schifahrer - © Illustration: Rainer Messerklinger

Kreuz, Kippa und Kopftuch im Spitzensport

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Sind religiöse Symbole und Ausdrucks­weisen im Sport ein No-Go oder entspannt sich künftig das Verhältnis? Der Umgang mit Religion ist im Sport genauso neu zu bestimmen wie in der Gesellschaft überhaupt.

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Sind religiöse Symbole und Ausdrucks­weisen im Sport ein No-Go oder entspannt sich künftig das Verhältnis? Der Umgang mit Religion ist im Sport genauso neu zu bestimmen wie in der Gesellschaft überhaupt.

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Man hat sich selbst im Jahr 2021 beinahe schon an die Bilder gewöhnt: Kurz bevor sich die Skisprungstars des polnischen Nationalteams vom Zitterbalken in die Tiefen des Schanzenanlaufs stürzen, formen sie ein Kreuzzeichen, falten die Hände und halten für den Bruchteil einer Sekunde kurz inne.

Dieser kurze Moment religiösen Handelns unterbricht ein sonst sehr weltliches Sportgeschehen: Man hört bei der Sieger­ehrung keine religiösen Hymnen, die Interviews mit den Athleten drehen sich nicht um deren Bekenntnis, spirituelle Symbole oder Erlösungshoffnungen. Was Kamil Stoch, Dawid Kubacki und Co. mit ihren Gesten ausdrücken wollen, wird nicht eindringlicher hinterfragt. Der Blick der Zuseher soll auf die Leistungen fokussiert sein, ebenso nehmen die Betreuer und Medienvertreter kaum Kenntnis von den religiös codierten Handhaltungen der Sportler. Und das ist auch gut so.

Diversität im Spitzensport

Der weltweite Spitzensport hat in den vergangenen Jahren einen Wandel durchgemacht: Das Sportgeschehen in den einzelnen Disziplinen wird zunehmend bunter. Mit der Teilnahme vieler afrikanischer und asiatischer Länder an verschiedenen Sportarten wurde eine neue Ebene der kulturellen, nationalen und religiösen Diversität erreicht. Es wurde gleichzeitig vermehrt sichtbar, dass das Bekenntnis einzelner Sportler in der medial ausgeleuchteten Teil­öffentlichkeit des Sportes zum Vorschein gebracht wurde.

Dies sollte nun weder als vorschnelles Argument für die „Wiederkehr des Religiösen“ im öffentlichen Bereich gelten noch Befürchtungen schüren, der Spitzensport könnte zu einem Kampfplatz neoreligiöser Missionierungsversuche verkommen. Ebenso wäre es wohl verwegen, von einem generell „unbelasteten“ Verhältnis zu sprechen. Eine Tendenz der friedlichen Koexistenz zwischen persönlichem Glauben und sportlichem Auftreten kann jedoch nicht geleugnet werden.

Zwar bleiben etwa Vorfälle wie rund um den Fußballprofi Itay Shechter im Jahr 2010 weiter in Erinnerung, sind jedoch zu einer seltenen Ausnahme verkommen: Als der damalige Hapoel-Tel-Aviv-Stürmer beim Champions-League-Qualifikationsspiel in Salzburg ein Tor erzielte und danach eine Kippa – die jüdische Kopfbedeckung – aufsetzte und kniend betete, wurde er vom Schiedsrichter mit einer gelben Karte verwarnt. Dieses Ereignis führte zu einer enormen Entrüstungswelle in seinem Heimatland Israel und löste auch innerhalb der UEFA heftige Diskussionen aus, ob und inwieweit der Spitzensport zu einem völlig religionsfreien Raum avancieren müsse.

Heute sieht die Sache etwas anders aus: Auch wenn explizite religiöse Praktiken in vielen Sportarten weiterhin untersagt sind, wird individuellen Gepflogenheiten, Gesten, Körperbildern oder religiösen Traditionen – soweit es das Reglement zulässt – ein Spielraum erteilt, ohne dem spirituellen Geschehen viel Achtung zu geben. Ob es nun religiöse Jubelgesten bei Mannschaftssportarten sind, in denen Athleten ihre traditionelle Gebetshaltung einnehmen, Spieler religiöse T-Shirts mit Jesusbezug (David Alaba) tragen oder etwa die Beachvolleyballerinnen aus muslimischen Ländern bei Olympischen Spielen mit Ganzkörperkleidung an den Start gehen: Solange die Handlungen nicht herabwürdigend, gegen Personen gerichtet sind oder politisch nationale Konflikte schüren, sind sie weitgehend akzeptiert.

Dieser Entwicklungsprozess lässt ahnen, dass es im Rahmen der öffentlichen Sportausübung zu einem neuen Zueinander von Religiosität und Säkularität gekommen ist. Dies ist insofern bemerkenswert, da es weiter Stimmen gibt, die am liebsten alle sichtbaren religiösen Bezüge aus den Stadien und von der Performance der Athleten fernhalten wollen. Und dennoch zeigt sich bei genauerer Betrachtung in den letzten Jahren eher das Gegenteil: Ein Minimum an Religiosität wird geduldet, selbst wenn die eigentlichen Ziele im heutigen Spitzensport weiterhin sehr irdisch sind – und dies kann im Bewusstsein aller Beteiligten sogar förderlich fürs friedliche Zusammenleben sein.

Radikal öffentlicher Raum

Besonders in Sachen Religionsbezug könnte man meinen, dass der moderne Spitzensport seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts mit der eigenen Vergangenheit hadert: Waren die Olympischen Spiele in der Antike beispielsweise nicht ohne deren religiöse Einbettung in den hellenistischen Kult um Zeus zu denken oder sportliche Veranstaltungen im römischen Reich nicht vom quasi-göttlichen Herrscherkult zu trennen, so verhält sich die Sportwelt im Kontext zunehmend säkularer Staaten in der Neuzeit anders. Den ersten Gewinnern der frühen Olympischen Spiele der Neuzeit wehte der siegreiche Ruhm nicht mehr mit religiösen Akzenten um die Ohren. Heute werden die errungenen Leistungen eher mit monetären Mitteln, Werbeverträgen und säkularer Publicity aufgewogen, was aber der Faszination der Wettkämpfe keinen Abbruch tut.

Dennoch treiben die religionsbezogenen Handlungen im Spitzensport manchen Beobachtern erneut Sorgenfalten auf die Stirn: Der Ort, an dem dieser Glaube sichtbar ist, ist schließlich radikal öffentlich, weithin sichtbar, und die Aktionen sind mitunter für andere Gesellschaften befremdlich. Und trotzdem könnte die Welt des Spitzensports gerade mit diesen Ausnahmen als Spiegelbild vieler moderner Staaten erscheinen: Die Säkularisierungsthese der 1970er Jahre hat sich nicht bewahr­heitet. Religion ist – zumindest noch – nicht aus der staatlichen
Öffentlichkeit
verschwunden .

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