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Alarmglocken in Asien

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Der Riesenzwerg Japan erlebt ernste Wachstumsprobleme, denn er sollte aus dem Windschatten Amerikas, in dem er geruhsam seine Wirtschaft aufbauen und zur Eroberung der Weltmärkte ansetzen konnte, heraustreten und eine seiner Wirtschaftsmacht entsprechende Verantwortung in der in-ternationalen Politik übernehmen.

Man muß nicht unbedingt mit Helmut Schmidt einig gehen, der in Kansas erklärte, Japan sei nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion auch militärisch die stärkste Macht in Asien geworden. Immerhin schickt es die drittstärkste Marine der Welt in den Pazifik, und sein Verteidigungsbudget dürfte die fünfte Stelle einnehmen. Zwar ist die Streitmacht nach geltender Deutung des Paragraphen 9 der Verfassung, der den Verzicht auf Kriegspotential ausspricht, nur zur Verteidigung des Inselreiches ein-zusetzen, und verzichtet deshalb auf Offensivwaffen, wie Flugzeugträger, Fernbomber und Raketen.

Diese Strategie gerät durch die Golfkrise ins Wanken. Denn Japan bezieht 70 Prozent seines Öls aus diesem Wetterwinkel. Die vier Mil-liarden Dollars, die Japan zu den Kosten der amerikanischen Streitkräf te beiträgt, entsprechen keines-wegs den Erwartungen des großen Bruders. Die Regierung will daher ein Friedenskorps aufstellen, das hinter der Front Hilfsdienste für Transport, Medizin, Meldewesen erfüllt; darin sollten Zivilisten und Militärs eingesetzt werden, doch würden sie unter dem Befehl des Premierministers stehen.

In der Regierungspartei ist man aber willens, Streitkräfte auch unter UNO-Kommando für bewaffnete Aktionen einzusetzen. Dagegen erhob sich von Singapur bis China ein Aufruhr aller Länder, die unter japanischer Besatzung gelitten haben. Auch die Opposition fand hier einen willkommenen Anlaß zum Großangriff auf die Regierung. Deshalb schloß sie neuerdings den bewaffneten Einsatz wieder aus den Diskussionen aus. Die Debatten gehen noch weiter, und es ist kei-neswegs sicher, daß das Gesetz über das Friedenskorps bis Ende der Session verabschiedet werden kann.

Daneben liefen auch Proteste ge-gen das Zeremoniell der Thronbe-steigung, die am Montag dieser Woche stattfand. Zwar wurden dem Kronprinzen Haruhito schon inner-halb einer Stunde die drei Reichskleinodien (Schwert, Spiegel und Juwel) überreicht, und damit hatte er die Nachfolge in der ältesten Dynastie der Welt de facto angetre-ten. Die Thronbesteigung aber mußte wegen der Befleckung durch den Tod des Kaisers, die das,ganze Land betraf, ins neue Jahr verlegt werden. Sie ist mit einem archai-schen Erntefest verbunden.

Erst durch das Kultmahl, das der neue Kaiser mit seiner Ahnmutter Amaterasu teilt, geht der göttliche Geist des Kaisertums auf ihn über. Dadurch wird er zum lebenden Gott. Der Reis für dieses Mahl wurde in zwei durch Los bestimmten Teichen im Osten und Westen angebaut, wobei Shinto-Zeremo-nien die Arbeit von Anfang bis Ende begleiten. Im Palast wurden dafür zwei Bauten aus feinstem Zypres-senholz errichtet, die nach Vollzug . sofort zu verbrennen sind.

Zum ersten Mal seit 65 Jahren wurde jetzt dieses alte Ritual wieder gefeiert. Der erste Teil fand am 12. November statt, und dazu waren an 165 Länder Einladungen ergangen. Er trägt einen rein säkularen Charakter und stellte daher keine verfassungsrechtlichen Probleme.

Anders liegt der Fall mit dem zweiten Teil, der ganz und gar von Mythen und Riten des Shinto ("Weg der Götter") geprägt ist. Da Shinto seit der Meiji Zeit bewußt als Grundlage des Imperialismus mißbraucht worden war, sprach die neue Verfassung die Trennung von Religion und Staat aus. Danach darf der Staat keine Religion finanziell unterstützen. Die Zeremonie darf als Brauch der Kaiserfamilie ausgeführt werden, und die erheblichen Kosten wären ohne Mühe durch Spenden aufzubringen gewesen. Dennoch benützten sie gewisse einflußreiche Kreise, wie schon die Totenfeier im November des Vorjahres, um die Trennung zu überwinden und letztlich Shinto wieder zur Staatsreligion zu erheben (FURCHE 9 und 37/1989). Kaiser Hirohito hatte bei der Kapitulation auf seine göttliche Würde verzichtet. So kann man heute nach dem Sinn des Zeremoniells fragen.

In Japan gehen die Uhren anders. Tradition und Fortschritt stehen sich hier nicht feindlich gegenüber. Die unablässige Rezeption aller neuen Errungenschaften aus dem eurasischen Kontinent geht einher mit der Bewahrung des archaischen Rituals, in dem die Identität des Volkes verwurzelt ist.

Dieser Sachverhalt verbindet die Diskussion über die künftige Rolle der Streitkräfte mit der bewußten Aushöhlung der Verfassung durch Rückkehr zum Shinto; und daß daher in Asien die Alarmglok-ken klingen, ist verständlich.

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