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Moskau ist der beste Ort

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Leonid I., den Umarmenden, Zar des gesamten Großen, Kleinen und Weißen Rußlands, Kaiser von Halbdeutschland, Zar von Bulgarien, König von Polen, Böhmen, Ungarn, Rumänien und Afghanistan, Großmogul der Inneren und Äußeren Mongolei, Sultan von Kaukasus, Emir von Buchara, Choreom und Samarkand, Grosschan der Tataren, Kasachen, Turkmenen und Kirgisen, Großfürst von Litauen, Baron von Lettland und Estland, Marschall der Sowjetunion.

Beschützer der Völker und furchterregender Gebieter der Herrscher möge mir verzeihen, daß ich nur den sogenannten KleinenZarentitel verwende. Es wäre jedoch eine Anmaßung, wenn sich ein ehemaliger und-wie es aussieht - auch künftiger Untertan Eurer Herrlichkeit an den Großen Titel heranwagen würde.

Unsere Beziehungen, o, Gebieter der Treugläubigen in aller Welt, gestalteten sich bislang wenig liebevoll. Angesichts der Intrigen eines gewissen Jimmy Carter muß ich jedoch diesen Brief schreiben.

Dieses Präsidentlein, ein Mann, der nicht einmal ein Herrscher im eigenen Land ist, denn er kann gewählt und abgewählt werden, versucht sich in die inneren Regierungsangelegenheiten Eurer Herrlichkeit einzumischen. Er verlangt, daß Rußland seine Heere aus seiner neuen Provinz Afghanistan abzieht. Er kennt nicht einmal das alte russische Sprichwort: „Wo der Fuß des russischen Soldaten tritt, da bleibt er auch für immer."

Schlau hat er sich das ausgedacht, dieser Herr Carter. Er weiß, daß jeder Herrscher seinem Volk Brot und Spiele bieten muß. Er will Eure Herrlichkeit dadurch treffen, daß er beides verweigert. Er weiß nur nicht, der Arme, mit wie wenig Brot und wie wenig Spielen sich die Untertanen des Sowjetreichs von jeher begnügten. Außerdem, sollten die Olympischen Spiele in Moskau nicht stattfinden, so hat die tapfere sportliche Jugend Rußlands immer noch die Möglichkeit, ihre Kondition bei einem freundschaftlichen Panzerausflug in irgendein Land zu beweisen.

Die Olympischen Spiele in Moskau werden jedoch stattfinden. Herr Carter hat nicht einmal die Macht, seine eigenen Sportler zu zwingen, freiwillig und spontan auf die Reise nach Moskau zu verzichten, geschweige denn die Sportler aus anderen Ländern. Die Sportler trainierten vier Jahre hart, auf olympisches Gold und Silber hoffend, sie werden ihren Traum nicht so leicht aufgeben, bei den heutigen Preisen der Edelmetalle erst recht nicht.

Auch die großen ausländischen Firmen, die in das Olympia-Geschäft viel Geld hineinsteckten, wollen es nicht verlieren. Man wird schon passende Begründungen finden - den „unpolitischen Sport" (da können wir beide nur lachen, nicht wahr, Eure Herrlichkeit?), die „Völkerfreundschaft" usw.

Man versuchte ja schon vor vierundzwanzig Jahren Adolf Hitlers Olympische Spiele zu boykottieren, und es ist nichts daraus geworden. Die einen werden jetzt sagen, daß die russischen Herrscher nicht schlimmer sein können als Hitler; die anderen werden sägen, man dürfte sie nicht anders als Hitler behandeln, sonst würde man glauben, daß sie besser seien - man muß also nach Moskau fahren.

Moskau ist auch der geeignetste Ort für die Olympischen Spiele. Nicht nur deshalb, weil eine ganze Armee von geschulten Potemkins -jeder von ihnen überbietet den schönen Fürsten leicht - mit Hilfe von kapitalistischen Lieferanten Eure. Thronstadt auf Hochglanz poliert. Bei den Olympischen Spielen übt die Jugend der Welt aktive Völkerfreundschaft aus. Man umarmt zuerst die Freunde, und dann versucht man sie zu besiegen, ihnen das Gold und Silber wegzunehmen, sie zu verhauen, umzulegen, kaputtzumchen. Genau so macht das auch die Sowjetunion mit ihren Freunden. Könnte es also einen besseren Ort für die Spiele geben, als Moskau?

Wahrscheinlich wird Präsident Carter auch noch einen Vorwand finden, seinen Aufruf zum Boykott abzublasen. Zum Beispiel wenn die Sowjetunion feierlich verspricht, Afghanistan zu verlassen, sobald alle Afghanen ohne Ausnahme darum bitten, und zwar schriftlich, in russischer Sprache. Ich bin überzeugt, daß Eure Herrlichkeit nicht zögern wird, so ein Versprechen zu geben.

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