Der Zar Zar liebt Skifahren - Im Rahmen seines ersten Staatsbesuchs in Österreich, 2001, machte Wladimir Putin einen Abstecher auf den Arlberg und wurde von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (im Bild) und Skilegende Karl Schranz auf den Pisten begleitet. - © APA / Jaeger Robert

Wenn Politiker wedeln gehen

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Österreich hat viel Erfahrung, die Kunst des Skifahrens auch auf dem politischen und diplomatischen Parkett zu nützen. Ein Slalom durch die Skipolitik-Geschichte.

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Österreich hat viel Erfahrung, die Kunst des Skifahrens auch auf dem politischen und diplomatischen Parkett zu nützen. Ein Slalom durch die Skipolitik-Geschichte.

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Sag mir, mit wem Wladimir Putin Ski fahren geht, und ich sage dir, wie es um den Frieden in Europa steht. Im Winter vorigen Jahres zeigte sich der russische Präsident mit seinem weißrussischen Visavis auf der Piste. „Putin stärkt Lukaschenko den Rücken“, hieß es in den Kommentaren zu den zwei Autokraten im Schnee. Ihre Parallelschwünge auf der Piste werden in diesen Tagen mit synchronen Aufmärschen von Militäreinheiten entlang der Grenzen ihrer beiden Länder zur Ukraine fortgesetzt. Wie sehr wünschte man sich da Putin am Arlberg zurück – und die damit einhergehenden Kommentare: „Russischer Präsident sucht Nähe zur EU“.

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Als Putin bei seinem ersten Staatsbesuch in Österreich im Jänner 2001 bei den Alpinen Ski Weltmeisterschaften in St. Anton vorbeischaute, waren Österreich und die EU gerade selbst damit beschäftigt, eine neue Nähe herzustellen und zerbrochenes politisches Porzellan zu kitten. Ein Jahr zuvor hatten die EU-14 beschlossen, das 15. Mitgliedsland, Österreich, mit Sanktionen zu belegen. Sieben Monate lang herrschte Eiszeit. Klimatisch dazu passt da die merk- und denkwürdigste Zwangsmaßnahme dieser Zeit: Der damalige belgische Außenminister Louis Michel tadelte Skiurlaub in Österreich als „unmoralisch“ und rief dazu auf, in Ländern ohne „extreme Rechte“ in der Regierung die Winterferien zu verbringen.

Drei Politmänner im Schnee

Anlass für diese Ski- und weiteren Boykottaufrufe war die FPÖ-Beteiligung in der ersten schwarz-blauen Koalitionsregierung. Die eisige Miene von Bundespräsident Thomas Klestil bei der Angelobung des Kabinetts Wolfgang Schüssel I ist seither ein Fixstarter in jedem Bildband zur jüngeren Geschichte Österreichs. Ganz anders Mienenspiel und Stimmung beim Putin-Empfang am Arlberg: ein Politgipfel der Gastfreundschaft und Herzlichkeit. Klestil, Putin, Schüssel. Zwei Präsidenten, ein Kanzler, drei Männer im Schnee. Lass andere mit uns streiten und uns boykottieren, Felix Austria geht Ski fahren. „Wenn’s laft, dann laft’s!“ – das vom amtierenden Bundespräsidenten gern gezogene Resümee beschreibt stimmig diese gelungene Ménage-à-trois zwischen Politik, Sport und Wirtschaft.

„Während Österreich im Winter 1972 ob der olympischen Schranz-Ignoranz Trauer trug, jubelte der Nachbar und Skirivale Schweiz über die goldenen Tage von Sapporo.“

Dafür, dass es für Putin auf den Pisten am Arlberg besonders gut lief, sorgte als Privatskilehrer Österreichs Skilegende Karl Schranz. Eine Freundschaft verbindet seither den „einsamen Wolf vom Arlberg“ mit dem Alleinherrscher im Kreml. Sportkönig und Politikzar. Wie sehr die beiden Bereiche ineinandergehen, zeigte sich vor 50 Jahren. Im Februar 1972 brachte Schranz’ Ausschluss von den Olympischen Winterspielen in Sapporo die österreichische Volksseele zum Kochen, zehntausende Fans auf den Wiener Ballhausplatz und Bundeskanzler Bruno Kreisky ins Grübeln über diese dem Heldenplatz ums Eck nicht fremde Aufwallung von Masse und Macht. „Mit meinem Ausschluss hat man auch mein Land beleidigt“, sagte Schranz. Sehr viele Serbinnen und Serben bis hinauf zu ihrer Staatsspitze kommentierten unlängst das Tauziehen um die Teilnahme ihres Tennisstars Novak Đoković bei den Australian Open ähnlich.

Zurück zum Skifahren, noch ein Blick auf die Olympischen Winterspiele vor 50 Jahren in Japan und ein Vergleich, der zeigt, dass Skinationalismus auch andernorts nicht fremd ist: Während Österreich im Skiwinter 1972 ob der olympischen Schranz-Ignoranz Trauer trug, jubelte der Nachbar und ewige Skirivale Schweiz: „Die goldenen Tage von Sapporo waren für das Land ein ebenso gemeinschaftsstiftendes Ereignis wie die Mondlandung für die Welt“, schrieb die NZZ in einem Jubiläumsartikel.

Die Schweizer Skistars belegten Platz drei im Medaillenspiegel hinter der Sowjetunion und der DDR. „Ogis Leute siegen heute“, lautete damals der Tagesbefehl der CH-Nation. Gemeint war Adolf Ogi, der damalige technische Direktor und spätere Präsident des Schweizer Skiverbandes, der den „Sapporo-Feldzug“ generalstabsmäßig plante. Mit seinem Sieglauf auf Skiern legte er zudem den Grundstein für eine außergewöhnliche Politkarriere als Schweizer Bundesrat. Herzstück von Ogis Politik wurde die Umsetzung der Neuen Eisenbahn-Alpentransversale (Neat) über, unter und durch die Schweiz.

Vor allem Vernetzungsarbeit ist neben den wirtschaftlichen Aspekten, was Skifahren und Sport generell für Politik und Diplomatie leisten können. Ein gutes Beispiel dafür ist die Entsendung des k. u. k. Offiziers Theodor von Lerch Anfang des vorigen Jahrhundertsnach Fernost als eine Art „Morgengabe“ zur Festigung der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und Japan. Lerch unterrichtete japanische Militärs im Skifahren und gab damit den Startschuss für Wintersport rund um den Fudschi. Toni Sailer wird 50 Jahre nach Lerch diese österreichisch- japanische Skibeziehung neu beleben und zu einem nie wieder erreichten Miteinander intensivieren. Vor der Würdigung von Sailers einzigartigem Ski-Politik-Kultur-Mix muss aber noch auf die Instrumentalisierung des Skilaufs (so wie des Bergsports) für den Nationalsozialismus hingewiesen werden.

So wie der Österreichische Alpenverein (OEAV) hat auch der Österreichische Skiverband (ÖSV) seine braune Vergangenheit – samt Arierparagrafen in den Statuten und dem Selbstverständnis, sportliche Speerspitze des Nazi-Gedankenguts zu sein: „Skifahren ist für uns Deutsche in den Alpenländern mehr als nur ein Sport“, warben österreichische Nationalsozialisten für die Symbiose von Skilauf und ihrer Ideologie: „Es (…) gehört zu uns wie jeder andere Ausdruck unseres Wesens. So fest und notwendig ist es mit dem ganzen Volke verbunden.“

Wiederaufbau-Held Toni Sailer

Die Hitlerei verschwand, das Skifahren blieb und die Sehnsucht nach Helden. Der „schwarze Blitz aus Kitz“ kam da gerade recht: „Sailer ist – neben seinen sportlichen Erfolgen – eine Allegorie des Wiederaufbaus“, schreibt der Wiener Sportwissenschafter Rudolf Müllner in seinem Buch „Perspektiven der historischen Sport- und Bewegungskulturforschung“. Als gelernter Handwerker passte er perfekt in die Hausbaumetapher, die den Wiederaufbau Österreichs begleitete: „Der auf Kirch- und Hausdächern seinem nicht ungefährlichen Gewerbe nachgehende Spengler Sailer setzt dem ‚Eigenheim Österreich‘ mit selbstverständlicher Professionalität quasi die Krone auf.“

Zum Skikaiser im Gefolge von Sailer wurde Olympiasieger Franz Klammer geadelt, schnelle Frauen auf Skiern wie Annemarie Moser-Pröll brachten es im Sport-Österreich zum Titel „Speed-Lady“ oder „Abfahrts-Queen“. Der Rückgriff auf Adels- und Herrschaftstitel passt aber nicht ganz, denn Gnade allein reicht nicht zum Skistar. Zur Begabung braucht es Fleiß, Training und die Gunst der Stunde, das Quäntchen Glück. Auch das verbindet Skifahren und Politik. So wie der weise Rat, den einer der ersten englischen Skisportler einmal gegeben hat und den nicht nur Politiker beherzigen sollten: „Ski sind die eigenwilligsten Dinger auf Erden. Für Leute, die von ihrer Würde zu sehr überzeugt sind, hätte ein Skikurs wunderbare moralische Wirkung.“

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