
Ich, der Zürgelbaum – Stadtbaum, Exot, Klimaretter
Der Internationale Tag des Baumes diese Woche erinnert daran: Zuerst stirbt er – und dann mit Sicherheit der Mensch. Doch wie lebt es sich in der Großstadt? Ein Wiener Zürgelbaum erzählt.
Der Internationale Tag des Baumes diese Woche erinnert daran: Zuerst stirbt er – und dann mit Sicherheit der Mensch. Doch wie lebt es sich in der Großstadt? Ein Wiener Zürgelbaum erzählt.
In anderen Bereichen mag die Zuschreibung „Ein echter Wiener geht nicht unter“ stimmen, für die Baumpopulation der Stadt gilt sie nicht. Wobei die Bezeichnung „echte Wiener“ für Ahorn oder Rosskastanie sowieso zu hinterfragen ist. Wer oder was ist wo echt? Der Klimawandel verändert jedenfalls auch das Wiener Baumgesicht. Alte Bekannte werden von noch nicht so gewohnten Baumsorten ersetzt. Tempora mutantur, sagen die Lateiner, und wir verändern uns mit ihnen. So ist das auch bei uns Wiener Stadt- und Straßenbäumen.
Darf ich mich daran anschließend mit meinem dendrologisch-wissenschaftlichen Namen vorstellen: Celtis australis – die Bezeichnung verweist auf meine Herkunft aus dem Süden. „Europäischer Zürgelbaum“ werde ich hier genannt, aber auch darin ist eine südliche Sprachfärbung enthalten: „Zürgeln“ sagen die Südtiroler zu meinen erbsengroßen Steinfrüchten, die roh ähnlich wie Feigen und gekocht wie eine Idee von Marzipan schmecken. Als „Zurglpam“ bin ich seit 1591 dokumentiert. Land und Leute zwischen Brenner und Salurner Klause sind stolz auf mich, trage ich doch den einzigen deutschen Baumnamen aus Südtirol. Mein Holz ist ähnlich hart und elastisch wie jenes der Ulme und wurde für Blasinstrumente, Wagenräder oder Ruder verwendet. Als „Tiroler Geißeln“ waren die aus meinem Holz gedrechselten Peitschenstiele ein Exportschlager.
Nicht der Größte, aber Hitze-oho
Insofern wird man meiner jahrhundertelangen Geschichte als Altösterreicher mit der Zuschreibung „Exot“ im Wiener Stadtbaumsortiment nicht ganz gerecht. Gefreut habe ich mich aber über einen Vergleich, mit dem mich die Wiener Zeitung sehr passend beschreibt: Ich sei „der „Rocky Balboa unter den Bäumen“, wurde ich mit einem Verweis auf den legendären Boxer gewürdigt: „Hitze, Abgase, knochenharte Böden, Streusalz – nichts wirft den Zürgelbaum um.“ Zudem mache ich meinem Spitznamen „Steinbrecher“ alle Ehre: Meine robusten Wurzeln geben selbst bei härtesten Hindernissen nicht auf. Was den Boden betrifft, so bin ich anspruchslos – und mit Trockenstress komme ich laut einer Studie der Wiener Universität für Bodenkultur gut zurecht. Außerdem attestieren mir die Forschungsergebnisse, „dass die Evapotranspiration bei den Celtis australis mehr als dreifach höher ist als bei potenziellen Grasflächen. Daraus kann man schließen, dass die Bäume viel mehr kühlende Wirkung durch ihre Verdunstungsleistung erbringen als Rasenflächen.“
Mit zehn bis zwanzig Meter Höhe bin ich nicht der Größte, dafür aber oho. Meine Rinde ist silbrig-grau und buchenartig glatt, im Alter kommt die eine oder andere Runzel dazu. An meinen Blüten haben Bienen und Hummeln ihre Freude. Und vor allem: Mit meiner weit ausladenden Krone und dem herabhängenden Blätterkleid, das im Aussehen an Brennnesseln erinnert, spende ich mir und meiner Umgebung Schatten. In Hitzezeiten macht mich das zum perfekten „Klimabaum“.
Mittlerweile bilden ich und meinesgleichen in Wien bereits einen Klimawald. Und das nicht nur in gefürchteten Hitzeschneisen in Favoriten, der Leopoldstadt und anderen Vorstadtgrätzeln, sondern auch in bester Lage. An der Ringstraße und im ersten Bezirk sind wir laut Baumkataster aus 2020 bereits 730, noch einmal gut 3000 kommen anderswo in der Stadt dazu – und wir wachsen und werden immer mehr. Mehr Zürgel und mehr Bäume generell. Gut eine halbe Million Bäume stehen unter der Obhut der Wiener Stadtgärten. Im Vorjahr wurden rund 4500 Bäume neu gepflanzt, bis 2025 sollen im Rahmen der Baumoffensive insgesamt 25.000 Stadtbäume dazukommen, davon 3000 Bäume an 500 neuen Standorten.
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