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Japan ändert sein Gesicht

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Im Ablauf von 24 Stunden änderte Japan seine politische Position,zum Mittleren Osten um 180 Grad -r- von Neutralität zu vorbehaj ■ . A^^te ,stützung der arabischen Forderungen. „Notwendigkeit in eiPem Land, das 80 Prozent seines Energiebedarfes aus dem Mittelost-Erdöl deckt“, erklärte Ministerpräsident Tanaka, als Kissinger bestürzt seine Rückreise aus China in Tokio unterbrach. Kissinger schied skeptisch, wie er gekommen war. Seit Jahren desavouieren die USA ihren stärksten Verbündeten in Asien. Der Grund: Wirtschaftsprobleme zwischen den beiden Großmächten der Wirtschaft; dahinter steht aber Washingtons wachsendes Mißtrauen gegen die politische Führung und Stimmung in Japan. Hört Washington das Gras wachsen, wenn seine Politiker vom Wachsen des Nipponismus, des traditionellen Japan-Nationalismus in vielen Formen und vielen Farben sprechen?

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Im Ablauf von 24 Stunden änderte Japan seine politische Position,zum Mittleren Osten um 180 Grad -r- von Neutralität zu vorbehaj ■ . A^^te ,stützung der arabischen Forderungen. „Notwendigkeit in eiPem Land, das 80 Prozent seines Energiebedarfes aus dem Mittelost-Erdöl deckt“, erklärte Ministerpräsident Tanaka, als Kissinger bestürzt seine Rückreise aus China in Tokio unterbrach. Kissinger schied skeptisch, wie er gekommen war. Seit Jahren desavouieren die USA ihren stärksten Verbündeten in Asien. Der Grund: Wirtschaftsprobleme zwischen den beiden Großmächten der Wirtschaft; dahinter steht aber Washingtons wachsendes Mißtrauen gegen die politische Führung und Stimmung in Japan. Hört Washington das Gras wachsen, wenn seine Politiker vom Wachsen des Nipponismus, des traditionellen Japan-Nationalismus in vielen Formen und vielen Farben sprechen?

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Seit der proamerikanischen Epoche des Ministerpräsidenten Yoshi-da, des Churchill von Japan, drängen sich immer mehr Politiker eines modern verbrämten Nipponismus in die Regierungen. Ministerpräsident Tanaka, Außenhandelsminister Na-sakone, sind Führer von Fraktionen, die politische Pro-USA-Pragmatik mit traditionellem Anti-USA-Ressentiment verdünnen. Außenminister Ohira verhehlt kaum seine Allergie gegen den Westen und die westlichen Kulturen und Sprachen. Mißtrauen in Washington und Ressentiments in Tokio treiben einander hoch. Erdölpolitik und ein Wachsen des Asienbewußtseins — nicht nur bei der Linken, auch in der Regierungspartei — stehen in Wechselbeziehung zueinander. Die „Zaibatsu“, die großen Wirtschaftsmächte Japans, versuchten der Zwiespältigkeit ein Ende zu setzen, indem sie nach dem Tod eines Ministers Tanaka zu einer Umgestaltung seiner Regierung zwangen.

Fukuda, der führende Politiker der Zaibatsus, soll als Finanzminister Tanaka, Nasakone und die Seinen kontrollieren — wo nötig stärken. Die Großreiche der Wirtschaft in Japan hatten auch vor dem Zweiten Weltkrieg den antiamerikanischen Patriotismus der Generäle zu bremsen versucht. Für sie waren das Asienbewußtsein und die Asienströmungen in der Politik sowohl Risiko als auch Versprechen: Das Risiko eines Zusammenstoßes mit den USA, deren Macht die Wirtschaftspotentaten Japans besser kannten als die japanischen Generäle; das Versprechen auf unversiegbare Rohstoffquellen und große Absatzgebiete. Die

Rohstoffkrise und das Asienbewußtsein sind Warnungen, daß sie diesmal rechtzeitig den richtigen Mann, ihren Mann, an das Steuerrad des Schiffes manövrieren. Es geht um ihren Handel mit den USA und es geht um ihre Rohstoffinteressen in Asien. Japans Asienpolitik bedeutet: Erdöl vom Mittleren Osten, Spezialwaffen, wie Panzer neuen Typs, in den Mittleren Osten. Japans Amerikapolitik bedeutet seit langem: sorgfältig abgewogenes Handeln, auf daß die noch notwendige politische, wirtschaftliche, militärische Rückendeckung gerade noch erhalten bleibe.

Vom Eisberg Politik ist in Japan weniger als in anderen Ländern sichtbar. Natürlich ist es ein Zufall, daß Japans Ministerpräsident am Jahrestag des .„Seppuku“ des patriotischen Dichters Yukio Mishima sein Kabinett blitzartig umbildete. Zufall kommt in der Politik aber selten aus dem Ungefähren und führt nicht ins Ungefähre. Die sich am 26. November im Nebel des dämmernden Tages im Yasukune-Tempel, dem Shinto-Heiligtum der gefallenen Krieger, zur Trauer um Yukio Mishima versammelten, waren ein Haufen grauer Gestalten in Gehrök-ken mit langen Schößen. Nach der Weihe verloren sie sich im Morgen der 11-Millionen-Stadt: Restbestand eines verdrängten Nipponismus im Japan der wirtschaftlichen Weltmacht, trauernd um einen Dichter, der sich einen absurden Tod gegeben hatte.

Der Erfolg des Mittelost-Erdöls hat in ganz Asien das Selbstbewußtsein gehoben, die Verwundbarkeit des Westens gezeigt. Im patriotisehen Japan — dessen rechter Sektor selten sichtbar ist — hat der Vorstoß der Kräfte im Westen des Kontinents nicht nur die Angst vor der Energiekatastrophe ausgelöst, sondern auch Erinnerungen an die großen Zeiten der eigenen Vergangenheit geweckt. Und zumindest zwei Führer der Regierung sind mit diesem Teil des Eisbergs, dem patriotischen, der unter Wasser liegt, in traditionellem Kontakt: Kakuie Tanaka hat als Erbe des großen Dunkelmannes Kono die Fraktion der starken Geschäftsleute des Bauwesens, der Arbeiter- und Unternehmergangs übernommen. Jasuhiro Nasakone ist Generaldirektor der „Selbstverteidigungskräfte“ gewesen, der Sehattenarmee Japans, und hat durchgesetzt, daß der Yasukune-Tempel wieder — wie es vor dem Krieg war — nationales Heiligtum wurde; der Hain, in dem die Asche der Gefallenen, der als Kriegsverbrecher hingerichteten Generale, und Yukio Mishimas, aufbewahrt ist.

Rohstoffhunger und Asienpolitik sind in Japan immer in Wechselbeziehung zueinander gestanden. Die Angst, als Verbündeter der USA durch die asiatischen ölmächte in den Untergang getrieben zu werden, erhöhte die Bereitschaft, mit der Politik gegen Israel den eigenen und Israels Verbündeten, die USA, zu treffen. Der Nipponismus der traditionellen Rechten und der Antiamerikanismus der Linken kommen beide aus demselben, dem alten Bestand. Japans Zaibatsus, die Vorsichtigen und doch Hungrigen, haben dem Bauunternehmer-Patrioten Tanaka ihren Mann der internationalen Politik und Wirtschaft, Fukuda, als Kontrollor aufgezwungen.

Aus der Entfernung wirkt jede kritische Situation als Krise zur Potenz. Die Politiker des Nippon-Nationalismus der Rechten und der Linken verstärken die Untergangs-stimmüng durch dunkle Prophezeiungen. Nasakone begräbt öffentlich die japanische Wirtschaftsplanung und Produktionserhöhung. Die nationalistisch-revisionistische kommunistische Partei verstärkt ihre Kampagne der Volks- und Nationalfront gegen das „selbstmörderische Bündnis mit den USA“ (Akahata, Organ der KP Japans). Die Sowjets sehen die Gelegenheit, Japan an sich zu binden, ohne die besetzten Kurilen zurückzuerstatten; an sich, an das asiatische Sicherheitssystem Bresöhnews, an die gemeinsame Entwicklungsarbeit in Sibirien.

Tatsächlich ist Asiens führende Vorkriegsmacht vom Boykott der heutigen Führer des Wirtschaftsangriffes gegen den Westen hälter bedroht als Westeuropa. 75 Prozent des japanischen Energiebedarfs kommen vom Erdöl; 42 Prozent des Erdöls kommen aus den Ländern des Lieferstreiks und der Lieferbeschränkungen. Eine Verdünnung des Erdölstromes nach Japan um 25 Prozent würde nach Ansicht der Experten des „Labour Monthly“ in Tokio zur Arbeitslosigkeit von 15 bis 20 Prozent binnen Monaten führen, zur Umwandlung der wirtschaftlichen Märchenlandschaft in ein wirtschaftliches Ruinenfeld — abhängig von den skeptischen USA oder der sorgfältig sich ins Vorfeld arbeitenden UdSSR.

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