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Gruß aus dem Emmental

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Die Olympischen Spiele in Moskau sind zwar eine Rumpf-Veranstaltung, insgesamt aber muß man mit aller Nüchternheit feststellen, daß der Boykott der Spiele nicht gelungen ist. Das ganze von Washington initiierte Unternehmen ist kläglich gescheitert.

Es ist nicht gescheitert, weil es an moralischer Begründung für die Boykott-Bewegung gefehlt hätte. Es ist keine Frage, daß es moralisch kaum vertretbar ist, in einem Land Olympische Spiele abzuhalten und an ihnen teilzunehmen, daß sich offener und andauernder Aggression in Afghanistan schuldig gemacht hat. Aber Moral und politische Strategie sind zwei verschiedene Dinge.

Das politische Ziel der USA und ihrer westlichen Verbündeten war und ist eindeutig - Moskau soll zu einem Rückzug aus Afghanistan gezwungen werden. Zur Verwirklichung dieses politischen Zieles aber hat US-Präsident Jimmy Carter Maßnahmen gesetzt, die nicht von kühler Überlegung, sondern von aufschäumender Empörung inspiriert waren: Er hat wirtschaftliche Sanktionen verhängt und als showträchtigen Paukenschlag auch die Idee vom Olympia-Boykott in die Welt gesetzt. So moralisch verständlich dies ist, so dilettantisch wurde vom Weißen Haus vorgegangen:

1. Jimmy Carter hat den Aufruf zum Boykott erlassen, ohne sich vorher mit seinen westlichen Verbündeten darüber ins Einvernehmen zu setzen und sich vor dem großen „Knall” der absoluten Solidarität zu versichern.

Die Folge: Außer der Bundesrepublik Deutschland und Japan haben die Verbündeten Amerikas und andere Staaten der freien Welt dem Boykott weitgehend die Gefolgschaft verweigert. Erstens, weil die Zeit, da man sich politische Entscheidungen von den USA diktieren ließ, wohl endgültig vorbei ist; zweitens, weil in Europa weder der Willen noch die Möglichkeit da ist, die Nationalen Olympischen Komitees (NOK) ans politische Gängelband zu nehmen.

Moskau darf sich freuen: Es kann nun zumindest propagandistisch damit operieren, daß es zwischen den USA und ihren westlichen Verbündeten Dissonanzen gibt. Und das werden Millionen Bürger in der Sowjetunion durchaus glaubhaft finden, denn daß westliche Solidarität nur Emmentaler-Qualität hat, also löchrig ist, hat sich nicht nur in der Frage des Olympia-Boykotts erwiesen.

2. Der Olympia-Boykott mußte auch deswegen fehlschlagen, weil man sich in Washington nicht im klaren war, was er bewirken sollte. Wenn der Boykott dazu gedacht war, die olympischen in Nasenringe für den russischen Bären zu verwandeln und ihn so aus Afghanistan abzuführen, dann war das eine gefährliche Unterschätzung sowjetischer Politik. Diese ist von granitener Konsequenz, eiskalt, kontinuierlich, beharrlich und schwerfällig.

Ein massiver Olympia-Boykott wäre - notgedrungen - nur eine kurzfristige, taktische Niederlage für Breschnew & Co. gewesen. Im Kreml ist man aber gewohnt, langfristig und strategisch zu denken. Selbst wenn die Moskauer Spiele zur Ostblock-Spartakiade geschrumpft wären - nicht ein einziger Rotarmist hätte deswegen, vorzeitig oder überhaupt, Afghanistan verlassen.

3. Der dritte schwerwiegende Fehler Washingtons war, in Uberschätzung der einseitigen Meinungen exilierter russischer Dissidenten, die wahrhaftig nicht die Stimmung „des Volkes” wiedergeben, zu glauben, ein Olympia-Boykott würde die sowjetische Regierung diskreditieren, dem KP-Regime auch beim eigenen Volk eine moralische Niederlage beibringen und gewissermaßen einen destabilisierenden Effekt haben.

Das Gegenteil ist der Fall. Wie schon immer in Zeiten außenpolitischer Spannung wird der Schulterschluß zwischen Beherrschten und Herrschenden enger. Der russische Chauvinismus, das schon traumatische Unterlegenheitsge-fühl gegenüber dem Westen, sind in der Frage des Olympia-Boykotts vom kommunistischen Regime voll für seine Zwecke auszunützen gewesen.

Zusammenfassend: Nicht die Idee eines Olympiaboykotts und ihr moralischer Hintergrund waren kläglich, wohl aber, daß man überhaupt und noch dazu mit solchem Unwissen und Fehlkalkulationen daran gegangen ist, ihn zu verwirklichen. Das mußte schiefgehen.

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