Pflanzenrechte - © Illustration: Rainer Messerklinger unter Verwendung eines Bildes von iStock/ZU_09

Pflanzenrechte: Reise zu den Wurzeln

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Neue Erkenntnisse über die Intelligenz der Pflanzen haben das wissenschaftliche Weltbild verändert. Warum die grünen Geschöpfe Rechte und Würde haben sollten.

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Neue Erkenntnisse über die Intelligenz der Pflanzen haben das wissenschaftliche Weltbild verändert. Warum die grünen Geschöpfe Rechte und Würde haben sollten.

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Noch vor zehn Jahren galt es als Esoterik, wenn behauptet wurde, eine Pflanze könne hören. 2005 gründeten internationale Wissenschafter die „Gesellschaft für Pflanzenneurobiologie“ und wurden derart von Kollegen angegriffen, dass sie ihr Institut in „Society of Plant ­Signaling and Behaviour“ umbenannten, um keine Fördergelder zu verlieren. Und erst im Jahr 2015 beschloss das Parlament in Frankreich, in der Verfassung festzuhalten, dass Pflanzen keine „Möbel“ sind.

Andererseits erteilte schon im Jahr 2004 der Schweizer Bundesrat den Auftrag an die „Eidgenössische Ethikkommission für Biotechnologie im Ausserhumanbereich“ (EKAH), zu erkunden, was der Begriff „Würde“ aus der Schweizer Bundesverfassung bedeuten könnte, wenn man ihn auf Pflanzen anwenden würde. Die Schweizer Verfassung gesteht nämlich in Artikel 120, Absatz 2, allen Kreaturen eine Würde zu, der Rechnung zu tragen sei. Also auch den Pflanzen! Das ist einmalig, kein anderes Land kennt eine solche Rechtsnorm. 2008, nach vierjähriger Diskussion, veröffentlichte die Kommission ihre Ergebnisse in der Broschüre „Die Würde der Kreatur bei Pflanzen – Die moralische Berücksichtigung von Pflanzen um ihrer selbst willen“ und erhielt dafür den IG Nobelpreis, verliehen von der Universität Harvard. IG steht für ignoble (unehrenhaft). Es ist eine satirische Auszeichnung für Forschung, die zuerst zum Lachen und dann zum Nachdenken anregen soll. Und seitdem hat die Wissenschaft viel nachgedacht.

Meister der Sensorik

Es ist wahr, Pflanzen haben weder Ohren noch Augen noch eine Nase. Und dennoch reagieren sie auf akustische, optische und Geruchsreize. Wie kann das sein? Bei den Pflanzen musste die Wissenschaft ihre Grenzen erkennen: Ihre bisherigen Ansätze konnten der absoluten Fremdartigkeit der Pflanzenwesen nicht gerecht werden. Die Wissenschaft war und ist gefordert, ihren Horizont zu erweitern. Das wäre ja an und für sich das Prinzip von Forschung, aber bei den Pflanzen geht es um viel mehr. Es geht um die Erschütterung eines Weltbildes, in dem der Mensch und ihm verwandte Tiere die höchste Stufe der Evolution darstellen. Pflanzen aber machen 95 Prozent der gesamten Biomasse auf der Erde aus. Könnte es sein, dass Pflanzen die erfolgreichste Lebensform sind? So stellt die Pflanzenforschung letztlich den Menschen als intelligentestes und fähigstes Wesen auf dem Planeten infrage.

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