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Yoshida und der Vatikan

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Rom, im November

„Wozu diese Vergnügungstour?“ kritisierten japanische Parlamentarier und stichelte die Tagespresse des Landes gegen die Weltreise Yoshidas. Und selbst nach dem erfolgreichen Beginn seiner Reise brachten die japanischen Zeitungen nichts, was geeignet gewesen wärfe, Begeisterung für den Ministerpräsidenten zu wecken.

Und doch haben die knappen Nachrichten über die Sympathiekundgebungen, die dem Premierminister im Ausland bereitet wurden, und vor allem seine Besprechungen mit den Spitzenpolitikern des Westens längst den Beweis erbracht, daß sich die Weltreise gelohnt hat. Die Stimmungsmache in der Landespresse gegen einen Politiker erstaunlichen Weitblicks und seltener Energie ist durch die unfreundliche Haltung gegen Amerika, ja gegen die Politik des Westens überhaupt, vor allem aber durch eine merkliche und beunruhigende Schwenkung nach links zu erklären. Yoshida ist ein erbitterter Gegner des Kommunismus.

Als fünfter Sproß eines ehemaligen Samurai erlebte Yoshida nach erfolgreichen akademischen Studien eine glänzende politische Karriere, die ihn bis auf den Posten eines Botschafters in Rom und London führte. Es ist bezeichnend für die Haltung des japanischen Premiers, daß Yoshida im zweiten Weltkrieg zusammen mit Prinz Koneye energisch die Auswüchse des fanatischen Militarismus bekämpfte und die Seele einer Gegenbewegung war, die zum Sturz der Militaristen führen sollte. Doch der Schlag ging fehl, und Yoshida sah sich im April 1945 gefangengesetzt. Aber nicht lange.

Schon am 24. Juni des gleichen Jahres war Yoshida wieder frei und wurde Außenminister im Kabinett Higashikuni, dem ersten nach dem Zusammenbruch. Am 22. Mai 1946 formte Shigeru Yoshida selbst sein erstes Kabinett und behauptete sich bis heute durch schwierige Krisen hindurch in der Stellung eines japanischen Regierungschefs. Es spricht überzeugend für seine politische Befähigung, wenn Yoshida heute als 75jähriger sein fünftes Kabinett führt und es verstand, in nur acht Jahren mit nicht weniger als 110 Ministern züsammenzuarbeiten. Wie wenige Völker in ihrer Geschichte, hat Japan nach dem zweiten Weltkrieg einen inneren Umbruch folgenschwerster Art erlebt. Nicht nur die politische und staatliche ‘Ordnung, sondern auch die japanische Gesellschaftsstruktur erfuhr nach dem Zusammenbruch eine radikale Umwälzung, die an die Staatsführung höchste Anforderungen stellte und sie stärksten Belastungsproben aussetzte.

Yoshida hat seine Weltreise seit Monaten angekündigt. Von ihrer Notwendigkeit überzeugt, vermochten ihn weder Nörgler und Kritiker aus dem Gegenlager zu beirren noch konnte ihn ein großer Finanzskandal, in den Mitglieder seiner eigenen Partei verwickelt waren, zurückhalten. Am 26. September trat Yoshida seine Reise an, um in der Welt um Verständnis für die schweren und drohenden Probleme des japanischen Volkes, vor allem für seine Uebervölkerung und die brennende Frage der Auswanderung, zu werben.

Wiederholt wurde bekannt, daß sich fast die ganze Familie Yoshidas mit öffentlicher Treue zum Katholizismus bekennt. In der Tat war die verstorbene Gattin des Premierministers strenge Katholikin, und die beiden Töchter des Hauses zählen zusammen mit der katholischen Familie des Obersten Gerichtspräsidenten Tanaka Kotaro, den Kindern des verstorbenen Admirals Yamamoto Shinjiro und der Töchter des letzten japanischen Kultusministers, Amano, zu den geachtetsten Persönlichkeiten des Landes, die beim Kaiserhaus hohes Ansehen genießen, und sind führende Vertreter des japanischen Katholizismus.

Yoshida selbst ist nicht Katholik. Als höchster Staatsmann in einem Lande mit verschwindender Minderheit der Katholiken (200.000 unter 88 Millionen) fühlt sich der japanische Premierminister wohl genötigt, über seine persönliche Weltanschauung zu schweigen. Seine Haltung als Gatte und Vater in einer katholischen Familie aber und die privaten Aeußerungen seiner Sympathie und Anerkennung für das katholische Schulwerk in Japan, dem auch seine Kinder ihre hohe Bildung und religiöse Formung verdanken, berechtigen seine Tochter, die den Vater stets auf seinen Reisen begleitet, zu sagen, ihr Vater zeige stets reges Interesse für die Belange der katholischen Religion.

In der Politik des Ministerpräsidenten jedoch verrät bisher kaum etwas dieses rege Interesse oder gar katholische Grundsätze. Yoshida verkennt die katholischen Kräfte in der Innen- und Außenpolitik durchaus nicht, sah sich aber als Politiker gebunden und zu größter Vorsicht genötigt. Wer die Vorgeschichte seines engsten Mitarbeiters, des obersten Führers seiner Partei, Ando Seijun, kennt, versteht das.

Als 1910 die Entsendung eines japanischen Gesandten an den Vatikan erörtert wurde, erhob sich ein Sturm der Entrüstung unter den Politikern um Ando Seijun. Ando hatte sofort die größten Zeitungen des Landes auf seiner Seite und verstand es vor allem, seine alten engen Verbindungen zu der heute noch einflußreichsten buddhistischen Sekte der Otani auszunützen, um die Massen des Volkes gegen den Vorschlag einer japanischen Vertretung in Rom aufzustacheln. Der Kampf wurde öffentlich und so persönlich geführt, daß Parolen zu hören waren wie: „Einen Dolch für Yamamoto Shinjiro!“ (Es war der bekannte katholische Admiral, der die Gruppe führte, die für die Errichtung der neuen Gesandtschaft eintrat. Erst wenige Jahre vorher war der katholische Ministerpräsident Hara. Kei ermordet worden; freilich aus rein politischen Gründen.) Die Gegner zeichneten das Papsttum mit groben Zügen, die dem dunklen Bild einiger unglücklicher Päpste aus der Geschichte des Mittelalters entnommen wären.

Ando Seijun siegte damals. Doch die Ironie der Geschichte wollte es, daß bereits nach Kriegsausbruch 1914 ein inoffizieller Vertreter der Belange Japans beim Vatikan geraten schien. Da außerdem der damalige Kronprinz und heutige Kaiser auf. seiner Weltreise dem Papst einen herzlichen Besuch abstattete, wie in jüngster Zeit der jetzige Kronprinz, war der Kampf in der Oeffent- lichkeit bald vergessen. Aber ein Mann wie Ando Seijun ändert seine Haltung nicht über Nacht. Daß Yoshida mit diesem Mann auf engstem Raum Zusammenarbeiten muß, kennzeichnet hinreichend seine schwierige Situation. Um so erfreulicher ist das Licht, das die jüngsten Ereignisse auf die entschiedene Haltung des japanischen Premiers zum Vatikan werfen.

Am Vorabend seiner Weltreise stattete Yoshida dem Apostolischen Internuntius in Japan, Erzbischof Maximilian von Fürstenberg, in Tokio einen offiziellen Besuch ab. In einer Rundfunkansprache kündigte er an, er werde im Vatikan den Dank des japanischen Volkes dafür abstatten, daß der Papst sich in zahlreichen bekannten und vielen noch unbekannten Fällen erfolgreich für die Begnadigung verurteilter Japaner bei den Regierungen der Philippinen und Australiens eingesetzt habe. Außerdem werde er den Papst um seinen geistigen Beistand für die Lösung der schweren Fragen ersuchen, um die das japanische Volk ringt.

Das wird selbst von Japanern als mehr denn nur als klug berechnete politische Geste gewertet. Gewiß, Japans Premier ist als Diplomat von Format weitblickend genug, um den Nutzen guter Beziehungen zum Vatikan zu erkennen; aber geht es dabei dem Staatschef eines von Krisen geschüttelten Nach- kriegs-Japan nicht doch um mehr? „Trotz der ausgezeichneten rechtlichen und verfassungsmäßigen Neuordnung herrscht im politischen Leben des neuen Japan große Unsicherheit, die sich in den vergangenen Jahren mit den unliebsamen Skandalen äußerte. Bei der plötzlichen Umstellung und raschen Entwicklung der Dinge kann solches nicht verwundern. Aber der tiefere Grund der politischen Unrast liegt im Mangel einer klaren weltanschaulichen Grundlage.“ (Orientierung.) Sollte Yoshida die innere, weltanschauliche und moralische Festigung Japans, die unerläßliche Grundlage einer gesicherten Staatsordnung, nicht von jener Weltanschauung erwarten, deren Grundzüge er als Botschafter in Rom kennenlernen durfte und deren überzeugende Lebenskraft er als Gatte und Vater im engsten Kreise seiner eigenen Familie beobachten konnte? Und es war gewiß kein Zufall, daß Yoshida in einer Zeit bedenklich erschütterter Moral einen überzeugten Katholiken, Tanaka Kotaro, zum Obersten Gerichtspräsidenten ernannte.

Am 20. Oktober empfing Papst Pius XII. den japanischen Ministerpräsidenten in seiner

Sommerresidenz Castel Gandolfo in feierlicher Audienz. Der Papst führte ein persönliches Gespräch mit Yoshida und verlieh seiner Freude herzlichen Ausdruck, aus dem Munde des japanischen Regierungschefs die volle Loyalität der japanischen Katholiken und ihren wertvollen Beitrag zum Wiederaufbau des Landes bestätigt zu erhalten. Der Papst bat den japanischen Ministerpräsidenten, dem Kaiser, seiner ‘Familie und dem ganzen japanischen Volke seine besten Wünsche zu überbringen.

Die Zeit scheint vorbei, da Japan mit Ando Seijün den Vatikan als bedeutungslos für die Geschicke des Landes ablehnte. Wenig später schon würdigte man in ihm einen diplomatischen Faktor erster Größe, dem cs Rechnung zu tragen galt. Erkennt Yoshida heute bereits mehr im Vatikan? Manches spricht dafür. Aber er wird klug und vorsichtig bleiben müssen. Daß alle Führer des Landes möglichst bald im Vatikan nicht nur eine diplomatische Größe sehen, sondern in der höchsten Warte katholischer Weltanschauung den geistigen Vorkämpfer einer Weltordnung des Friedens, der Gerechtigkeit und Liebe erkennen und anerkennen, darauf wartet die Kirche Japans und der ganzen Welt.

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