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Nach Gold drängte alles...

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Zwölf Tage lang schneite es Medaillen. Schnee fiel erst in der Nacht nach den Innsbrucker Olympischen Winterspielen. Mit zwölf von 102 Medaillen hat Österreich nicht nur seinen Rekord von Cortina überboten, sondern sich, wie es sich für den Hausherrn gehört, auf Rang 2 aller Sportnationen der Welt gesetzt Dabei wurde der Erfolg im Gegensatz zu Cortina nicht durch ein Wunderkind, sondern von einem starlosen Ensemble in vier Sportgattungen errungen.

Nationale Pikanterien am Rande:

Ostdeutsche und Westdeutsehe traten in gemeinsamem Team auf.

Luki Leitner schnappte unserem Nenning den Sieg in der Weltmeisterschaft der alpinen Dreierkombination weg. Leitner ist — ebenfalls Österreicher und läuft hur, wie ihm als Walsertaler freigestellt ist, für Deutschland (sein Bruder Adalbert für Österreich).

Das angekündigte Duell Frankreich—Österreich im alpinen Skilauf endete unentschieden; beide Sportnationen haben drei Goldmedaillen, Frankreich um eine Silbermedaille und Österreich um zwei Bronzemedaillen darin mehr erkämpft.

Das Phänomen Sowjetunion ist ein Rätsel. Mit einem Viertel aller Medaillen distanzierte Rußland die Weltelite. Man könnte einwenden, daß sieben ihrer elf Goldmedaillen von zwei Frauen allein, eben Phänomenen, wie sie auch andere Sportnationen zu anderen Zeiten haben, errungen wurden.

Doch haben die Russen in den ganzen drei Winterolympiaden, an denen sie erst seit 1956 teilnehmen, 62 Medaillen errungen und folgen auf Norwegen, das sich in 40 Jahren und neun Winterolympiaden an die Spitze gesetzt hat, jetzt bereits an zweiter Stelle. Freilich, so echte Amateure wie unseren großartigen Eisschnelläufer Strutz, der sich mit Überstunden als Ofensetzer im Sommer das Geld für das winterliche Training verdienen muß, gibt es in Diktaturen nicht. Und auch ihre Staatsamateure sind nicht die ideale moralische Lösung.

Die amerikanische Skiläuferin Jean Säubert wurde interviewt. Der Reporter fragte sie, welches Maskottchen sie bei sich führe. Lächelnd antwortete sie, ob ihm nicht bekannt sei, daß sie an Gott glaube? Der verblüffte Schreiberling wußte dazu nichts anders zu sagen, als daß diese Äußerung in englischer Sprache gut klinge: „Deutseh könne man sich so etwas gar nicht vorstellen.“ Aber vielleicht weiter östlich: Polen und Ungarn bekreuzigten sich vor dem Start...!

Es wird immer ein Geheimnis bleiben, welche Teufelchen bei so ausgeglichenen Spitzenleistungen in Hundertstelsekunden über „Tod und Leben“ entscheiden. Man sollte die erschütternden Bilder jener Gestürzten und Entthronten als Dokumente stiller menschlicher Dramen bewahren. Es ist daher ein schöner Zug. als Sieger in Wien nicht nur die Medaillenträger, sondern auch die drei Näehstplacierten zu feiern. Selbst in ihrem Schatten stehen noch Dutzende, die ihr Bestes gegeben haben. Es ist daher nicht richtig, was ein österreichischer Silbermedaillengewinner in der begreifliehen ersten Enttäuschung mit ungewolltem Doppelsinn zu dem Rundfunkreporter sagte: „Zählen tut ja doch nur das Gold!“ Schwerer als Gold und alle Medaillen wiegt das Wort Coubertins, es gehe bei den Olympischen Spielen nicht darum, zu siegen, sondern dabeigewesen zu sein. In diesem Sinne beglückwünschen wir die Sieger, grüßen die Unterlegenen und neigen uns in stummer Achtung vor den beiden, die beim Training tödlich verunglückten: Auch sie sind dabeigewesen und haben sich, wie hunderte ihrer Kameraden, still und demütig einem Stärkeren beugen müssen.

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