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Gold ohne Glanz

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Sie haben sich ja vier Jahre auf Olympia vorbereitet, darum soll man die Sportler nicht der Politik wegen an der Teilnahme in Moskau hindern. So ähnlich wurde stets gegen den - leider ausgerechnet von einem im Wahlkampf stehenden US-Präsidenten angeregten - Olympia-Boykott argumentiert.

Bleibt die Frage: Haben sich die „Amateure” auf Olympische Spiele oder eine ernstzunehmende sportliche Auseinandersetzung der Weltspitze vorbereitet? Letzteres muß man den Moskauer Spielen nämlich absprechen, mag auch der ORF ein 140-Stunden-TV-Programm darüber senden, mögen auch die „Salzburger Nachrichten” (aus politischen Gründen) und die „Tiroler Tageszeitung” (aus sportlich-finanziellen Gründen), die einzigen österreichischen Medien sein, die keine eigenen Berichterstatter nach Moskau schicken, obwohl es geplant war.

Wie läßt sich der verminderte sportliche Wert der Moskauer Spiele quantifizieren?

In Montreal gingen 1976 von 613* Olympiamedaillen 182, also fast 30 Prozent, an Länder, die diesmal fehlen, vor allem an die USA, die Bundesrepublik Deutschland und Japan. Rechnet man jene boykottierenden Fachverbände an sich teilnehmender Nationen hinzu, die in Montreal Medaillen holten, darf man annehmen, daß fast einem Drittel der Moskauer Medaillen der Glanz fehlen wird.

In vielen Disziplinen wird sogar weit mehr als ein Drittel der Medaillen Leuten umgehängt werden, die ohne Boykott davon nur träumen könnten: Das gilt besonders für die Reit- und Hockeybewerbe, für das Segeln, Schwimmen und Wasserspringen und einzelne Leichtathletik- und Turnbewerbe.

Aber auch Bewerbe, wo relativ wenige Medaillenanwärter fehlen, sind sportlich entwertet. Das Niveau, das ein Moskauer Computer prophezeit (46 Weltrekorde im Schwimmen und in der Leichtathletik), darf man kaum erwarten. Immerhin ist eine dieser zum Teil völlig unrealistischen Vorhersagen bereits klar überboten worden. Allerdings durch einen, der in Moskau fehlen wird: durch den Amerikaner Ed Moses im 400-m-Hürdenlauf...

Österreich ist natürlich dabei. Hieß es erst, Sport habe nichts mit Politik zu tun, so ist nun von „staatspolitischen

Überlegungen” die Rede, weshalb unser Team antritt und dabei obendrein -zum Unterschied von fast allen anderen westeuropäischen Staaten - in Moskau auf jegliches Zeichen des Afghanistan-Protestes verzichten will.

Im Gegenteil: Man entsendet eine wesentlich größere Mannschaft als 1976, darunter ein an sich nicht qualifiziertes Damenhockeyteam, um das Zustandekommen des Olympiaturniers zu retten, und die einzige westliche Reiterin: Sissy Theurer. Billiger wird Theu-rer, Europameisterin im Dressurreiten, kaum wieder zu einem Olympiasieg kommen. Sie muß sich nur mit den Russen und den im Reitsport völlig unbedeutenden Bulgaren und Rumänen jnessen.

• Bedeutend erhöht haben sich die Medaillenchancen auch für die österreichischen Segler, den Wasserspringer Niki Stajkovic und den Zehnkämpfer Sepp Zeilbauer, dem kein Eingeweihter die Aussage „Meine Hauptgegner kommen ohnehin aus dem Osten” abnimmt. Sensationen wären eventuell den Schützen, den Judokas, dem Schwimmer Kurt Dittrich oder dem rasch aus Amerika importierten Weitspringer William Rea zuzutrauen. Doch vielen wäre ein österreichischer Olympia-Boykott lieber als eine Medaillenflut zu Okkasionspreisen. Immerhin haben in etlichen Ländern viele Sportler für sich einen Boykott beschlossen. So ist Neuseelands Team auf vier Leute und Australiens Mannschaft immerhin um ein Drittel geschmolzen!

Die Olympischen Spiele sind heute ein lebender Leichnam. Erst hat ihnen das Internationale Olympische Comite mit der Vergabe an Moskau einen Schlag versetzt, dann haben ihnen die Afghanistan-Politik des Kreml und der Boykott-Aufruf Präsident Carters eine tödliche Wunde zugefügt, und zuletzt hat mangelnde Solidarität ihnen den Gnadenstoß versetzt. Wahrscheinlich wäre jeder einhellige Beschluß der westlichen Sportler und Funktionäre (Totalboykott, Totalteilnahme oder Teilnahme unter einvernehmlich gesetzten Zeichen des Protests) besser und der Trennung von Sport und Politik dienlicher gewesen als diese Farce.

Was immer bei der Moskauer Eröffnung geredet werden mag, mit Frieden hat Olympia nur mehr eines zu tun: Der vielzitierte olympische Geist ruht in Frieden.

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