auf, daß Perseus, der eben die alles versteinernde Medusa getötet hat, nicht die griechische Tarnkappe trägt, son- dern die Tiara der persischen Großkönige.

Das für den Herrscher von Lymi- ra errichtete Denkmal ist ein joni- scher Tempel, der einerseits an das Nereiden-Monument von Xanthos, andererseits mit seinen vier Karya- tiden an die Korenhalle des Erech- teion von Athen erinnert. Starke persische Beeinflussung weisen die Friese von den Längsseiten des Kultraumes auf. Sie zeigen Reiter- züge mit individuell gestalteten Griechen und Persern, unter denen sich - auf einem zusätzlich ausge- stellten Gipsabdruck bunt wie in der Antike bemalt - der persische Großkönig Artaxerxes III. Orchos befindet. Mit der Einbeziehung des Großkönigs wollte - so Borchhardt - Perikle geschickt seine Zugehö- rigkeit zum Achämenidenreich unterstreichen.

Trotzdem konnte Perikle auto-

nom regieren. Denn unabhängig davon, ob Lykien im Laufe seiner ab dem sechsten Jahrhundert v. Chr. archäologisch faßbaren Geschich- te abwechselnd von Griechen und Achämeniden unterworfen worden war, ob es nach dem Tod Alexan- ders des Großen zum Ptolemäer- reich und schließlich zum römischen Imperium gehörte: Für die Lykier, die sich selbst Tremilen nannten und wie die Hethiter aus dem Ge- biet zwischen Königsberg an der Ostsee und Odessa am Schwarzen Meer stammten, wirkte sich das nur in Tributzahlungen und zunehmen- der Übernahme fremder Kulturen aus.

Den stärksten Einfluß hatte da- bei die griechische Kultur. Beson- ders deutlich beweisen das die in - luwlscher Sprache geschriebenen Texte in einer aus dem griechischen Alphabet entwickelten Schrift auf den unzählig erhalten gebliebenen Grabdenkmälern. Immer stärker zeichnete sich auch die Verehrung griechischer Götter wie der Arte- mis, des Apollon und des Zeus ab. Erst als das Christentum seinen Einzug in Lykien hielt, mußten sie abdanken. Auch diese späte Phase des untergegangenen lykischen Volkes, aus dem als „heiliger Niko- laus" der Bischof von Myra kam, dokumentieren einige Exponate.

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