Länderspiel in den 1930ern - © Foto: picturedesk.com  / Ullstein Bild

Runde Propaganda

19451960198020002020

Das Salutieren türkischer Teamspieler nach Erdoğans Syrien-Einmarsch warf ein Schlaglicht auf Politik im Sport. Doch propagandistische Instrumentalisierung des Fußballs hat eine lange Tradition.

19451960198020002020

Das Salutieren türkischer Teamspieler nach Erdoğans Syrien-Einmarsch warf ein Schlaglicht auf Politik im Sport. Doch propagandistische Instrumentalisierung des Fußballs hat eine lange Tradition.

Werbung
Werbung
Werbung

Dass Torerfolge im Fußball mit Jubelposen zelebriert werden, ist ein vertrautes Bild. Saltos, Tänzchen, gar die Hose als Haube auf dem Kopf zu tragen – all das haben sich Spieler schon einfallen lassen, um ihr Erfolgserlebnis gebührend zu feiern. Der Jubel der türkischen Nationalmannschaft nach ihren Erfolgen in der EM-Qualifikation allerdings sorgte für Aufregung. Nach Toren von Cenk Tosun gegen Albanien und Kaan Ayhan gegen Frank­reich salutierten die türkischen Kicker – und zollten damit der türkischen Armee ihren Respekt, die wenige Tage zuvor in Syrien einmarschiert war. Torschütze Ayhan lehnte die Jubelpose im Gegensatz zu seinen Teamkollegen ab. Die Vorkommnisse bilden eines von unzähligen Beispielen, in denen der Fußball für politische Propaganda missbraucht wurde. Denn schon seit vielen Jahrzehnten wird der Kampf ums runde Leder regelmäßig vor den politischen Karren gespannt.

Die großen Machthaber der Geschichte wussten um die Popularität des Volkssports und benutzten den Fußball als Transportmittel für die eigene politische Agenda. „Fußball ist in vielen Ländern Nationalsport, deshalb spielt da natürlich vieles mit hinein“, sagt der Politologe und Historiker Georg Spitaler, zu dessen Forschungsschwerpunkten das Politische im Sport gehört. „Der Sport vermittelt ein Zugehörigkeitsgefühl, was Politiker zu nutzen verstanden.“

Bereits seit 2011 tobt der verheerende Bürgerkrieg in Syrien. Weit mehr als eine halbe Million Menschen haben seither ihr Leben verloren. Der Fußball dient als willkommene Ablenkung von Bombenlärm und Leidklagen, die sonst das ganze Land dominieren. Und der vor dem Krieg nicht durch Leidenschaft für den Fußball aufgefallene Diktator Baschar al-Assad nutzt die Tragkraft des Sports.

Wer nicht spurt, der stirbt

Vor TV-Kameras lobt der Demagoge die Performance der Kicker: „Ihre Leistung ist ein Beweis für die Lebenskraft des syrischen Volkes, für Entschlossenheit, Stabilität und Patriotismus.“ Im selben Atemzug dankt Assad auch der Armee, ohne die, wie er sagt, diese Leistung nicht möglich wäre. Die plötzlichen Fußball-Lobeshymnen halten Experten für einen gekonnten Doppelpass. Es dürfte weniger um sportliche Begeisterung, als um eine ausgeklügelte politische Strategie des Staatspräsidenten gehen: Der Diktator will sein Land nach dem Krieg wiederaufbauen, wofür er ausländische Geldgeber bräuchte. Der Fußball soll dabei als Botschafter fungieren, um Investoren an Land zu ziehen.

Der syrische Fußball spiegelt unterdessen die politische Lage wider: Rekordmeis­ter ist der Klub Al Jaish aus Damaskus, wobei der Vereinsname übersetzt „die Armee“ bedeutet. Die Spieler des Topklubs stammen aus Militärkadern und trainieren in Kasernen. Zudem wird der Verein stetig mit den neuesten Talenten versorgt. Sie folgen Assads Instruktionen, der wie ein Trainer stets ein wachendes Auge über seine Kicker hält.

Nicht alle Spieler folgen allerdings den Zurufen des Präsidenten – zumindest nicht auf Anhieb. Leistungsträger Firas al-Khatib boykottierte 2012 das Regime und verkündete seinen Rücktritt aus dem Nationalteam. Kurz darauf bekannte er sich öffentlich zur Opposition. 2017 legte der Profi allerdings erneut eine Kehrtwende hin – und schnürt seitdem wieder die Schuhe für die syrische Nationalmannschaft. „Wir spielen für alle Syrer. Wir wollen, dass unser Land wieder glückliche Momente erlebt“, sagte er bei seiner Rückkehr. Zusätzlich zu den beschwichtigenden Worten bedankte sich der Starkicker explizit bei Assad. In den sozialen Medien wurde indessen heftig darüber spekuliert, mit welchen Druckmitteln al-Khatib zu diesen Aussagen gebracht worden sein könnte. Was für den Fußballer womöglich auf dem Spiel stand, zeigt eine Reportage der US-Sportplattform ESPN. Seit Kriegsbeginn wurden demnach mindestens 38 syrische Fußballer erschossen. Auch der ehemalige Nationalspieler Jihad Qassab ist tot. Er wurde 2014 in Homs verhaftet und beschuldigt, am Bau von Atombomben beteiligt gewesen zu sein. Daraufhin wurde er von der syrischen Armee zu Tode gefoltert.

Brot und Spiele

Im Jahr 1934 rollte der Ball unter dem Rutenbündel. Italien bekam die Austragung der Fußball-WM zugesprochen. Der eigentliche Zweck der Veranstaltung – einen Nachfolger für den ersten Weltmeister Uruguay zu küren – wird schnell zur Nebensache. Das faschistische Italien baut just vor der Weltmeisterschaft imposante Stadien, putzt die großen Städte touristentauglich heraus und verkauft der Welt das Bild eines idyllischen Staates. Die Realität ist indessen eine völlig andere: Zwei Wochen vor Turnierbeginn befindet sich die italienische Lira auf einem Rekordtief. Die Handelsbilanz stagniert und Benito Mussolini kündigt Lohnkürzungen an. Der in Italien so heißgeliebte Fußball soll zur Ablenkung von der desaströsen Wirtschaftslage herhalten. Fast wie im alten Rom bietet das Großevent Brot und Spiele für das Volk, das in der harten Realität außerhalb der Stadionmauern wenig zu jubeln hat. Für den Politologen Spitaler eine so gängige wie wirksame Praxis: „Wenn der Fußball den vertrauten emotionalen Rahmen bietet, wird die Gesamtlage mitunter als weniger schlimm wahrgenommen.“ Und die Strategie des „Duce“ geht auf. Italien beerbt Uruguay und wird Weltmeister im eigenen Land. Der Weg, auf dem die Squadra Azzurra den Titel damals erlangte, taugt auch heute noch für Kontroversen. Viele rüde Attacken der italienischen Kicker werden vor allem beim 3:1-Finalsieg gegen die Tschechoslowakei von den Schiedsrichtern nicht geahndet. Der Diktator setzt auch in weiterer Folge alles daran, den Fußball in Italien hochzuhalten. Das führt zum zweiten WM-Titel 1938 – und zum Bau das Stadio Olimpico di Roma, der heutigen Heimstätte von Lazio Rom, durch Mussolini.

Manche Fans des Hauptstadtklubs vergelten ihrem Investor das bis heute. So hallen auch im Jahr 2019 aus der Curva Nord, dem Sektor der hartgesottensten Fans, immer wieder laute „Duce, Duce, Duce“-Rufe durch das Stadion. Der Ruf vieler anderer Fans, Sport und Politik zu trennen, ist dagegen oft kaum wahrnehmbar – nicht nur auf den Rängen. Für Spitaler ist es ohnehin schwierig, den Fußball vor Angriffen aus der Politik zu verteidigen – auch in Demokratien: „Sport ist höchst politisch. Allein schon bei der Finanzierung und bei den Institutionen kann man durchaus von politischen Faktoren sprechen.“

Doppelpass mit dem Hakenkreuz

Eine ähnliche Geschichte wie die der Weltmeisterschaft 1934 erzählt auch jene der Olympischen Spiele 1936 in Deutschland. Die Spiele stehen unter dem Hakenkreuz – und sind ganz der Propagierung des germanischen Sportler-Idealbilds gewidmet. Doch Hitlers übermütiges Fußball-Team stürmt in Berlin in eine Blamage. Gegen das kleine Norwegen hatte im Vorfeld niemand an eine Niederlage zu denken gewagt und so schickt der siegessichere Reichstrainer Nerz eine B-Elf auf das Feld. Norwegen nutzt die Gunst der Stunde und schlägt Deutschland zum Entsetzen vieler Beobachter mit 2:0. Von der Demütigung getroffen, verlässt der anwesende Adolf Hitler das mit 55.000 Menschen gefüllte Berliner Olympiastadion bereits gut zehn Minuten vor Abpfiff. Reichstrainer Nerz enthebt er nach der Niederlage von seinen Ämtern.

Besser ergeht es 1936 der rot-weiß-roten Nationalmannschaft. Österreichs Auswahl stößt ins Endspiel vor, oder genauer gesagt: wird in dieses gehievt. Nachdem das Team bereits im Achtelfinale an Peru gescheitert ist (2:4 n. V.), legt Österreich Protest bei der schon von Nazi unterwanderten FIFA ein. Um zumindest eine „germanisch gesinnte“ Mannschaft im Kampf um die Medaillen im Spiel zu halten, wird ein Wiederholungsspiel veranlasst. Österreich gewinnt mit 3:0– nicht auf dem grünen Rasen, sondern auf den grünen Tisch, da sich die Peruaner weigern nochmals anzutreten. Das österreichische Team verliert das Finale mit 2:1 gegen das faschistische Italien, das mit diesem Triumph den zweiten Propaganda-Sieg in Folge feiert. Die Silbermedaille von 1936 ist unterdessen bis heute der größte Erfolg einer österreichischen Fußballauswahl auf dem internationalen Parkett. Eine ähnliche Erfolgsgeschichte, die ohne schalen Beigeschmack der Spielmanipulation erreicht wurde, wartet bis heute auf Wiederholung.

Politische Propaganda im Rahmen des Fußballs ist also kein Phänomen, das die türkische Nationalmannschaft angepfiffen hat. Die politischen Kleckse am runden Leder sind quer durch die Jahrzehnte vielfältig. Und die vorhandenen Flecken berühren nicht nur den grünen Rasen. Mesut Özils Skandalfoto mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan aus dem vergangenen Jahr etwa veranschaulicht auch die propagandistische Wirkmacht der Bilder abseits des Platzes.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung