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Geistige Strömungen im neuen Japan

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Der Ausgang des zweiten Weltkriegs und seine Folgeerscheinungen haben in Japan eine wesentliche Änderung der geistigen Situation vorbereitet. Japans moderne Entwicklung zur Großmacht, die Kaiser Meiji (1867—1912) eröffnete, hatte die Macht der Shogune (der Reichsverwalter) gebrochen, den Kaiser wieder in den Vollbesitz der Herrschergewalt und den Shinto als Staatsreligion und als Schwungrad der Staatsmaschinerie eingesetzt. 1881 spaltete ein kaiserlicher Erlaß den Shinto in zwei Teile, den Jinja-Shinto als öffentliche, offizielle Verehrung des Kaisers und den Kyoha-Shinto, der die verschiedenen Mythen, Theologeme usw. beinhaltete und sich in 13 Sekten spaltete. Trotz aller Betonung des zivilen Charakters des Jinja-Shinto blieb er doch in der Volksauffassung religiöser Kult und war daher den Christen verboten. Damit waren sie aber auch von öffentlichen Ämtern, die sie auch zur Jinja-Kaiserverehrung verpflichteten, ausgeschlossen. Im Feuerbrand weltlicher Zivilisation verlor allmählich der Jinja-Shinto auch in der öffentlichen Meinung von seinem religiösen Gehalt. So konnte auch der Apostolische Stuhl 1936 ein Abkommen mit der japanischen Regierung treffen, daß den Christen unter anderem gewisse Ehrenbezeigungen für den Kaiser in den Jinja-Schreinen gestattet wurden. Damals ahnte niemand, daß der Shintoismus bald schwer getroffen werden und der zweite Weltkrieg auch diese Frage lösen sollte. Denn zwei wichtige Tatsachen brachte der Waffenstillstand: die Ent-gottung des Kaisers, der feierlich erklärte, keine göttliche Verehrung zu beanspruchen, und die Aufhebung des Staats-Shinto (Jinja-Shinto).

Ob bei der nationalbewußten Einstellung des Japaners der Shinto aber seinen Todesstoß erhielt, wird erst die Zukunft zeigen. Denn in den beiden vom Staat künstlich geschaffenen Hälften, dem Staats-Shinto und dem Sekten-Shinto, ist der moderne Shintoismus nicht aufgegangen. Keinesfalls erschöpften sie das shintoistische Erbe der Vergangenheit ganz, namentlich nicht das religiös empfundene, insulare Selbstbewußtsein, in dem sich Japan als heilige Welt fühlte, als etwas Weltumfassendes und Sich-selbst-Geniigendes, das keines Fremden bedarf. Träger dieses Erbe ist heute noch die Omoto-Bewegung, deren Lehrsystem in 13 Glaubensartikeln mit den alten, japanischen Mythen ein Gemisch von Christentum, Pantheismus und shintoistischem Weltbewußtsein verbindet. Die Sekte, die erst 1916 in die breite offenllichkeit trat, gewann besonders in Heer und Flotte schwärmerischen Anhang. Eine eigene Zugkraft fand sie in den chilia-stischen Prophetien ihrer Gründerin Frau Deguchi Igest. 1918) vom Um- und Neubau der Welt. Nach ihren „Offenbarungen“ wird durch das Eingreifen der Götter der Kaiser die Völker regieren. Zahlenmäßig und geistig ist dem Shinto der Buddhismus überlegen. Er hat Japans Kultur wesentlich bestimmt. Seine Bonzen stehen auf beachtlicher wissenschaftlicher Höhe dank der buddhistischen Seminarien, die auch Zentren buddhistischer Philosophie und Theologie wurden. Er zeigte sich den Fragen der Zeit — wenigstens theoretisch — aufgeschlossen und wußte alle Mittel der modernen Technik in seinen Dienst zu stellen. Aber trotz seines national-kulturellen Selbstbewußtseins und seiner überwältigenden Mehrheit von Anhängern (16l/s Mill. Shintoisten — 41 Mill. Buddhisten) besaß er sichtlich nicht die Kraft, das Volk aus der inneren Krise, besonders auf sozialem und politischem Gebiet, herauszuführen.

Zudem hat sich in der Wertung des Religiösen überhaupt eine Wandlung vollzogen. In dieser Suche nach einer neuen geistigen Welt muß man einer bedenklichen Strömung, dem Zug zum atheistischen Materialismus, besondere Beachtung schenken. Sie wird in der Gestalt des Kommunismus sichtbar. Bei den Wahlen 1947 konnten die Kommunisten von den 250 Sitzen des Oberhauses und 466 des Parlaments nur je 4 Sitze erlangen. Die Wahlen im Jänner 1949 brachten ihnen 36 im Parlament. Wenn auch die Zahl der aktiven Parteimitglieder nur 90.000 beträgt unter 83 Millionen Bewohnern, so bilden sie doch einen wichtigen Faktor im öffentlichen Leben. Audi für Japan kann es als sicher gelten, daß der Kommunismus durch Stimmenmehrheit nie zur Macht kommen wird, ebensowenig ,wie es ihm in irgendeinem andern Lande auf diesem Wege gelungen ist.

Die Taktik des japanischen Kommunismus konzentriert sich deshalb auf die liberalen Intelligenzkreise und Studenten. Der .Demokratische Kulturbund Japans“ widmet sich im Auftrage der Kommunistischen Partei der Gewinnung der Intellektuellen. Er umfaßt 21 verschiedene Vereine in 45 Ortsgruppen für verschiedene Interessengruppen, wie Literatur, Recht, Medizin, Musik, Naturwissenschaften. Jede Ortsgruppe besitzt ihre Zeitschrift, und der Bund selbst gi'ct eine Mpnatsschrift und drei Wochenschriften heraus. Dafür bedarf er naturgemäß starker Unterstützung vom asiatischen Festland aus. Er kontrolliert vier weitere intellektuelle Zeitsdiriften und die Zeitungen und Zeitschriften der zahlreichen Universitäten sind stark kommunistisch orientiert. Die Dachorganisafion der Gewerkschaften ist in dieser Richtung stark beeinflußt, obschon sich in der Leitung der großen Verbände seit einem Jahre eine starke Opposition zeigt.

Bei dem Bestreben, die intellektuellen Kreise mit seinen Ideen zu erfüllen, findet der Kommunismus sicher günstigen Boden. Bei einer Rundfrage an fünf nichtkatholischen Universitäten nach der Lieblingslektüre gaben 42 Prozent der Studenten Werke materialistisdrer Tendenz an. Eine Rundfrage buddhistischer Mönche ergab, daß nur 22 Prozent der Studenten noch irgendeine religiöse Überzeugung haben, während die übrigen 78 Prozent sich zum Agnostizismus und Atheismus bekannten. Sie hatten .kein Bedürfnis“ und „wußten nicht, worum es sich handle“. Die offene oder versteckte Parteinahme angesehener Professoren für den Kommunismus, wie des Präsidenten der Staatsuniversität in Tokio, Nambara, seines Kollegen Ide, des Nestors der Literaten, Morita, und anderer verfehlt ihre Wirkung auf die jungen Köpfe nicht.

Diesen Kräften gegenüber steht das Christentum. Zahlenmäßig eine Minderheit. Unter 83 Millionen Bewohnern zählt die katholische Kirche 122.000 Gläubige. Der in viele Sekten und Kirchen aufgespaltene Protestantismus führt in seinen Berichten 199.000 an. Von den 122.000 Katholiken gehört die Hälfte zur Diözese Nagasaki. Es ist in den ersten Berichten, die nach dem Krieg aus Japan über Amerika zu uns kamen, betont worden, daß die Milde des Siegers beim Waffenstillstand vom Japaner als Ausfluß seiner Religion betrachtet und dadurch dem Christentum eine neue Chance gegeben wurde.

Es jsoll auch nicht die großzügige Hilfe der Amerikaner vergessen werden, die sie den Missionären — gleich welcher Nation — angedeihen ließen. Aber in jeder Beziehung schädlich wirkt die Förderung der Geburtenkontrolle. Sicher bedeutet die starke Bevölkerungszunahme dieses Inselvolkes ein ernstes Problem. Trotz der vier Millionen Kriegsverluste zählte Japan Ende 1949 bereits 83 Millionen Einwohner. 1949 hat sich die Zahl der Bevölkerung pro Tag um 5000 erhöht. Nach Statistikern wird 1955 Japan 90 Millionen Einwohner zählen. Der jährliche Bevölkerungszuwachs beträgt 1,8 Millionen. Während 1936 auf einen Quadratkilometer noch 968 Menschen kamen, waren es 1948 bereits 1170 geworden. (Vgl. Belgien: das dichtbevölkertste Land Europas hat auf einen Quadratkilometer 264 Bewohner) Wenn wir dazu bedenken, daß nur ein Drittel des Landes anbaufähig ist, wächst das Bevölkerungsproblem ins Gigantische. Aber es kann und darf nicht unter Mißachtung des fünftes Gebotes gelöst werden, wie es im entwaffneten Japan versucht wird. Es war ja doch eine offiziöse Reise, in der Dr. Warren S. Tompson die japanischen Provinzen besuchte, um nach einem ausführlichen Programm für Geburtenkontrolle die japanischen Behörden zum Handeln zu bringen. Am 13. Juli 1948 „beschloß“ dann in der Tat da japanische Parlament ein Gesetz über zwangsweise Sterilisation und künstliche Schwangerschaftsunterbrechung. Alle Proteste christlicher Kreise waren wirkungslos. Die einheimische und die amerikanische Presse blieben gehorsames Werkzeug. Es hat sich hier gezeigt, daß dem materialistischen Kapitalismus Menschenrecht und Gottesgebot leere Phrasen werden. Wenn die Besatzungsmacht die Fabrikation von 19 antikonzeptionellen Mitteln gutheißt und dann die Mittel zum Ruin der Familien und Völker auch die westliche Welt überfluten, trifft nicht Japan die Schuld. Um den tausenden japanischen Auswanderern Hilfe angedeihen zu lassen, rief der japanische Episkopat ein eigenes Emigrationssekretariat ins Leben, das auch den Wirkungen der Geburtenkontrolle propagandistisch entgegenzutreten bestimmt ist.

Die innere Kraft der katholischen Lehre, ihre Bedeutung für die Menschen, Völker und Menschheit sind letztlich die Faktoren, die der katholischen Kirche die Zukunft in Japan sichern. Diese innere Kraft zeigt sich trotz aller Verluste auch in der Entwicklung der Mission nach dem Zusammenbruch.

Von den Missionären wird hervorgehoben, daß die Kompromißlosigkeit der Kirche, ihr entschiedenes, unverrückbares Nein gegen alles, was gegen Gottesgeselz und Menschenwürde verstößt, auch den Mächten “gegenüber, die eine halbe Welt eroberten, die Japaner am meisten zur Kirche zieht. Ein hoher Prozentsatz der katholischen Laien gehört heute schon den geistig führenden Schichten an. Unter den 15.000 Katechumen (1949) waren 1000 Studenten in höheren Schulen. Von den Wissenschaftlern und Künstlern, die den Weg zur katholischen Kirche fanden, nennen wir die Universitätsprofessoren Chikayama (Geschichte, Tokio), Yama-guchi Riuichi (Archäologe, Tokio), Ha-magani (Bakteriologe, Sendai), Naojivo Murakami (Geschichte, Tokio), Aoyama (Orient. Geschichte, Tokio), den Komponisten Hashimoto (Ueno, Tokio) und andere. Unter den 18 japanischen Novizen der Jesuiten in Hiroshima befanden sich zwei Ärzte und Professoren. So wird das Fehlen einer geistigen Elite kein Krisenpunkt für die Entwicklung der Kirche in Japan sein. Jedoch gerade deshalb muß sich die christliche Botschaft von der spezifisch europäischen Ideologie und Kultur lösen und die Synthese von Christentum und ostasiatischer Kultur schaffen.

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