Inspiriert von Bertha von Suttner 2.0
Friedensvision 2051: Österreichs Friedenspolitik schaut auf 30 Jahre zurück, in denen es ihr gelungen ist, weltweit den Frieden mit diplomatischen und zivilgesellschaftlichen Mitteln zu fördern.
Friedensvision 2051: Österreichs Friedenspolitik schaut auf 30 Jahre zurück, in denen es ihr gelungen ist, weltweit den Frieden mit diplomatischen und zivilgesellschaftlichen Mitteln zu fördern.
Nächtelang haben wir durchdiskutiert. Damals, im Jahr 2021. America first wurde gerade abgewählt – und während der Corona-Lockdowns konnten wir in Ruhe nachdenken. Nicht über Zäune und Zölle, nicht über Sanktionen und Säbelrasseln, sondern über mich, Österreichs Friedenspolitik: Darüber, was und wen Österreich braucht, damit Friede mit friedlichen Mitteln gelingen kann. Heute, zum Jahreswechsel 2050/51, denke ich gern daran zurück, als vor 30 Jahren alles begann.
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Herzlichen Dank, Ihre Doris Helmberger‐Fleckl (Chefredakteurin)
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An vorderster Stelle unseres Selbstverständnisses stand damals natürlich das seit 1945 gemäß der UNO-Charta geltende Gewaltverbot. Zweites Standbein unserer Friedenspolitik war das Prinzip, sich in internationalen Organisationen aktiv einzubringen. Vorzugsweise in jenen, die nicht Frieden und Wohlstand gegen andere erreichen wollen, sondern inkludierend wirken und alle mitnehmen. Weil – um Schiller Recht zu geben – der Frömmste nicht in Frieden leben kann, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Konkret heißt das, sich mit allen Nachbarn an einen Tisch zu setzen und nach friedlichen Konfliktlösungen zu suchen. Last but not least hat Frieden nicht nur mit Waffen und deren Abrüstung zu tun, sondern auch mit Gerechtigkeit und dem Frieden mit dem Planeten. All das überlagerte meine Regel, die mit Glaubwürdigkeit zu tun hat, sprich auch in Friedensdingen nicht Wasser predigen und Wein trinken.
Stopp für Waffenexporte
Am 22. Jänner 2021 trat der Atomwaffenverbotsvertrag in Kraft. Erinnern Sie sich noch? Wir standen in Österreich aus gutem Grund in der ersten Reihe. Geholfen hat dabei, dass alle Staaten in der UNO eine Stimme haben und nicht nur die großen Wirtschafts- und Militärmächte. Bedauerlicherweise war die EU wenig hilfreich, nur drei neutrale Staaten waren an Bord. Die NATO zog sich in den argumentativen Bunker zurück. Österreich hat in den folgenden Jahren Konferenzen zum Atomwaffenverbot organisiert und durch Überprüfungsmaßnahmen mit ziviler und militärischer Expertise zum Gelingen des Vertrags beigetragen. Okay, ich gebe zu: Die Atomwaffenstaaten haben bis dato nicht völlig abgerüstet, aber sie stoßen mit ihren Arsenalen auf immer mehr Gegenwind – und damit ist einiges erreicht.
Die Einführung eines österreichischen Rüstungsexportberichtes im Jahr 2025 löste eine Debatte über Waffenexporte und ihre Folgen aus. Umstrittene Exporte österreichischer Waffen und Lizenzen nach Saudi-Arabien oder Ägypten liefen aus. Im Jahr 2035 konnten die letzten Arbeitskräfte im Rüstungsbereich in neue Solartechniken umsatteln. Aus dem EU-Rüstungsfonds, der EU-Rüstungsagentur und dem militärischen Kerneuropa ist Österreich folgerichtig ausgestiegen.
Ich legte auch eine rot-weiß-rote Richtschnur für eine Koalition von Staaten, die für ein völkerrechtliches Verbot von autonom und ohne menschliches Zutun tötende Waffensysteme in der UNO eintreten. Für dieses Engagement erhielten ich und mit mir Österreichs Diplomatinnen und Diplomaten den Friedensnobelpreis, der am 10. Dezember 2030 verliehen wurde. 125 Jahre nach Bertha von Suttner ging wieder ein Friedensnobelpreis nach Österreich. Suttners Roman „Die Waffen nieder“ konnten wir nicht besser in die sicherheitspolitischen Herausforderungen der Gegenwart übersetzen.
„Spezifisch ausgebildete und erfahrene Friedensfachkräfte unterstützen lokale Partner in Krisen- und Konfliktgebieten in ihrem Einsatz für Frieden und Menschenrechte.“
2021 hatten über 40 internationale Organisationen ihren Sitz in Österreich. Aktive Standort- und Amtssitzpolitik führte zur Ansiedelung der Atomwaffenverbotsorganisation und weiterer friedens- und abrüstungsfördernder Einrichtungen in Wien.
Österreich war und ist jedoch nicht nur Gastgeber von Friedensgesprächen und Abrüstungskonferenzen. Seit 2025 wurde die Expertise im Außenministerium zur Mediation und Abrüstung permanent ausgebaut und ich, Österreichs Friedenspolitik, wurde zur gefragten Vordenkerin, Beispielgeberin und Förderin von internationalen Friedensprozessen. Mehrere Forschungseinrichtungen und eine international gut vernetzte Zivilgesellschaft unterstrichen in den Folgejahren das moderne Verständnis von Österreichs Neutralität.
Zur weiteren Entwicklung wurden auch fünf Lehrstühle für Friedens- und Konfliktforschung an österreichischen Universitäten eingerichtet. Die Bedeutung der Vereinten Nationen und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit (OSZE) nahm immer mehr zu und der Blick auf die Welt endete nicht mehr an den Grenzen der EU – und beschränkte sich nicht mehr nur auf die politischen und wirtschaftlichen Interessen der engsten Partner.
Der massive Rückgang von Zivilpersonal bei EU-Einsätzen in der Periode von 2010 bis 2020 veranlasste Österreich zu einer kopernikanischen Wende bei Auslandseinsätzen. Bis 2030 verzehnfachte Österreich seine zivilen Personalbeiträge für EU-Einsätze und stellte im Gegenzug seine militärischen EU-Beiträge fast gänzlich ein. Österreich begünstigte durch eigene Beiträge das 2026 neu geschaffene EU-Finanzierungsinstrument „Civilian European Fonds for Specialists“ (CEFS) und arbeitete mit einer aktiven Gruppe von EU-Staaten an der Weiterentwicklung von Instrumenten der zivilen Krisenprävention und des zivilen Krisenmanagements – weil Vorbeugen besser ist als nachträgliches militärisches Drüberbügeln. Österreich stellte der UNO und der OSZE auch permanent 2000 militärische Expertinnen und Experten für Abrüstung, Humanitäres, Peace Keeping und Überwachung zur Verfügung. Österreich trainierte und bezahlte diese Kräfte, UNO und OSZE setzten diese im Sinne des Gewaltverbots und militärischer Defensive ein. Österreichische zivile Experten für internationale Einsätze wurden dabei nicht nur im EU-, sondern auch im UN- und OSZE-Rahmen entsandt. Für den Katastrophenschutz bildeten wir ein technisches Hilfswerk unter ziviler Kontrolle – und die Strukturen des Bundesheers wurden dementsprechend adaptiert. Dass Neutralität im Kern Ausdruck einer Haltung der Kriegsverweigerung ist, spiegelte sich damit auf Höhe der Zeit.
Start für Friedensdienste
Was vor Corona schon auf der Hand lag, wurde 2021 offenkundig: Investiere in der Zeit, dann hast du in der Not. Die Resilienz – die Widerstandsfähigkeit zur Bewältigung von Krisen – konnte gestärkt werden. Corona hatte bewusster gemacht, welche Aufgaben wichtig sind, wer zuständig ist und dass eine ständige Versicherheitlichung ziviler Aufgaben der Demokratie nicht zuträglich ist. Soldaten und Armeestrukturen werden seither nicht mehr im Bereich Gesundheit und Pflege, der Bewachung, im Handel, beim Häftlingstransport, zivilen Planungsaufgaben oder Jagd nach gewöhnten Kriminellen eingesetzt.
Mit dem Ausbau staatlicher Instrumente zur Friedensförderung und Gewaltprävention ging ab 2021 auch die Förderung zivilgesellschaftlicher und wissenschaftlicher Kapazitäten einher. Der 2020 im Regierungsprogramm befindliche Zivile Friedensdienst wurde eingeführt und arbeitet bis heute als Gemeinschaftswerk von Staat und Zivilgesellschaft. Spezifisch ausgebildete und erfahrene Friedensfachkräfte unterstützen lokale Partner in Krisen- und Konfliktgebieten in ihrem Einsatz für Frieden und Menschenrechte.
Der Zivile Friedensdienst ist keine Feuerwehr, sondern es wird direkt an den Ursachen, Verläufen und Folgen von Konflikten mit gewaltfreien Methoden gearbeitet. Heute gilt für Österreich, was der deutsche Entwicklungsminister Gerd Müller anlässlich des 20. Geburtstages des deutschen Friedensdienstes 2019 erklärte: „Der Zivile Friedensdienst erweist sich immer wieder als Erfolgsmodell für Friedens- und Konfliktarbeit.“
Nochmals zurück zu den Prinzipien. Das Richtige zu tun, ist das eine. Das Falsche zu lassen, schon mal ein guter Beginn. Zum Schwierigsten gehört, Friedensförderung in der Handels- und Wirtschaftspolitik zu verankern. Aber welche Wirtschaft verträgt der Frieden? Daran arbeiten wir mit unseren internationalen Partnerinnen und Partnern nach wie vor. Der Rückblick, was ich, die österreichische Friedenspolitik, in den vergangenen 30 Jahren erreicht habe, stimmt mich aber auch hier zuversichtlich. Ganz im Sinne Bertha von Suttners: „Nicht unseren Vorvätern wollen wir trachten, uns würdig zu zeigen – nein: unserer Enkelkinder!“
Der Autor ist Friedensforscher, Privatdozent für Politikwissenschaft an der Uni Wien und Mitarbeiter im Internationalen Versöhnungsbund, www.thomasroithner.at
Flinte, Faust und Friedensmacht
Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik Österreichs und der EU
Von Thomas Roithner,
myMorawa 2020
192 S., TB, € 12,99