Köpfe eines Jahres

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Sie haben 2003 - in sehr unterschiedlicher Weise - für Aufsehen gesorgt: Zwölf furche-Köpfe aus 51 Wochen.

Jänner:

Ernst Kaltenegger

"Graz darf alles" lautete das Motto der Kulturhauptstadt 2003. Und als hätten sie auf die Erlaubnis gewartet, stimmten 21 Prozent bei den Gemeinderatswahlen für die KPÖ. Die Grazer dürften bei K aber vor allem an Kaltenegger gedacht haben. Der Wohnbaustadtrat gilt gemeinhin als Nothelfer; zuletzt vor wenigen Wochen, als er sich unter die Hausbesetzer eines abrissgefährdeten Altstadtgebäudes mischte. Nach dem Wahlsieg glaubte die Partei, "die Augen und Ohren vieler Menschen in Österreich werden sich jetzt auf die KPÖ richten". Das war dann auch so - nicht aus politischen, sondern aus anderen Gründen: Dunkelrot ist pleite. WM

Februar:

Marcel Prawy

Hermes Phettberg, zur Zeit bei ATVplus als Beichtphater mehr schlecht als recht bemüht, muss ihn als Plastiksackerlfetischisten arg vermissen. Der Opernführer der Nation starb 91-jährig - am Grab sprach Kardinal König Worte des Abschieds für den Juden Prawy. Der von der Hitlerei in die USA getriebene unverbesserliche Wagner-Verehrer (er konnte - und durfte - eine über Wagner-Musik höhnende Schrift von Hans Weigel auch öffentlich zerreißen...) kehrte zu seinen Vertreibern zurück, machte das Musical sowie vieles andere an der Donau salonfähig und brachte dem deutschsprachigen TV schon in dessen Anfängen die Liebe zur Oper bei. ofri

März:

Michael Moore

"Shame on you, Mr. Bush", schmetterte er ins Auditorium, nachdem er für seinen Dokumentarfilm "Bowling for Columbine" den Oscar erhalten hatte. Michael Moores Attacke sorgte für einen Eklat - und Begeisterung. Doch mittlerweile muss die turnbeschuhte Kultfigur der Linken selbst in "Volle Deckung" gehen (so der Titel seines neuen Buches): Kritiker werfen Moore nach seiner Europa-Lesereise blanken Anti-Amerikanismus vor. Eingefleischte Fans wissen jedoch seine Gags zu schätzen. Was sagte er noch über Governor Arnie? "Intelligenter als der amtierende Präsident ist er in jedem Fall. Aber das ist der Nachttisch im Hotelzimmer auch." DH

April:

Said el Sahhaf

Erst drei Stunden, bevor die Amerikaner sein Büro besetzten, räumte Said al Sahhaf seinen Posten als irakischer Informationsminister.

"Comical Ali" wurde im Krieg zum Star. Sogar US-Präsident Bush outete sich als Sahhaf-Fan: "Er war großartig, ein Klassiker." Sahhafs Fernseh-Auftritte wurden zu Medienhits, eine Sahhaf-Puppe zum Verkaufsschlager. Seine Sprüche wurden auf einer eigenen Website gesammelt. Etwa:"Gott wird ihre Eingeweide in der Hölle braten." Im Juni hat sich Sahhaf den US-Truppen gestellt. Nicht an ihm interessiert, setzten diese in frei. Jetzt interessieren sich arabische Medien für das Talent. CG

Mai:

Fritz Verzetnitsch

Ist der Verzetnitsch der Richtige für den Streik, lautete die bange Frage vieler Gewerkschafter, als der Bundeskanzler die Tür auf der einen Seite zuschlug und der ÖGB-Chef ihm drohte, der Kanzler "werde das Klopfen der Faust auf der anderen Seite zu spüren bekommen". Doch spätestens nach der Großdemonstration am 13. Mai, bei der nicht einmal Hagel und Blitz Verzetnitsch bändigen konnten, waren alle Zweifler überzeugt: Aus dem Fleisch gewordenen Kompromiss ist ein Streikführer geworden. Ein Ehrenplatz in der ÖGB-Galerie ist ihm dafür sicher, auch wenn der Streik Schüssels Pensionsreform nicht verhindern konnte. WM

Juni:

Aung San Suun Kyi

Wieder einmal bewies die burmesische Friedensnobelpreisträgerin langen Atem. Wieder einmal versuchten die Generäle von Myanmar, wie die Diktatoren das frühere Burma nun nennen, die gewaltfreie Oppositionspolitikerin per Arrest zu zähmen. Wieder einmal gelang ihnen das keineswegs. Aungs Leidensfähigkeit scheint keine Erlahmung zu kennen - bislang konnte kein Militär ihren Mut brechen: Selbst als 1999 ihr Mann in England mit Krebs auf dem Sterbebett lag, verließ Aung Burma nicht, weil sie fürchtete, nicht mehr in ihr Land zurückkehren zu können. Schon die Entgegennahme des Friedensnobelpreises 1991 hatten ihr die Generäle verwehrt. ofri

Juli:

Silvio Berlusconi

"Berlusconi ist ein Komödiant", hieß es nach dem gescheiterten EU-Gipfel am letzten Wochenende. "Er füllte die Zeit mit flotten Sprüchen, weil er nicht wusste, welche Richtung er einschlagen soll", stöhnte ein Diplomat. Dieses Resümee lässt sich über Italiens gesamte EU-Präsidentschaft im letzten Halbjahr ziehen. Schon Berlusconis Einstieg war ein übler Scherz, als er einen deutschen EU-Parlamentarier mit einem KZ-Kapo verglich. "Reden wir doch lieber von Frauen und Fußball", empfahl er nach den gescheiterten Verhandlungen über die EU-Verfassung. "Andiamo a casa", dachten die anderen, "gehen wir heim!" WM

August:

Die Bundespräsidentin

Dass es "Zeit für die erste Frau im Staate" sei, befand seinerzeit bereits Heide Schmidt. Wie wir wissen, ohne Erfolg - ebenso wie Gertraud Knoll. Nun hat auch die ÖVP den Charme einer möglichen Neuinterpretation von "First Lady" entdeckt: Waltraud Klasnic und Benita Ferrero-Waldner gelten/galten als potentielle Kandidatinnen für die Klestil-Nachfolge. Die Alma mater Styriae dürfte indes bleiben, was sie ist - und die Außenministerin hat mit ihrem jüngsten Zick-Zack-Kurs in Sachen Beistandspflicht die Zweifel an ihrer Eignung auch in der eigenen Partei genährt. Auf den weiblichen österreichischen Havel warten wir indes weiter... mit

September:

Luitgard Derschmidt

Wachablöse an der Spitze der größten Laienorganisation der heimischen katholischen Kirche: Die 62-Jährige wurde neue Präsidentin der Katholischen Aktion Österreich. Schon seit 14 Jahren an der Spitze der Katholischen Aktion Salzburg stehend, errang Derschmidt in einer alles andere als einfachen Zeit auch den Respekt des damaligen Erzbischofs Georg Eder. Die Erwachsenenbildnerin mit Schwerpunkt Partner- und Familienbildung versteht sich als leidenschaftliche Kämpferin für die Lai/inn/en in der katholischen Kirche und macht kein Hehl daraus - wider den Zeitgeist der Hierarchie -, sich für ihre Kirche im Geist des II. Vatikanums zu engagieren. ofri

Oktober:

Arnold Schwarzenegger

Mozartkugeln und Sängerknaben sind als Identifikationsmittel Österreichs im Ausland aus der Mode gekommen - Arnold Schwarzenegger ist seit seiner Wahl zum Gouverneur von Kalifornien Exportschlager Nummer eins. Nicht einmal der Verdacht, 16 Frauen sexuell belästigt zu haben, verhinderte den Wahlsieg. Arnie gab an, nun keine Filme mehr drehen und sich ganz der Politik widmen zu wollen. Zumindest sein Name wird aber nicht völlig von der Leinwand verschwinden: Eine US-Produktionsfirma plant, aus den Gouverneurswahlen einen Pornofilm zu machen. Inhalt: Nichts als "die nackte Wahrheit". claf

November:

Michail Chodorkowski

Im Moskauer Café "Saserkalje" ist Michail Chodorkowski neben anderen Oligarchen noch bis Neujahr zu bewundern. Danach sollen die "süßen Burschen" aus Schokolade zu Gunsten von Kinderheimen versteigert werden. Wer aber nicht mindestens 1.000 Dollar einbringt, dessen Büste wird auf der Stelle zerschlagen. Niedergeschlagen dürfte auch der richtige Chodorkowski sein: Während er nach wie vor wegen angeblicher Steuerhinterziehung in U-Haft sitzt, gewann die Partei seines Rivalen Putin bei den Parlamentswahlen haushoch. Chodorkowski konnte immerhin hinter Gittern seine Stimme abgeben. WM

Dezember:

Shirin Ebadi

Am 10. Dezember übernahm die iranische Anwältin in Oslo den diesjährigen Friedensnobelpreis. Sie nützte die Gelegenheit, um die US-Politik im Kampf gegen den Terrorismus zu kritisieren. Mit Sorge verfolge sie, wie auch westliche Demokratien die Menschenrechte verletzten.

Bei ihrer Dankesrede verzichtete sie auf den Hedschab, die im Iran gesetzlich vorgeschriebene Kopfbedeckung für Frauen. Dass solche Gesten nicht ungefährlich sein können, weiß Ebadi spätestens seit der Woche vor der Nobelpreisverleihung. Damals führten Rufe von Studenten "Tod für Ebadi" zur Absage ihres Vortrags an der Universität von Teheran. CG

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