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Rot-Weiß-Rot im weißen Spiegel

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Ein Land steht im Banne des Sports. Humderttausende, die sich sonst, wie weiland Herr Karl, für nichts mehr begeistern können, es sei denn, für Wein, Weib und Gesang (nebst den obligaten kulinarischen Zutaten), lodern in heller patriotischer Begeisterung. Nicht nur passionierte Skifahrer reden plötzlich von Zehntelsekunden, sondern auch Leute, die nicht wissen, was eine Sekunde ist, und alte Damen stoßen, den Femsehübertraigungs- zeiten zuliebe, ihre liebsten Gewohnheiten um.

Ist es wirklich nur auf die Begeisterung für den populärsten (und teuersten) Massensport des zwanzigsten Jahrhunderts zurückzuführen, wenn die Skierfolge eines jungen Kärntners an der Spitze eines rotweiß-roten Abfahrtswunderteams eine ganze Nation in ihren Bann ziehen? Ist es wirklich echtes Interesse am Sport? Sicher, das spielt auch mit. Aber das volle Ausmaß des publizistischen und gesellschaftlichen Skizirkus, der gegenwärtig in Österreich stattfindet, ist damit allein jedenfalls nicht zu erklären.

Wo liegen dann aber die Wurzeln des Phänomens? Es hat sicher mehr repe. Spezifisch österreichische ebenso wie allgemeinmenschliehe und indus tri egesellschaftsmenschliche. Da wäre die Teilhabe an Sportereignissen als letztes Abenteuer, besser Pseudoabenteuer des Zivilisationsmenschen — als eine der letzten Bastionen eines Ereignisses mit offenem Ausgang in einer sonst total kanalisierten Welt. Da wäre die Sportkanone als Identifikationsobjekt in einer Zeit mit offenbar ungedecktem Bedarf an Helden. Da wäre die Unverbindlichkeit der Sportbegeistemnig, die keine Anforderungen stellt.

Interessanter für uns Österreicher sind die spezifisch österreichischen Wurzeln des Phänomens. Daß der Österreicher besonders dazu neigt, seine auf sportlichem Gebiet erfolgreichen Landsleute zu Idolen zu erheben, weiß man spätestens seit Toni Satiler. Und daß es nur geringer Mediennachhilfe bedarf, bei gegebenem Anlaß die österreichische Sport- begeisterung in echte Massenhysterie ausarten zu lassen, weiß man spätestens seit jenem Ereignis, das als „Schranz-Hysterie” in die Lokalchronik eingegangen ist.

Offensichtlich ist vor allem der Wintersport (und nicht allein, weil wir auf diesem Gebiet die meisten Erfolge haben) zu einer der geheimen Nährquelten eines durch viele Jahrzehnte s oh win dsu ehtgef äihr deten Nationaigefühils geworden. Denn wo haben wir noch Erfolge, wenn nicht im Sport? Wirtschaftlich, politisch sind wir nichts mehr, unsere große Geschichte ist vorbei, und intellektuelle Interessen gelten ja, besonders in diesem Land, bekanntlich in weiten Kreisen fast als lasiziv.

Sportbegeisterung, nicht im aktiven, sondern im teilhabenden Sinne, steht allenthalben in einer starken Beziehung zu nationalen Emotionen. Große Nationen mit intaktem Selbstbewußtsein neigen offensichtlich in viel geringerem Maße zur überbordenden Identifikation mit ihren Gladiatoren der verschiedenen Sportarten als Völker, die Probleme mit ihrem nationalen Selbstbewußtsein haben. Siehe das eklatante Beispiel der deutschen Fußballbegeisterung, die unserem Wintersportrummel durchaus die Waage hält. Siehe die lateinamerikanischen Fußballeklats (dort hat ein F’ußballkonflikt bekanntlich schon zu einem Krieg zwischen zwei Staaten geführt).

Das jedenfalls kann uns nicht passieren. Die ganze Ambivalenz, die das Verhältnis des Österreichers zu seiner eigenen Nationalität und Nation kennzeichnet, drückt sich auch in seinen Reaktionen auf sportliche Erfolge und Mißerfolge aus. Wie beim Heurigen schlägt hierzulande auch in der Sportbegeisterung Euphorie blitzschnell in weinerliche Seltertbemitleidung um, wenn ein österreichisches Sportgenie von der Weilt hintangesetzt wird. Derlei beschädigt uns in unserem labilen SelbstwertgefüW. Vor allem der Wiener weiß ja nie, wem er weniger trauen soll, seiner eigenen Kraft, etwas zu leisten, oder der Bereitschaft der Welt, diese seine Leistung gebührend zu würdigen. Weshalb auch die Schranz-Hysterie vor allem in Wien stattfand, als ein, wie man in der Zwischenkriegszeit vielleicht gesagt hätte, Sturm im Wasserkopf.

Begeisterung für Sportkanonen ist ein Phänomen der modernen Gesellschaft, aber mehr noch ein Phänomen bestimmt«“ Gesellschaften, darunter der unsrigen. Und zweifellos, um das Positive zu sehen, haben die österreichischen Skierfolge seit 1945 zur Festigung unseres neuentdeckten Nationalbewußtseins nicht weniger beigetragen als alle bewußten Beeinflussungsversuehe in dieser Richtung. Haben wir doch den Skisport zu unserem Nationalsport erhoben, was Skierfolgen-das besondere Gewicht verleiht.

Im Sinne seiner Selbsterkenntnis kann sich darum der Österreicher nicht genug für das Phänomen der österreichischen Skibegeisterung interessieren. Haben wir es hier doch mit einer der seltenen spontanen Lebensäußerungen unseres so oft verleugneten Nationalbewußtseins zu tun. Ereignisse wie die Schranz- Hysterie konfrontieren uns dx Kehrseite unseres ambivalenten Verhältnisses zu unserem Staat, zu uns selbst: Der vor allem in Wien gepflegten rot-weiß-roten Wehleidigkeit. Mag sein, daß sie langsam abnimmt.

Symbol- und Symptomwert haben aber auch all die mehr oder weniger großen und kleinen Kriserln im Lager des österreichischen Sports. Erfolg steigt zu Kopf, Symbolfiguren besonders. Die Allüren unserer Skidamen sind geradezu eine gesunde Reaktion auf einen ungesunden Zustand, wie es das Leiben als nationale Symbolfigur nun einmal ist. Die uralte weibliche Tendenz, auszuprobieren, wie weit man dem Mann oder den Männern gegenüber gehen kann, dürfte dabei freilich auch mitspielen.

Aber auch ein gewisser Opportunismus im Verhältnis des Österreichers zu seiner Nation und Nationalität findet im Skizirkus seine symbolische Entsprechung, wenn die Sieger im Ziel umjubelt, hofiert und geschmeichelt, die weniger Erfolgreichen oder gar Erfolglosen aber mit einer an Briiskierung grenzenden Schroffheit ignoriert werden. Auch hier ein weißer Spiegel für das rot-weiß-rote Gesicht.

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