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Tarnkappe statt chemischer Keule

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Uber 20 Millionen Tonnen der potentiellen Welternte (rund 12 Prozent) an Weizen, Zuckerrohr, Kaffee, Reis, Kartoffeln, Hirse und so weiter werden jährlich durch Krankheitserreger vernichtet. Der Schaden: rund 25 Milliarden Dollar.

Bisher konnte dagegen nur mit der chemischen Keule vorgegangen werden. Fungizide töten die Pilze durch direkte äußere Ein-

Wirkung (Kontaktfungizide) oder greifen über den Stoffwechsel der Pflanze ein (systemische Fungizide).

Die Kontaktfungizide können durch ihre Breitbandwirkung auch die Zellen der Pflanzen schädigen.

Bei den modernen systemischen Fungiziden, die gezielt eingreifen, besteht die Gefahr, daß die Krankheitserreger schneller resistent werden. Die Fungizide wirken nur wenige Tage, bestenfalls Wochen.

Einen völlig anderen Weg, Pflanzen zu schützen, entdeckte Professor Erich Elstner von der Technischen Universität München. Seine simple und verblüffende Erkenntnis: Wenn der Pilz (Parasit) nicht zur Pflanze (Wirt) kommt, kann die Pflanze auch nicht krank werden. Wo kein Krankheitserreger, da keine Krankheit.

Pilze haben nicht irgendwelche Wirtspflanzen, sondern sind auf bestimmte, wenige Arten spezialisiert. So kann der Pilz Phytophthora infestans sich nur auf Tomaten und Kartoffeln vermehren.

Seinen Wirt „erkennt“ der Parasit an der Oberflächenstruktur der Blätter. Der Kunstgriff: Das Blatt bekommt eine „Tarnkappe“ verpaßt, so daß sich die Oberflächenstruktur verändert. Der Parasit kann seinen Wirt nicht mehr „erkennen“, er bleibt weg.

Das Mittel, eine ligninähnliche Substanz (Lignin ist neben Zellulose wichtigster Holzbestandteil, es bewirkt die Verholzung in den pflanzlichen Zellwänden), mit der dieser Tarnkappeneffekt erzielt wird, ist schon seit 1978 in den Vereinigten Staaten unter dem Namen Pro-Tex auf dem Markt.

Nur wurde es bisher als Schutz gegen Kälte und Verdunstung versprüht. Verwendet wird es unter anderen von den Gärtnern des Weißen Hauses, die damit die Ziergehölze schützen, und in den Coca-Cola-eigenen Zitrushainen von Atlanta. Niemand bemerkte, daß das Mittel auch als Schutz gegen Pilze taugt.

Selbst wenn jemand das bemerkt hätte, Elstner hätte nicht daran geglaubt: „Wenn mir etwas von einem Schutzmantel für

Pflanzen erzählt worden wäre, ich hätte gesagt, Sie sind verrückt.“

Ursprünglich hatte er sich nur mit der Frage beschäftigt, ob die Pflanzen wirklich weniger Wasser verdunsten und mehr Kälte vertragen, wenn sie mit der Substanz eingesprüht werden.

Im Herbst letzten Jahres begann er mit Pro-Tex an Bohnen zu experimentieren. Bald zeigte sich, daß das Mittel nicht zuviel versprach. Doch etwas anderes fesselte den Professor. Nichtbe- handelte Bohnen bekamen die Rostinfektion (eine typische Bohnenerkrankung), behandelte dagegen nicht.

„Was macht die Pflanze eigentlich?“ fragte er sich daraufhin und fing zusammen mit dem Doktoranden Wolfgang Oßwald an, zu experimentieren und zu fotografieren.

Bohnenblätter wurden mit der Pro-Tex-Lösung besprüht, 24 Stunden später mit Pilzsporen infiziert und sechs Tage danach mit einer Lupe untersucht. Ergebnis: Zu 98 Prozent konnte die Infektion gehemmt werden, im Gegensatz zu nicht besprühten Blättern. Weitere Versuche verliefen genauso erfolgreich.

„Die Hemmung der Infektion“, schreibt Oßwald in seiner Arbeit, „könnte möglicherweise mit dem Verkleben bzw. Versinken der (Pilz-)Sporen im Überzug in Zusammenhang gebracht werden.“

Ist das Blatt erst einmal infiziert (krank), hilft die Schutzlösung nicht mehr.

Andernorts war man auch schon auf die Idee gekommen, mit künstlichen Blattüberzügen die Pflanzen zu schützen. Allerdings hatten diese Mittel einen entscheidenden Nachteil: Sie waren für die Pflanzen schädlich. In München dagegen stellte sich heraus, daß sie ihr Schutzkleid prächtig vertrugen. Nicht nur, daß die Atmung praktisch nicht beeinträchtigt wurde, die behandelten Pflanzen konnten auch einen längeren „Dürrestreß“ bestens überstehen.

Während unbehandelte Bohnen nach viertägigem Wasserentzug nicht mehr zu retten waren, erholten sich die behandelten schnell und bildeten danach sogar Früchte aus.

Schutz vor Wasserverlust, vor Kälte, vor Infektion — die Entdek- kung von München könnte möglicherweise den Weltmarkt für Fungizide umkrempeln. Sollte sich in Freilandversuchen heraussteilen, daß der ligninähnliche Mantel auch gegen Grauschimmelfäule (z. B. bei Reben), Apfelschorf, Kaffeerost, Braunfäule (bei Kakao), Mehltau (bei Hirse, Tomaten, Baumwolle) und so weiter schützt, könnten die für die Umwelt belastenden und teuren Fungizide erheblich zurückgedrängt werden.

Fallen die Blätter dann aber oder wird die behandelte Pflanze untergepflügt, bauen Bodenorganismen, so Elstner, den Überzug ab. Früchte, die von Mensch oder Tier verzehrt werden, sollten aber vorsichtshalber doch nicht mit dem „Wundermittel“ eingesprüht werden. Zu wenig weiß man noch über seine Wirkung im Stoffwechsel, als daß man diesem Schutzmantel eine allgemeine Unbedenklichkeitsbescheinigung ausstellen möchte. Auch Einflüsse auf das Wachstum der Pflanzen oder auf den Boden sind nicht völlig auszuschließen.

Auszug aus „Natur“, 11/83.

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