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Geburtenkontrolle im besiegten Japan

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Das Wachstum der japanischen Bevölkerung ist vielleicht das ernsteste Problem, vor das sich die Besatzungsbehörden und die japanische Regierung gestellt sehen. Amerikanische Bevölkerungsfachleute haben die Regierung darauf hingewiesen, daß Japan von sich aus nur eine Bevölkerung von 64 Millionen ernähren kann, daß aber bei der gegenwärtigen Bevölkerungszunahme die Hundert- Millionen-Grenze im Jahre 1968 erreicht sein wird, außer wenn man mit den Mitteln der Bevölkerungsbeschränkung eingreift.

Alle Verantwortlichen sind sich gewiß darüber einig, daß etwas geschehen muß — und zwar sehr bald geschehen muß. Aber von den notwendigen Maßnahmen ist gegenwärtig der Gebrauch empfängnisverhütender Mittel die einzige in Japan propagierte Methode. Doch zur Überraschung des besorgten Westens hat die japanische Bevölkerung bis jetzt wenig oder keine Neigung für diese „wissenschaftliche Methode" der Beschränkung ihres Wachstums gezeigt. Diese japanische Haltung war nach der Ansicht vieler der Hauptgrund für den Ausbruch des japanischen Expansionskrieges, in dessen Folge heute Japan ein besiegtes Volk sei, ausgeliefert der Gnade seiner Besieger, denen es sich bedingungslos ergeben hat.

Heißt das, daß die Siegermächte das Recht haben, Japan zur Aufgabe seines natürlichen Moralgefühls und zur Annahme einer bequemen utilitaristischen Moral zu veranlassen?

Nicht wenige technische Fachleute scheinen diese Frage zu bejahen. Für sie ist der langerwartete günstige Augenblick gekommen. Die Niederlage Japans ist für sie die große Gelegenheit. Japan soll unter den orientalischen Völkern „die Führung übernehmen"

und „seine eigene aufgeklärte Bevölkerungspolitik und Gesetzgebung" formulieren.

Aber in Wirklichkeit soll es ein Laboratorium werden und sein Volk ein Versuchskaninchen, das von amerikanischen Fachleuten viviseziert wird. Diese versuchen, den Gedanken der künstlichen Geburtenkontrolle durch geheime Beeinflussung und technische Beratung der japanischen Regierung durchzusetzen, in der Hoffnung, daß diese aus eigener Initiative eine entsprechende Politik und Gesetzgebung ausarbeiten und dann die Besatzungsbehörden um Zustimmung ersuchen wird. Die bis jetzt getroffenen Maßnahmen ergeben zusammen mit dem, was bisher in der japanischen Presse veröffentlicht wurde, ausreichenden Beweis für diese Annahme.

Eine „Mission für Gesundheits- und Be- völkerungsprobleme“ der Rockefeller Foundation besuchte Japan unter Führung von Dr. Fairchild im Jahre 1948. Kurz nachdem sie ihren Bericht vollendet hatte, nahm das japanische Parlament das „eugenische Schutzgesetz" an, das die Schwangerschaftsunterbrechung aus „medizinischen“ und „sozialen" Gründen sanktionierte. Am 6. März 1949 veröffentlichte die „Nippon Times" ohne besonderen Anlaß Auszüge aus einer von Dr. Warren S. Thompson im vergangenen Herbst gehaltenen Rede. Nur wenig Leser bemerkten die Beziehung zwischen dieser reichlich verspäteten Nachricht und der Anwesenheit von Dr. Thompson selbst in Japan, der hier Mitte Jänner 1949 auf Einladung von General MacArthurs Hauptquartier angekommen war. Es war alles ein Teil eines woMörganisierten Planes.

Anfang Jänner 1949 hatte die ,„T o k y o M a i n i c h i“, eine der verbreitetsten Tageszeitungen, in einem Leitartikel das japanische Volk darauf hingewiesen, daß künstliche

Geburtenkontrolle das einzige Mittel zur Verhinderung einer Katastrophe infolge Übervölkerung sei. Erziehung in der Geburtenkontrolle wurde für jede japanische Familie angeregt, und dem Einwand, der sich sofort bei jedem Durchschnittsjapaner erhebt, daß der Gebrauch empfängnisverhütender Mittel ein unnatürliches Laster und unmoralisch sei, wurde durch die Behauptung begegnet, daß es noch viel unmoralischer sei, Kinder zu haben, die man nicht entsprechend erziehen kann, und daß jede andere Ansicht eine reine Sentimentalität sei.

Am 8. Februar 1949 warf ein inspirierter Leitartikel der „Nippon Times“ der Regierung vor, daß sie bis jetzt noch nichts zur Formulierung eines bestimmten Bevölkerungsprogramms unternommen habe. Der Verfasser sagte, es sei „die Pflicht der Länder, welche zuerst einen kritischen Zustand in dem allgemeinen Bevölkerungsproblem erreicht haben, die Führung in der Ausarbeitung eines wissenschaftlichen Programms zu übernehmen", und daß die Regierung die Anwesenheit einer weltberühmten Bevölkerungsautorität wie Dr. Warren S. Thompson benützen solle, um einen maßgeblichen Rat einzuholen. Am 1. März 1949 berichtete Reuter, daß

„als ein erster Schritt auf dem Wege zu einer nationalen Bevölkerungspolitik die japanische Regierung gestern beschloß, den freien Verkauf empfängnisverhütender Mittel ab 1. April zu gestatten".

Wiederum bezog man sich auf die Anwesenheit von Dr. Thompson in Japan, von dem man sich einen ausführlichen Bericht über das Bevölkerungsproblem erwarte. Dieselbe Nachricht erschien in der japanischen Presse.

Am,5. März beriditete Reuter, daß ein ausgedehntes Erzäehungsprogramm, unterstützt durch öffentliche Propaganda, von der japanischen Regierung eingeleitet wird, „in dem Bemühen, die japanische Bevölkerungszunahme zu beschränken“. Es wird ferner darauf hingewiesen, daß im ganzen Lande Beratungsstellen errichtet werden sollen, um die Japaner in den Methoden der Geburtenkontrolle zu unterrichten. Anfang Marz scheint Dr. Thompson nach Kyushu, der gioßen südlichen Insel Japans, gegangen zu sein, wo mehr Katholiken als sonst irgendwo in Japan leben. Man kann das aus der Intensität der Pressekampagne schließen, die dort plötzlich in den lokalen Zeitungen begann.

Die „Oita Godo Shimbun" vom

5. März enthielt einen Leitartikel mit dem Titel „Offizielle Anerkennung empfängnisverhütender Mittel und Gegenmaßnahmen gegen den Bevölkerungszuwachs“. Dem Publikum wird vorgeworfen, daß es die Schwere der Situation nicht erkennt, zu einer Zeit, „da wohlmeinende Ausländer ernstlich besorgt sind um Japans zukünftige Wohlfahrt“. Der Verfasser betonte die Notwendigkeit einer erfahrenen Anleitung im wohlüberlegten Gebrauch empfängnisverhütender Mittel, um minderwertige Nachkommenschaft zu verhindern. Es sei die Pflicht der Regierung, diese Anleitung zur Verfügung zu stellen. In ähnlicher Weise verlangte die „Kumamaoto Nichi Nicht Shim- bun“ im Leitartikel vom 2. März offizielle Anerkennung und ein Erziehungspro- gramm der Geburtenkontrolle. Der Leitartikel der „Kyushu Times“ vom

6. März vertritt die Ansicht, daß Geburtenkontrolle das einzige zweckmäßige Mittel zur Lösung des Übervölkerungsproblems sei. Industrialisierung und Auswanderung kämen wegen Japans „bedingungsloser Übergabe“ nicht in Betracht. Der Autor versichert uns, daß vom religiösen oder moralischen Gesichtspunkt aus keine Einwände erhoben werden können, weil die Annahme des laissez-faire- Grundsatzes in dieser Frage das größte Verbrechen sei. Der Artikel schließt mit der energischen Forderung, daß die Regierung Gesetzgebung, Schutz und Anleitung biete.

Jeder, der den gewöhnlichen Ton der japanischen Zeitungen kennt, muß schließen, daß alle, diese Artikel von Nichtjapanern inspiriert, wenn nicht geschrieben wurden. Es ist offenkundig, daß diese ganze Pressekampagne, unterstützt durch „zeitgerechte“ Radiogespräche und Nachrichten, Teil eines wohlorganisierten Planes ist, um eine Bevölkerungspolitik mit künstlicher Geburtenkontrolle auf angebliche japanische Initiative durchzusetzen, die jedoch tatsächlich inspiriert und gefordert, wenn nicht diktiert ist von Personen, die im Namen von Wissenschaft und Demokratie a.ls Vertreter und mit Sanktion der Besatzungsbehördens sprechen.

. Christen wie Nichtchristen in Japan können nicht verstehen, wie eine angeblich christliche Nation sich auf der einen Seite bemüht, christliche Moralgrundsätze unter den Japanern zu verbreiten — der Verkauf einer Million Bibeln wurde kürzlich genehmigt —, und auf der anderen Seite technische Berater schickt, die sie im Namen von Wissenschaft und Demokratie in den neuesten Methoden unterrichten, die unveränderlichen Gesetze der Natur und ihres Schöpfers zu verletzen. Es ist eine Erfahrung, die jeder Missionär in Japan machen konnte, daß auch viele Nichtchristen instinktiv vor der Anwendung solcher Methoden zurückschrecken, nicht nur auf Grund der Gesetze und Gebräuche der sozialen Gemeinschaft, sondern weil sie fühlen, daß diese Praktiken von Grund auf schlecht sind.

Verantwortungsbewußte Japaner wenden sich energisch gegen die Annahme, daß „bedingungslose Übergabe" in ihrem Falle bedeutet, daß sie als ein Versuchskaninchen für Bevölkerungsexperimente mißbraucht werden können. Vor kurzem haben die katholischen Ärzte und Rechtsanwälte eine Adresse an General MacArthur selbst gerichtet, in der sie gegen diese allgemeine Vernichtung des eingeborenen Moralgefühll's ihres Volkes durch moderne Geburtenkontrollpropaganda protestierten. „Unser Gewissen“, schrieben sie, „vetbietet uns jene leichtfertige utilitaristische Moral, welche die Mißachtung der Moralgesetze im besiegten Japan sanktioniert, um die Lösung eines Problems von weltweiten Ausmaßen herbeizuführen." Diese Ärzte und Rechtsanwälte sagen voraus, daß eine Flut von außerehe'ichen geschlechtlichen

Ausschreitungen durch die Popularisierung des freien und ungehemmten Gebrauch der empfängnisverhütenden Mittel entfesselt werden würde. Sie weisen auf die Tatsache hin — die von Menschen mit traditioneller christlicher Erziehung oft übersehen wird —, daß die heilsamen moralischen Hemmungen des Christentums bis jetzt den Japanern als Gesamtheit unbekannt sind und daß, wenn ihre natürliche moralische Zurückhaltung vermindert wird, die daraus folgenden moralischen Übel zu einer nicht wieder gutzumachenden

Katastrophe führen müssen. Das würde nicht nur da Werk von hunderten christlichen Missionären in den letzten 70 Jahren, sondern auch die Arbeit der Besatzungsmacht vernichten.

Die Katholiken Japans haben sich im Protest erhoben, aber was bedeutet der Protest einer Minorität in einem besiegten Lande, wo kriecherische Beamte des Landes sich vor jeder Anregung beugen, die ihnen im Namen der Besatzungsmächte gemacht wird?

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