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Lauter Champions

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Selbst wußten sie ja schon im:. mer, daß sie die Größten sind, aber nun konnten sie es auch der Welt endlich einmal wieder beweisen: Die Bundesrepublik Deutschland ist Champion! Nicht auf dem grü-

nen Rasen von Wimbledon, wo Boris und Steffi, die Lieblinge der Nation, diesmal ins Gras der Verlierer bissen, aber auf dem Fußballfeld. Und einem vereinigten Deutschland werde man den Weltmeistertitel in Zukunft nicht mehr leicht streitig machen können, meint man euphorisch an Rhein und Elbe.

Die Fußball-Weltmeisterschaft, heuer „Italia '90" tituliert, erwies sich wieder als größtes Medienspektakel um eine Ansammlung von Toren. Keine Mannschaft habe seiner das Wasser reichen können, verkündete nach dem Finale der deutsche Teamchef Franz Beckenbauer. Hätte man den Deutschen statt Wasser mehr von jenen klaren Flüssigkeiten kredenzt, die erst den Blick für die statistische Wahrheit öffnen und eine Fahne entstehen lassen, die kein Linienrichter heben kann, hätten sie bei einigem guten Willen sehen müssen, daß aus Italien fast lauter Weltmeister heimgefahren sind. Aber vielleicht war „Kaiser Franz" bei diesem Ausspruch ebensowenig auf Ballhöhe wie mancher Schiedsrichter, darum ist es Zeit, den Deutschen hier reinen Wein einzuschenken.

Ist nicht zum Beispiel Kolumbien der Weltmeister Nummer 2 (WM 2), da es sich den Deutschen mit einem 1:1-Unentschieden als ebenbürtig erwiesen hat? Und erst wenn man Kolumbien als Maßstab nimmt, ergeben sich die richtigen Perspektiven. Ist dann nicht Kamerun (WM 3), das dieses Kolumbien im Achtelfinale heimgeschickt hat, der Champion? Oder gebührt der Titel Jugoslawien (WM 4), das schon in der Vorrunde Kolumbien bezwungen hat?

Kamerun aber hat wieder gegen die Sowjetunion (WM 5) in der Vorrunde und gegen England (WM 6) im Viertelfinale Niederlagen bezogen. Und die Jugoslawen sind im Viertelfinale im Elfmeterschießen an Argentinien (WM 7), das außerdem in der Vorrunde die UdSSR geschlagen hat, gescheitert.

Und damit erhöht sich die Zahl der eigentlichen und geheimen Weltmeister noch deutlich. Denn die Sowjetunion ist auch gegen Rumänien (WM 8) unterlegen. Die Rumänen wieder zogen im Achtelfinale im Elfmeterschießen gegen lrland (WM 9) den kürzeren. Und wer warf die Männer von der grünen Insel aus dem Bewerb? Das Gastgeberland Italien (WM 10), das den Trost eines „moralischen" Weltmeistertitels wahrscheinlich am allernötigsten hat.

Bedenkt man jetzt noch, daß England und Irland gegen Holland • (WM 11), Irland auch gegen Ägypten (WM 12) unentschieden spielten, also in diesen Teams durchaus gleichwertige Gegner · vorfanden, erhöht sich die Zahl der Champions auf ein rundes Dutzend - das ist die Hälfte der nach Italien gereisten Mannschaften.

So sehr man mit den Zahlen spielt, Österreich ist leider nicht in dieser oberen Hälfte - aber trösten wir uns, Länder wie Brasilien, Belgien, die CSFR und Spanien sind es auch nicht. Und bedenken wir, daß die Schiedsrichterleistungen - und zwar jeweils aus Sicht der unterlegenen Elf (die manchmal nur mehr eine Neun war) - hier nicht berücksichtigt sind, sonst könnten sich jetzt vielleicht fast alle Teams als Weltmeister fühlen.

Aber daß Österreich sich für die

nächste Fußball-Weltmeisterschaft 1994 in den USA noch qualifizieren muß, ist im Grunde eine ungeheure Ungerechtigkeit. Bekanntlich wird dem regierenden Weltmeister (Deutschland) und dem Veranstalterland (USA) die Qualifikation erspart. Und das rot-weißrote Team hat durch einen 2: 1-Sieg doch ·immerhin den USA-Kickern nicht nur das Wasser reichen, sondern sogar zeigen können, wo der Hartl den Most herholt ...

„ltalia '90'! ließ manche alte Fußballweisheit verblassen. Wußten Sie zum Beispiel, daß Fußball in erster Linie ein Kartenspiel ist? War Ihnen bekannt, daß es eher die Ausnahme ist, wenn ein Match 90 Minuten dauert? Bestätigt hat sich nur: „Es gibt keine ,Jausengegner' mehr." (Sogar die Vereinigten Arabischen Emirate schossen den Deutschen ein Tor.)

Und der Ball ist noch immer rund.

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