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Gemma randalieren am Fußballplatz

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Nazilieder, erhobener Arm zum Gruß, Schlägereien, Zerstörungen, Mobilisierung der Polizei sind die Begleiterscheinungen von Fußballveranstaltungen: ein bedenkliches Zeichen jugendlicher Aggressivität.

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Nazilieder, erhobener Arm zum Gruß, Schlägereien, Zerstörungen, Mobilisierung der Polizei sind die Begleiterscheinungen von Fußballveranstaltungen: ein bedenkliches Zeichen jugendlicher Aggressivität.

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Mittwoch, 3. November: In der 25. Spielminute zwischen dem Wiener Fußballclub Austria-Memphis und der türkischen Mannschaft Galatasaray laufen acht türkische Fußballfans mit politischen Spruchbändern auf das Feld. Das Spiel muß kurze Zeit abgebrochen werden. Polizeieinsatz. Auf den Rängen entwickelt sich daraufhin eine Schlägerei zwischen Wiener und Türken: Die Beamten führen zehn Austria-Fans ab. Zeitungen zufolge sollen nach dem für die Au-stria enttäuschenden Spiel (0:1* Heimniederlage) „Dutzende geparkte PKWs von enttäuschten Anhängern demoliert" worden sein. Die Polizei hatte damit gerechnet.

Die Brutalität am Fußballplatz wird oftmals zu einem Spiel ohne Grenzen: Geht das Match gut aus, müssen der Begeisterung Sportgeräte (Tore, Netze) und Zäune weichen. Bei enttäuschten Fai.-> hingegen wird die Aggression durch die Zerstörung von Sitzflächen, Toiletten und Telefonzellen abgebaut.

Prokurist Johann Rottensteiner von der gemeindeeigenen KIBA-Gesellschaft und somit Verwalter des Hanappi-Stadions (Rapid): „Es ist ein Fehlverhalten der Masse." Schlagende, aggressive Fußballanhänger: „Das sind nicht nur Jugendliche aus einfachen Verhältnissen, sondern auch Söhne von Politikern, Universitätsprofessoren, Ärzten, Rechtsanwälten", sagt Franz Binder, Leiter des SC-Rapid-Sekretariates.

Hofrat Dr. Franz Jelinek, Stadthauptmann des zweiten Wiener Gemeindebezirkes und somit oberster „Aufseher" des Prater-stadions: „Bei einer Festnahme wundere ich mich meistens. Es sind oft Schüler aus gutem Hause, deren Verhaltensformen niemals den Gedanken aufkommen lassen könnten, daß der noch vor einer halben Stunde als Schläger oder Randalierer tätig war."

Was eine Dame aus der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit der Austria-Tabakwerke (Sponsor des Austria-Klubs), die selbst einen 20jährigen Sohn hat, so erklärt: „Das Problem liegt im Elternhaus. Es hört heute keiner mehr zu und der Jugendliche verschafft sich anderswo lautstark Gehör. Aber was sollen die Klubs tun? Wir können nicht 200 an der Hand nehmen und nach Hause führen!"

Ist das Elternhaus also Brutstätte der Probleme? „Die Fans werden dort aktiv", meint Rottensteiner, „wo das Elternhaus versagt." Die Schule kann dann meistens nichts mehr richten. Unlängst beschwerte sich bei mir eine Mutter, Fans hätten ihre Zigaretten am Kleid ihrer zehnjährigen Tochter abgedämpft. Als ich sie gefragt habe, warum sie sie alleine ins Stadion gehen läßt, ist sie ganz leise geworden. Das ist halt einfach: „Man gibt etwas" Geld und glaubt, man ist seine Erziehungssorgen los. Ich würde meine 17jährige Tochter nicht alleine gehen lassen."

Der Wiener Sozialarbeiter Wilfried Ruthner erstellte ein Psy-chogramm des typischen Fußballfans: „Im Alter von zirka zehn Jahren zum ersten Mal < am Fußballplatz stößt er mit 14 zum sogenannten Anhang, zur großen Gruppe von jungen Fußballanhängern, die ihren Platz hinter dem Tor einnehmen. Im Weststadion ist das der Block 36, die Westkurve. Zwischen dem 14. und 18. Lebensjahr ist man am aktivsten. Die Fänjacke mit Auf nähern, Wimpeln und Stickern wird zum Symbol der Lebensphilosophie."

Die Philosophie läßt sich an Sprüchen erkennen: „Rapid ist meine Religion", „Einmal Rapid, immer Rapid, weil es im Leben nichts Schöneres gibt." Jeder sechste Fan, sagt Ruthner, sei weiblich.

Für den Jugendpsychologen Hans Stary ist der Fußballplatz eben eine gute Möglichkeit, Aggressionen abzubauen: Probleme in,der Schule, am Arbeitsplatz, zuhause — irgendwann muß das Ventil geöffnet werden. Auf die Frage, wo man überhaupt heute seine Aggressionen vernünftig loswerden könnte, weiß aber auch Stary keine Antwort: „Gäbe es ein allgemeingültiges Rezept, wäre uns allen viel wohler."

Auch das Gefühl der Zusammengehörigkeit spielt bei Fans eine große Rolle. „Ein guter Kumpel sein und den anderen helfen", antwortet ein Rapid-Fan auf die Frage nach den Kriterien für die Aufnahme in den Anhängerklub. „Wie ich in Salzburg auf der Tribüne meine Schlag' kriegt hab\ haben mich meine Freunde rausgeholt."

Rausgeholt wird dann mit schlagkräftigen Argumenten, wie etwa am 3. April, als in Linz das Spiel LASK-Rapid torlos endet. Danach, stellten Beobachter fest, sei eine Schlägerei zwischen rund 80 Rapidfans und 300 LASK-An-hängern eher mit einem Auswärtssieg der Wiener zu Ende gegangen.

Eines schweißt jedoch alle Anhänger zusammen: das Feindbild Polizei. Jelinek spricht von „mehreren beschädigten Einsatzwagen", die sich im Laufe der Zeit in den Werkstätten angesammelt haben, von „mehreren Millionen Gesamtschäden" und von etlichen tätlichen Angriffen auf Polizisten. Durch den Wurf von Flaschen und Steinen ist vor einigen

Jahren sogar ein Sicherheitswachebeamter gestorben. Jelinek: „Im letzten Jahr konzentriert sich der Vandalismus aber mehr auf die Umgebung als auf das Stadioninnere."

Kein Wunder: Im Stadion sind 300 bis 400 Beamte versammelt, „auch 500 bekäme ich, würde ich sie anfordern."

Auch die Zeitungen bekommen Vorwürfe. „Es wird von den Zeitungen ja schon entsprechend aufbereitet", sagt Binder, „Wer ist die Nummer eins in Wien? Die Fans wollen auch die Nummer eins sein." Sanfte Maßnahmen hat jetzt die Wiener Austria getroffen: Eine Diskussionsrunde zwischen Polizei, Fans, Verein und Sportler brachte immerhin eine Klarstellung der Standpunkte sowie die Zusicherung der Fans, selbst einen Ordnerdienst aufzustellen und für Ruhe zu sorgen. Die Polizei würde sich, falls sich das System bewährt, zurückhalten. Und der Fußballklub druckte violette Karten mit dem Vorschlag, Fairneßregeln aufzustellen:

„Fairneß verlangen wir nicht nur von unseren Spielern. Wir wollen auch faire Fans. Darum haben wir einige Fairneß-Regeln aufgestellt. Zum Beispiel Regel Nummer 1: Ein echter Aus-tria-Fan empfängt den Gegner mit Applaus. Oder Regel Nummer 27: Ein echter Fan behält den Humor auch bei 0:4 (so weit kommt es zum Glück nur selten). Wir geben gerne zu, daß uns zwischen 1 und 27 noch einige Regeln fehlen. Teilen Sie uns diese mit!"

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